"Entscheidungen" von Farafella
Es war sein 17. Geburtstag, als er es erfuhr. 17, das ist das Alter, in dem man Mädchen im Kopf hat, den ersten Kuss, vielleicht auch schon Sex. Man macht sich Gedanken über seine Frisur, seinen zu spärlichen Bartwuchs, taumelt von einer Krise zur nächsten und stellt sich hochphilosophische Fragen nach dem Sinn des Lebens. Niemand dachte über Außerirdische nach, es sei denn, jemand war ein totaler Freak oder nicht ganz dicht.
Jerome war nichts davon und auch jetzt, als er, abseits von seiner Geburtstagsparty, im Garten stand und den Sternenhimmel betrachtete, verschwendete er keinen Gedanken an mögliches Leben draußen im All. Vielmehr dachte er an seine Freundin, Rafaela. Sie wirkte heute merkwürdig neben der Spur, hatte keine Lust zum Tanzen gehabt und saß nur still in einer Ecke. Wenn er sie angesprochen hatte, hatte sie nur in Phrasen geantwortet.
Was war nur mit ihr los? Hatte er etwas falsch gemacht? Er konnte sich nicht erinnern. Noch während er in seinen Erinnerungen kramte, nahm er ein leises Sirren wahr. Begleitet wurde das Geräusch durch ein sanftes Vibrieren, das das Gras kleine Wellen schlagen ließ. Jerome hielt den Atem an und lauschte in die Nacht. Nichts. Wahrscheinlich hatte er es sich nur eingebildet. Doch in diesem Moment begann es vor seinen Augen zu flimmern und wie aus dem Nichts materialisierte sich ein silbergraues Raumschiff.
Jerome zwickte sich in den Arm. Das konnte nicht wahr sein! Jetzt öffneten sich auch noch die kleinen Seitenluken und fremdartige Wesen kletterten behend die Stufen hinab. Sie waren ebenso silbergrau wie ihr seltsames Gefährt und überhaupt schienen sie mehr wie lange dünne Silhouetten, die im Dunkeln an der Wand tanzen. Jerome wollte zurückweichen. Doch irgendetwas, eine unsichtbare Macht, hielt ihn fest und zwang ihn, an Ort und Stelle zu bleiben.
Eines der Wesen trat vor ihn und begann mit einer leisen sonoren Stimme zu sprechen: "Jerome. Du musst keine Angst haben. Wir tun dir nichts. Du bist heute 17 Erdenjahre alt geworden, deshalb sind wir erschienen." - "Ich, ich verstehe nicht...", stammelte Jerome. Doch das Wesen gebot ihm mit einer Handbewegung zu schweigen. "Ich bin dein Vater, Jerome. Ich bin nicht bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen, wie deine Mutter es dir erzählt hat. Ich bin ein Außeriridischer, ja, von einem fernen Gestirn, abseits des euch bekannten Universums. Und du bist mein Sohn, zur Hälfte irdisch, aber auch zur Hälfte zu uns gehörend. Wenn du auf unseren Planeten kommen würdest, würdest du sofort die Gestalt eines Unsrigen annehmen. Aber du musst dich entscheiden. Heute noch. Wenn du hier bleibst, wirst du nie unseren Planten sehen können. Wenn du mit uns kommst, kehrst du nie wieder auf die Erde zurück."
Jerome schüttelte ungläubig den Kopf. "Aber...alle meine Freunde...sie sind hier und..." Wieder unterbrach ihn das Wesen, das sich sein Vater genannt hatte. "Höre, mein Sohn. Du sollst wissen, dass auf unserem Gestirn immer Frieden herrscht. Es gibt keinen Krieg, keine Gier, keine machthungrigen Diktatoren. Es gibt nur Freude und Spaß, Harmonie und Einigkeit. Es ist immer warm und angenehm, unsere Natur ist so vielfältig wie du es hier niemals finden kannst. Entscheide dich jetzt, Jerome."
In diesem Moment ertönte ein Geräusch von der Terassentür. Ohne einen Ton zu sagen, verschwand das Schiff, sein Vater raunte ihm jedoch noch zu: "Ich erwarte dich in zehn Minuten." Es war Rafaela, die zu ihm heraus getreten war. "Jerome..." Sie legte ihm von hinten die Arme um den Nacken und er küsste ihre Hände. "Jerome...ich will dir etwas sagen..." Sie löste ihre Arme und stellte sich vor ihn hin. Ihre braunen Augen blickten ernst und gleichzeitig erwartungsvoll. "Du wirst Vater. Ich weiß nicht, ob...willst du das Kind oder...?" Einen Moment lang blickte er sie ungläubig an, dann drückte er sie an sich. "Meine Rafaela, meine kleine Rafaela, wir schaffen das zusammen. Ich geh nicht weg von dir, von euch, nie, niemals."
Niemand hörte das leise Sirren, das mit einem Vibrieren des Bodens einher ging. Doch die Bäume schienen zu raunen: "Du hast dich richtig entscheiden, Jerome. Denn alles gibt es auf diesem fernen Gestirn, nur eines nicht: die Liebe."