"Gestohlene Träume" von Marcia
Menschen mit leeren Augen gingen auf den Straßen vorbei: Sie sahen aus wie Puppen. Steif, und ohne jede Regung. Ohne jegliche Persönlichkeit. Ein Mädchen lief weinend neben seiner Mutter her, die es nicht sah, die es nicht sehen konnte. Sie zerrte an ihrem Ärmel - bis auf einmal ihre Hände zurückschreckten, bis ihre Augen leer wurden. Stumm ging sie weiter. Niemand sprach, die blassen Gesichter gefühllos und kalt. Die Stadt, ja die Welt war stumm und still. Woher kam das? Woher kam dieses Elend?
In einem kleinen, alten Haus in einer winzigen Wohnung stand ein Mann. Seine Augen leuchteten begeistert, flackerten wie verrückt. In einem großen Behältnis wirbelten bunte Schlieren wild herum, nach und nach sanken sie auf den Boden. Der Mann stand vor dem durchsichtigen, verschlossenen Kasten und presste die Hände gegen das Glas. Er lachte gackernd. "Mir gehören die Träume, nur mir...", schrie er, weil er wusste, das die Menschen draußen ihn nicht wahrnahmen. "Ich habe sie gefangen, mir gehören sie! Ich bin der Herr der Träume!"
Der Herr der Träume öffnete den Kasten. "Mein großer Moment!", kreischte er, "Meine Macht über die Träume wird mir die Weltherrschaft zu Füßen legen!" In seinem wirren Kopf formten sich die Gedanken an die Träume, wie sie hinausstiegen, wie er ihnen Befehle gab...wie er die Menschen mit den Träumen erpressen würde und so immer weiter aufsteigen...
Die Träume blieben matt in ihrem Gefäß liegen. Sie regten sich nicht. Das Lachen auf dem Gesicht des Mannes verblasste. Seine Haare standen vom Kopf ab, als er rief: "Regt euch, Träume!" Doch nichts geschah. Fassungslos und zornig starrte der Mann auf das Behältnis und seine Gefangenen. "Hinaus mit euch!", schrie er schrill, am Rande eines Zusammenbruchs. Der Zorn verschwand so schnell, wie er gekommen war. Er wich einem ungläubigen Ausdruck, dann sackte der ganze Mann in sich zusammen.
Nichts war so, wie er es sich gewünscht hatte. Alles war umsonst. Ruckartig drehte er sich um und stieg eine Wendeltreppe hoch. Das Knarren nahm er nicht wahr. Der gebrochene Mann starrte auf seine Füße, dann lachte er kurz auf. Er war auf dem flachen Dach angekommen und hatte auf die Leute auf der Straße geblickt. Wenigstens das war nicht umsonst gewesen. Er hatte es ihnen allen gezeigt, jetzt waren sie verloren. Jetzt waren sie noch schlimmer dran als er selbst. Der Mann grinste breit. Langsam ging er auf den Rand des Daches zu, dann begann er zu rennen. Als er fiel, hallte sein irres Lachen in der ganzen Stadt wieder. Doch die Menschen hörten es nicht.