
Greta und Ricarda treffen sich zum gemeinsamen Einkaufsbummel in der Stadt. Am Wochenende sind die Freundinnen auf einer Geburtstagsfeier eingeladen, und dafür suchen sie noch etwas Neues zum Anziehen. Gemütlich schlendern sie durch die Passagen und bleiben schließlich vor einem der Schaufenster stehen. "Das muss ich unbedingt anprobieren!", ruft Ricarda begeistert und zeigt auf ein gelbes Kleid. Als sie damit aus der Umkleidekabine kommt und sagt, dass sie es kaufen will, ist Greta entsetzt: "Das sieht scheußlich aus und macht dich total blass! Du solltest es lieber nicht nehmen." Dass ihre Freundin so direkt reagiert, hätte Ricarda nicht erwartet: "Du nimmst aber heute kein Blatt vor den Mund!" Was sie damit bloß gemeint haben könnte, fragt sich Greta.
Wer ganz offen und ehrlich seine Meinung sagt, nimmt sprichwörtlich kein Blatt vor den Mund. Heutzutage nutzen wir diesen Ausdruck nur noch im übertragenen Sinne, wenn jemand sehr direkt und ohne zu zögern seinen Standpunkt klarmacht.
Noch vor einigen Jahrhunderten gab es aber durchaus Menschen, die wortwörtlich ein oder manchmal eben auch kein Blatt vor den Mund nahmen. Das konnte man dann allerdings nur im Theater beobachten, denn daher stammt das Sprichwort ursprünglich. In den Stücken ging es häufig sehr schonungslos zu. Besonders Komödien machten sich über alles und jeden lustig - selbst Könige und hohe Staatsmänner wurden ständig kritisiert und lächerlich gemacht. Damit aber die Schauspieler für das, was sie sagten, nicht zur Rechenschaft gezogen werden konnten, versteckten sie sich hinter Masken. Weil es diese in der Anfangszeit des Theaters noch nicht gab, war es üblich, stattdessen ganz einfach ein Blatt zu benutzen. Schauspieler, die ihr Gesicht zeigten und ganz offen sprachen, nahmen also kein Blatt vor den Mund.