Irgendetwas stimmt nicht mit dem Boden in der Maya-Pyramide El Diablo. Ausgrabungsleiter Stephen Houston merkt das sofort. Vorsichtig beginnen er und sein Team von der US-amerikanischen Brown University zu buddeln. Und machen eine schaurige Entdeckung: blutrote Schalen mit menschlichen Fingerknochen darin! Sie graben weiter.

Schon ohne diesen Fund ist die alte Maya-Stadt El Zotz mit ihren Pyramiden und Tempelruinen ein ungemütlicher Ort. Vor allem, wenn es dämmert. Dann färben tausende Fledermäuse den Himmel über dem Urwald von Guatemala schwarz. So viele Tiere schwirren durch die Luft, dass die Ruinenstadt nach ihnen – den „Zotz“ – benannt wurde. Und die El Diablo-Pyramide war einst so steil und sie zu besteigen so gefährlich, dass sie den Namen des Teufels trägt. Mittlerweile hat sie der Dschungel verschluckt. Bäume und Moos wuchern über die sumpfige Erde, die den Prunk von damals unter sich begräbt.

Im Inneren der Pyramide tragen die Archäologen nun vorsichtig Kalkstein und Schlamm vom Boden ab, Schicht für Schicht. Nach zwei Metern stoßen sie auf Steinplatten. Um nach Hohlräumen darunter zu suchen, treibt Stephen Houston einen Stock zwischen die Fugen. Und bei einem der Versuche verschwindet der Stock plötzlich tiefer und tiefer. Die Archäologen blicken in ein schwarzes Loch. Stephen Housten wird klar: Sie sind auf etwas Bedeutendes gestoßen. Er ruft einen Kollegen herbei, Edwin Román. Gemeinsam lassen sie eine kleine Glühbirne in die Dunkelheit hinab. „Diese Farben explodierten geradezu“, sagt Edwin Roman später. In rot, grün und gelb leuchten ihnen Stoffe, Jade, mit Affen und Schweinen bemalte Keramik, Schnitzereien und Gemälde einer Grabkammer entgegen.
Als sie das Grab dann öffnen, steckt Stephen Housten wagemutig seinen Kopf hinein „Es riecht noch immer nach Verwesung darin“, teilt er seinen Kollegen mit. Eiskalte Schauer jagen ihm den Rücken hinab. Die Kammer war wohl so gut versiegelt, dass über 1600 Jahre lang keine Luft eingedrungen ist. Selbst Stoffe und Holzschnitzereien, die sonst schnell verrotten, sind dadurch erhalten geblieben.
Aber für wen waren all die Schätze bestimmt? Wer war der Tote in der Gruft? „Wir glauben, dass es sich um die Überreste eines etwa 50 Jahre alten Mannes handelt“, sagt Edwin Román. Ein stattliches Alter für einen Maya. Und er ruhte nicht allein: Im Grab entdecken die Archäologen noch weitere Skelette von sechs Kindern. Keines davon war älter als fünf Jahre, als es starb. Die Mayas hatten sie dem Toten geopfert.

Die Schätze, die über dem Grab errichtete Pyramide, die Menschenopfer – all das lässt Stephen Houston und sein Team vermuten, dass der Tote ein König gewesen sein muss: Chak „fish-dog“ Ahk. Der Name setzt sich aus den Wörtern rot, Fisch, Hund und Schildkröte zusammen. Bislang kennen ihn die Wissenschaftler nur aus Hieroglyphen-Aufzeichnungen. „Wahrscheinlich ist es sogar der Begründer einer Dynastie“, erklärt Stephen Houston. „Zu einer Studentin, die mir bei den Ausgrabungen half, habe ich daraufhin gesagt: ‚So etwas wirst du wohl nie wieder ausgraben. Das passiert dir nur einmal im Forscherleben.’“

Die Entdeckung stellt alle bisherigen Erkenntnisse der Forscher auf den Kopf. Die berühmte Maya-Stadt Tikal liegt nur etwas mehr als 20 Kilometer entfernt. Von El Diablo aus kann man über die Baumwipfel hinweg dessen Tempel IV erspähen. El Zotz war im sechsten Jahrhundert explosionsartig gewachsen, nachdem der Gigant Tikal an Macht verloren hatte. Das Volk von El Zotz baute damals prächtige Paläste und Grab-Pyramiden, verbündete sich mit den Feinden Tikals. Doch ebenso schnell wie El Zotz aufgestiegen war, ging es auch wieder unter – glaubten die Forscher, bis sie die Grabkammer aus dem vierten Jahrhundert fanden. Vermutlich betteten die Maya ihren ersten König erst 200 Jahre nach dessen Tod in die luxuriöse Ruhestätte. Aber warum? Das wollen Stephen Houston und sein Team bei weiteren Ausgrabungen im Sommer 2011 herausfinden. Vermutlich wird es Jahre dauern, bis sie all die Geheimnisse entschlüsselt haben, die das Grab 1600 Jahre lang für sich behalten hat.