Kurz-Steckbrief: Leonard Bernstein
- Name: Leonard Bernstein
- Geboren: am 25. August 1918 in Lawrence, Massachusetts (USA)
- Gestorben: am 14. Oktober 1990 in New York City, New York (USA)
- Geschätzt: für Kompositionen
- Wichtigste Werke: Musicals wie die berühmte "West Side Story", aber auch die Bühnenstücke "On the Town" und "Candide"
Durch einen glücklichen Zufall wird Leonard Bernstein zum Star
Jetzt kann nur noch ein Wunder helfen! Alles deutet auf einen Riesenflop hin bei diesem Konzert am 14. November 1943 in der New Yorker Carnegie Hall. Um drei Uhr nachmittags sollen hundert New Yorker Philharmoniker, eines der berühmtesten Orchester der Welt, ein extrem schwieriges Programm spielen. Und was passiert? Der prominente Dirigent Bruno Walter liegt krank zu Hause im Bett. Und der Orchesterchef, der einspringen könnte, steckt eingeschneit in den Bergen von Massachusetts fest!
In letzter Verzweiflung rät dieser, seinen unbekannten Assistenten anzurufen: "Dann nehmt Leonard Bernstein. Der kann doch auch dirigieren." Um neun Uhr früh benachrichtigen sie den 25-Jährigen, der alles stehen und liegen lässt. Um drei steht Leonard Bernstein am Dirigentenpult. "Ich kann mich an nichts mehr erinnern", sagt der junge Mann im ausgebeulten grauen Anzug nach dem Konzert in die Mikrofone. "Es war wie ein Traum, aus dem ich erst erwachte, als mir das Publikum am Schluss zujubelte." Ein neuer Klassikstar ist geboren!
Als Dirigent wird Bernstein in New York gefeiert
Und es ist nicht das letzte Mal, dass Bernstein die Musikwelt überraschen sollte. In den kommenden Jahren erweist er sich als regelrechter Tausendsassa: Er schüttelt herrliche Musicals aus dem Ärmel. Er dirigiert große Orchester, als ob es ein Kinderspiel wäre - und glänzt auch noch als Klaviervirtuose! Eine solche Vielseitigkeit erinnert die Musikwelt an den jungen Wolfgang Amadeus Mozart.
Das Publikum liebt den wilden jungen Mann, der qualmt wie ein Schlot und Alkohol in rauen Mengen hinunterschüttet. Nur ein paar Kritiker nörgeln herum. Allzu sehr ist ihnen der amerikanische Musiker auf Show aus: Zwar feiert Bernstein in europäischen Klassiktempeln wie der Wiener Staatsoper Triumphe. Und an der Mailänder Scala tobt das Publikum, als er eine Oper mit der weltberühmten Sängerin Maria Callas dirigiert. Bravo! Doch zugleich - da rümpfen Snobs die Nase - schreibt er Musik für den New Yorker Broadway, diese Glitzerwelt mit ihren seichten Shows.
Ja, der Flegel findet sogar Vergnügen daran, in Fernsehsendungen aufzutreten! Vor laufender Kamera plaudert er über klassische Musik, als ob das Kochrezepte wären: erzählt zum Beispiel seinem Publikum, wer das Hammerklavier erfand; wie Ludwig van Beethoven eine Sinfonie komponierte oder was Zwölftonmusik ist. Sein Buch "Konzert für junge Leute - Einführung in die Welt der Musik", das er nebenher schreibt, wird in viele Sprachen übersetzt.
Der New Yorker Komponist vermischt viele Elemente der Musik
Die Musicals, die Leonard Bernstein am Broadway aufführt, sind anders als alles Dagewesene: In der "West Side Story" zum Beispiel, seinem berühmtesten Stück, gibt es kein Happy End! Mit flotten Melodien und aggressiven Rhythmen wird da die alte Liebesgeschichte von Romeo und Julia als Kampf zweier Jugendbanden in den Elendsvierteln von New York erzählt.
Auch in seinen klassischen Kompositionen vermischt der Musiker ganz verschiedene Elemente: In der überwiegend traurigen Zweiten Sinfonie zum Beispiel erklingt viel Jazz - die Musik der schwarzen Amerikaner. In der späten "Messe" sind neben Orgelmusik sogar Rock, Blues und Latinoklänge zu hören!
Leonard Bernstein liebte den Luxus
Als Sohn russischer Einwanderer, die sich in den USA erst mühsam hocharbeiten mussten, hatte es Leonard Bernstein nicht leicht gehabt. Seine Familie litt unter bitterer Armut. Der kleine Leonard war ein zartes und kränkliches Kind. Das änderte sich erst, als eine Tante ein altes Klavier ins Haus brachte. Stundenlang klimperte Leonard jeden Tag darauf herum - und wurde dabei gesund.
Vielleicht lag es an der harten Kindheit, dass Leonard Bernstein später den Luxus liebt: Mit seiner Frau und den drei Kindern wohnt er im teuersten Bezirk New Yorks. Kaum eine Party der Reichen findet ohne ihn statt. Gleichzeitig aber interessiert er sich für Politik: 1985 reist er auf einer Friedenstournee durch Europa und erinnert mit Konzerten an den Atombombenabwurf 40 Jahre zuvor.
Doch bei allen Partys - Leonard Bernsteins Lieblingsbeschäftigung bleibt immer das Komponieren: "Manchmal arbeite ich am Klavier", sagte er einmal, "manchmal am Schreibtisch oder auch im Flughafen oder beim Spazierengehen - am liebsten aber, wenn ich im Bett oder auf dem Sofa liege." Am 14. Oktober 1990 ist Leonard Bernstein in New York gestorben.
Von E-Musik und U-Musik
Ob Mozart oder Bach - viele Größen der Musikgeschichte wurden erst nach ihrem Tod so richtig berühmt. Dass Leonard Bernstein seinen Ruhm und Reichtum noch genießen konnte, haben ihm manche Kritiker und Musikerkollegen ganz offen verübelt: Die Leidenschaft, mit der er dirigierte, benörgelten sie als Show. Und über seine handwerklich und musikalisch tadellosen Kompositionen rümpften sie die Nase. In ihren Augen hatte er sich eines Vergehens schuldig gemacht: Leonard Bernstein komponierte neben schweren Werken auch wunderbare Unterhaltungsmusik - und war damit sogar weltweit erfolgreich.
Für diese Leute ist klassische Musik offenbar etwas Besseres und Höheres. Sie nennen sie E-MUSIK (E wie ernst) im Unterschied zur U-MUSIK (U wie Unterhaltung). Mozart, ein Großmeister der 'ernsten' Musik, hat sich aber diebisch gefreut, als die Arien seiner Oper 'Figaros Hochzeit' von ganz normalen Leuten in allen Gassen gepfiffen und geträllert wurden. Zu seiner Zeit waren E- und U-Musik nämlich noch dasselbe.
Erst Mitte des 19. Jahrhunderts lösten sich die Hits solcher Großverdiener wie Gioacchino Rossini oder Jacques Offenbach aus den Opern und Operetten heraus, für die sie ursprünglich komponiert worden waren - und machten sich als Schlager selbstständig.
"Für mich", erklärte Bernstein, "gibt es nur gute und schlechte Musik" - eben gute und schlechte Schlager, gute und schlechte Sinfonien, gute und schlechte Opern. Und Mozart brachte es auf den Punkt: "Meine Musik", sagte er, "ist für alle Leute."