Habt ihr auch schon einmal einen Globus angeschaut und festgestellt, dass manche Kontinente zusammenpassen wie Puzzleteile? Genau so ergeht es Alfred Wegener an Weihnachten 1910. Während das ganze Land unterm Tannenbaum sitzt, blättert er in einem Atlas, stundenlang.
Was der 31-Jährige sieht, lässt ihn nicht mehr los. Im Januar 1911 schreibt er in einem Brief an seine Verlobte Else Köppen: "Passt die Ostküste Südamerikas nicht exakt in die Westküste
Afrikas, als ob sie einst verbunden waren? Diesen Gedanken muss ich verfolgen!"
Das tut Alfred Wegener tatsächlich – obwohl er mit Geologie eigentlich gar nichts am Hut hat. In Berlin hat er Meteorologie, Astronomie und Physik studiert.
Vier Expeditionen führen Alfred Wegener nach Grönland
Später bringt Alfred Wegener es als Polarforscher zu einigem Ansehen. Mit Hunde- und Pferdeschlitten kämpft er sich monatelang durch klirrende Kälte. Insgesamt vier Expeditionen führen ihn nach Grönland. Bereits während seiner ersten Reise 1906 beobachtet Alfred Wegener das Treibeis auf dem Meer, das zerbricht, auseinanderdriftet und gegeneinanderstößt.
Vielleicht erinnert er sich daran, als er über die Sache mit den Kontinenten grübelt. Könnten sie nicht auch auf der Oberfläche der Erde schwimmen, zerbrechen und sich bewegen – nur eben viel langsamer? Damit ließe sich zumindest erklären, weshalb Südamerika und Afrika so gut zusammenzupassen scheinen.
Alfred Wegeners Rede vor der Geologischen Vereinigung
Während des Winters 1911/12 schläft Alfred Wegener kaum noch. Wie ein Detektiv trägt er weitere Hinweise aus allen möglichen Wissenschaften zusammen. Er ist fest davon überzeugt, dass er mit seiner neuen Theorie recht hat: "Ich glaube nicht, dass die alten Vorstellungen noch zehn Jahre zu leben haben."
Das schreibt er in einem Brief im November 1911 an Wladimir Köppen, den Vater von Wegeners Verlobter Else, ebenfalls ein geachteter Meteorologe. Dieser warnt seinen zukünftigen Schwiegersohn, dass er sich mit seiner Theorie viel Ärger einhandeln könne, vor allem mit den Geologen. Denn Wegener würde deren bisherige Ansichten komplett auf den Kopf stellen. Und genau das tut er schließlich auch – allen Warnungen zum Trotz…
6. Januar 1912. Alfred Wegener schlägt das Herz bis zum Hals, so aufgeregt ist er! Im Hörsaal des Senckenberg-Museums in Frankfurt am Main drängen sich unzählige grauköpfige, schwarz gekleidete Gelehrte: die Teilnehmer der Jahreshauptversammlung der Geologischen Vereinigung. Ihnen will Wegener nun seine Theorie vorstellen.
Ein letztes Mal atmet er tief durch, dann tritt er ans Pult. Alfred Wegener redet schnell, er will so viel wie möglich sagen, bevor ihn jemand unterbricht. Schließlich lässt er den entscheidenden Satz fallen, der den Zuhörern die Sprache verschlägt: "Die Kontinente haben im Laufe der Erdgeschichte ihre Lage verändert."
Die Idee des Kontinentaldrifts
Im Folgenden erklärt er, dass die oberste Schicht der Erde, die Erdkruste, in Platten aufgeteilt ist. Diese (und mit ihnen Ozeane und Kontinente) schwimmen auf dem Erdmantel wie Flöße: eine gewaltige Maschine, die Gebirge auftürmt und Ozeane aufreißt. Im Publikum fangen die Ersten an zu lachen. So ein Unsinn!
Bislang gehen die Geologen davon aus, dass sich das Muster aus Festland und Meeren nie verändert. Es habe einst höchstens Landbrücken zwischen den Kontinenten gegeben, die nun im Meer versunken sind wie Schiffe. Das kann nicht sein, glaubt Alfred Wegener. Denn: "Ein Kontinent ist leichter als das, worauf er schwimmt."
Er kann also nicht untergehen! Und außerdem, fährt Wegener rasch fort, gäbe es schließlich Regenwurm- und Schneckenarten, die sowohl in Westafrika als auch in Südamerika leben. Denen sei es beim besten Willen nicht zuzutrauen, dass sie Tausende Kilometer über eine Landbrücke von einem Kontinent zum anderen gekrochen sind. Stattdessen müssten sich einfach die Landmassen bewegt haben.
Nun erntet Alfred Wegener kalte Blicke, Rufe hallen durch den Saal: "Humbug!", "Völliger Blödsinn!". Den Wissenschaftlern scheint zu dämmern, was es bedeuten würde, wenn Alfred Wegener richtig läge: Sie müssten die Arbeit aus 70 Jahren Forschung über den Haufen werfen und von vorn anfangen.
Wieso bewegen sich die Platten?
Hinzu kommt, dass Alfred Wege- ner nicht erklären kann, weshalb sich die Platten bewegen – bis heute zerbrechen sich Forscher darüber die Köpfe. Und Wegener selbst konnte nicht einmal die Bewegung der Kontinente aufzeichnen. Das gelingt erst in den 1970er-Jahren mithilfe von Satelliten. So sehr sich die Forscher damals über Alfred Wegener lustig machen – heute gilt seine Theorie als bahnbrechend.
Ein ganzer Zweig der Geologie gründet darauf: die Plattentektonik, also die Lehre vom Aufbau der Erde. Wegener selbst bekommt davon nichts mehr mit. Im Jahr 1930 reist er noch einmal nach Grönland. Auf dem Rückweg von einer Forschungsstation rauben ihm Schneeverwehungen und Stürme alle Kraft. Er stirbt vermutlich um den 16. November an Überanstrengung.
Erst Monate später findet ein Suchtrupp seine Leiche und begräbt sie im ewigen Eis. Seither hat sich Grönland und damit Alfred Wegeners Ruhestätte anderthalb Meter von Europa entfernt.