Vorstellungsrunde
Gestatten, die "EBs": Da ist Mutter Echo, Anführerin und Anker des Elefantenclans. Da sind ihre treuen Gefährtinnen: Ella und Emily, die so tragisch ums Leben kommt. Da sind die Töchter Enid und Erin, die älter und selbst Mütter werden. Und so zählen mit den Jahren immer mehr Kinder zum Clan, Raufbolde und Sorgenkinder wie Ely. Ach ja, und dann sind da noch die Mitarbeiter des "Amboseli Elefanten-Forschungsprojekts". Mittlerweile zählen auch sie zur Elefantenfamilie. Seit über 40 Jahren sind die Biologen den Tieren im Amboseli-Nationalpark im südlichen Kenia auf den Fersen. Ihre Forschung hat die EBs berühmt und zudem klar gemacht, dass Tierfamilien längst nicht nur Zweckgemeinschaften sind. Die EBs unterstützen und vertrauen sich, sie trauern. Manchmal glaubt man: genau wie wir.
Familienoberhaupt
Ihre Familiengeschichte beginnt im August 1973. Da begegnen sich Elefanten und Forscher zum ersten Mal im Amboseli-Nationalpark - einem braun-grünen Flickenteppich zu Füßen des Kilimandscharo. Jedem der rund 50 Clans im Park geben die Biologen einen Code aus zwei Buchstaben und jedem Mitglied einen Namen, der mit dem ersten Familienbuchstaben beginnt. Die EBs schließen die Forscher um die US-Amerikanerin Cynthia Moss sofort ins Herz - was vor allem an deren Leitkuh liegt: einer weisen Riesin von vielleicht 30 Jahren, mit leicht gekreuzten Stoßzähnen und fließendem Gang. Ihre Familie besteht Mitte der 1970er Jahre aus acht Tieren, typischerweise nur Weibchen, die wohl alle miteinander verwandt sind: als Schwestern, Mütter, Töchter, Cousinen, Enkelinnen. Bullen müssen die Herde mit etwa zwölf Jahren verlassen und kommen auch später nur zur Paarungszeit vorbei. Es ist ein kurzer Akt, die Elefantin würde von dem tonnenschweren Ungetüm sonst erdrückt. Schon tags darauf macht sich der werdende Vater meist wieder davon. Echo, das erfahrenste Weibchen, ist Chefin des Elefantenclans. Sie kennt sämtliche Wege zu Weidestellen und Wasserlöchern – gerade in Dürrejahren wie 1976 eine Lebensversicherung für die Familie. Monatelang bleibt der Regen aus. Die samtenen Grasteppiche verdorren. Doch Echo erahnt immer wieder rettende Routen. Und die anderen folgen und vertrauen ihr. Lässt ein Geräusch oder Geruch sie aufschrecken, schauen sie erst zu Echo, ehe sie irgendetwas tun. Gibt sie an Rastplätzen ihr „Auf geht’s“-Kollern von sich, ziehen alle sofort weiter – doch nur ganz selten über die unsichtbaren Grenzen des Nationalparks hinaus. Echo ahnt Gefahren: Wilderer lauern dort.
Kindergarten
Ab 1980 folgen viele fette Jahre mit reichlich Regen. Binnen Stunden sprießen dann Gräser und Blätter: Bis zu 400 Kilogramm frisst ein Elefant davon - jeden Tag. Die EB-Familie wächst in dieser Zeit kräftig an. Echo bringt nach 22-monatiger Schwangerschaft Enid auf die Welt. Ihre Schwester Ella bekommt Ewan, Tochter Erin gebiert Edwina. Über ein Jahr säugen die Mütter ihre Kinder. Die jüngeren Geschwister und Cousinen unterstützen sie als Babysitter und Erzieherinnen. Sie passen auf, dass der Nachwuchs beim Baden nicht im Wasserloch stecken bleibt, oder lehren ihn, seinen Rüssel als Duschschlauch zu nutzen. 1989 bekommt Emily noch ein Kind, Edo, ein quicklebendiges Kerlchen - bis das Unglück geschieht.
Schicksalstage
Seine Mutter ist plötzlich verschwunden. Edo magert ab, muss ins Elefanten-Waisenhaus. Erst ein halbes Jahr später finden die EBs Emily in der Nähe einer Touristen-Unterkunft. Tot. Vorsichtig nähern sie sich dem bleichen Skelett. Echo scheint zu riechen, mit wem sie es zu tun hat. Immer wieder streicht sie mit ihrem Rüssel den Unterkiefer der Toten entlang, wie es Elefanten zur Begrüßung tun. Nach einer Weile nehmen einige aus der EB-Familie Knochen auf und tragen sie fort - als wollten sie ein Stückchen Emily wieder bei sich haben. Sie hatte sich über den Müll von Touristen hergemacht, Scherben zerschlitzten ihren Magen, hatten Untersuchungen der Forscher zuvor ergeben. Und die Sorgen nehmen kein Ende. Nur wenige Monate darauf, an einem Tag im Februar 1990, bekommt Echo ihr Baby Nummer fünf – Ely. Doch etwas stimmt nicht mit ihm. Er kann sich nicht hochstemmen. Seine Fußgelenke sind steif und nach hinten gebogen. Löwen pirschen schon um die Herde. Ein lahmes Kalb ist leichte Beute für sie. Doch Echo und Tochter Enid kämpfen tagelang unter sengender Sonne, dass sich Ely aufrichtet, stützen ihn mit ihren Rüsseln. Am dritten Tag gelingt das tatsächlich, am vierten trabt der Kleine der Herde hinterher.
Neuanfang
Es folgen Jahre, in denen die EBs vieles erleben, vieles erdulden müssen. Im Streit um ein Wasserloch wird ein Junges der EB-Familie von einem anderen Clan gekidnappt. Echo trötet nach ihrer Familie. Wie Fußballer vor dem Anpfiff stecken sie ihre Köpfe zusammen, dann rennen sie los, kreisen den Kleinen ein und retten ihn. 2003 wird Erin, Mutter eines kleinen Jungen, von Viehhirten getötet. Und Echo bringt ihren Enkel durch, indem sie ihn zu besonders weichen Gräsern führt, die er schon kauen kann. Sie gibt kein Familienmitglied auf - doch irgendwann sich selbst. Ab 2007 verdorrt das Land wie nie, drei Jahre lang kaum Regen. Als wollte der Park die Bedeutung seines Namens dick unterstreichen. „Amboseli“ bedeutet - aus der Stammessprache der Massai übersetzt - „salziger Staub“. Echo führt ihre Familie 2009 noch einmal an einen immergrünen Sumpf. Dann setzt sie sich ab, legt sich in den Staub und stirbt. Mittlerweile hat Ella die Führung übernommen, und sie mache ihr Sache gut, erzählen die Forscher. Sie habe sich diesen fließenden Gang angewöhnt, genau wie Echo.