"Rückkehr vom Ende" von deamon
Ich wachte auf und musste mehrere Male blinzeln. Es war auf einmal alles so hell und als sich meine Augen an das Licht gewöhnt hatten, konnte ich zu meiner Mutter empor sehen. Sie hatte das Gesicht in den Händen vergraben und weinte.
"Mama, warum weinst du?", wollte ich sie fragen, doch sie reagierte nicht darauf, schien es noch nicht einmal zu hören. "Mama", versuchte ich es noch einmal, doch nichts geschah. Was war passiert?
Und da fiel es mir wieder ein. Ich war krank gewesen, schwer krank, aber jetzt schien alles wieder gut zu sein, warum weinte sie also? Ich versuchte sie zu berühren, sie zu trösten, doch meine Finger tauchten durch sie hindurch, als wäre da nichts. Überrascht zog ich meine Hand zurück.. War ... war ich etwa ein Geist? War ich etwa gestorben? Weinte sie deshalb? Aber ich war doch noch hier! Und erst dann sah ich es. Das Tor.
Unser Haus schien nach oben hin durchsichtig zu werden und ich konnte den Himmel sehen, doch dieser war nicht mehr blau, wie ich entsetzt fest stellen musste. Rotweiße Schlieren zogen sich über ihn und hier und da bildeten sich Wirbel. In Mitten der Farben am Himmel stand ein rabenschwarzes Tor. Neugierig schwebte ich hinauf, es sog mich geradezu an, und als ich auf einer Höhe mit ihm war, sah ich auch die anderen Geister, die auf das Tor zu gingen, als hätten sie nie etwas anderes getan. Ich konnte die Angst in ihren Augen sehen. Auch ich hatte Angst. Angst vor dem, was mich hinter dem Tor erwarten könnte. Als ich durch den riesige, kalten Steinbogen hindurch blickte, konnte ich eine andere Welt sehen. Eine bessere Welt, wo es die Wörter Angst, Schmerz und Sterben erst gar nicht zu geben schien. Unzählige Wasserfälle ergossen sich über die Felskanten, Vögel nisteten in den hohen, blühenden Bäumen und diese Welt schien zu perfekt um wahr zu sein, geradezu ein Paradies.
Doch dann verändert sich das Bild. Es war wahrscheinlich unter der Erde, Flammen schlugen mir entgegen und ich musste einige Schritte zurückweichen, weil sie scheinen, als ob sie mir weh tun wollten. Und dann sehe ich die anderen Seelen. Sie saßen zusammen in dem Feuer, umgeben von menschenähnlichen Wesen mit Hörner und einem langen Schwanz, an dem ein kleines, rotes Dreieck prangte. Und ich musste nicht lange raten, dass das die Hölle war. Eine Welt ohne Frieden. Eine Welt, in der man niemals Ruhe finden würde, man für all seine Sünden bezahlen sollte.
Und ich musste an all meine eigenen Fehler denken, all meine Sünden. Ich hatte meiner kleinen Schwester immer die Süßigkeiten gestohlen, sie an den Haaren gezogen und grinsend mit angesehen, wie sie weinend zu Papa lief. Ich hatte zum Spaß andere Kinder ausgelacht war, über sie hergezogen, wie ein kleiner Tyrann. Es waren nur kleine Sünden und ich war kein wirklich böser Mensch, aber eben auch kein wirklich ein guter.
Würde ich in die Hölle kommen? Oder vielleicht drückten sie sogar ein Auge zu und ich kam in den Himmel? Oder nicht?
Jemand beugte sich zu mir herunter und erstaunt musste ich fest stellen, dass es ein Engel war. "Komm geh hindurch", sagte er freundlich und versuchte mir Mut zu machen. Auf einmal schüchtern schüttelte ich den Kopf. "Ich will nicht", meinte ich und er wirkte überrascht. "Ja, aber dann...", setzte er an, überlegte es sich anders und meinte: "Verschwinde! Los, geh zurück, noch ist es nicht zu spät!" Dann er flatterte kurz mit seinen strahlend weißen Flügeln, hob ab und war verschwunden. Verwirrt sah ich mich nach ihm um, doch dann ergriff ich die Chance und kämpfte gegen den Sog des Tores an, ließ mich sinken, bis ich wieder in meinem Zimmer stand. Ich sah zu meinem kleinen, leblosen Körper hinab und freute mich regelrecht darauf wieder zu leben. Schließlich beugte ich mich über meine leere Hülle und tauchte in sie ein.
Die Mutter schluchzte noch einmal laut auf, doch als sie sah, dass ihr Sohn die Augen geöffnet hatte, entwich ihr ein kurzer Aufschrei und sie drückte ihn an ihre Brust. Sie lachte vor Freude und bald kam die ganze Familie herein. Sie alle waren froh, dass er zurück gekehrt war. Er erzählte ihnen nichts von seinem kleinen Erlebnis, doch es zu vergessen schien für ihn eine Sache der Unmöglichkeit.