Natur und Umwelt Wilde Wanderer

  • von Barbara Lich
Natur und Umwelt: Wilde Wanderer
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Sie breiten sich in Deutschland immer weiter aus und sind bei der Nahrungswahl alles andere als wählerisch: Waschbären. Lest, warum genau das mancherorts zu Problemen führen kann

Wenn der Tag ergraut und das Licht schwindet, huschen die Räuber aus ihrem Versteck. Sie schlüpfen aus Höhlen, klettern von Ästen und jagen stammabwärts. Manch einer wühlt sich auch aus seinem Unterschlupf auf einem Dachboden und flitzt am Fallrohr hinab. Zeit für den Beutezug!

«Waschbären fressen, was sie kriegen können. Obst, Kekse, Gummibärchen, Muscheln, Kröten, Vogeleier.» , sagt der Biologe Dorian Dörge von der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. «Außerdem können Waschbären so ziemlich alles außer fliegen.»

Wenn man so will, ist genau das das Problem. Waschbären sind Allesfresser, Alleskönner, Allesmacher. Ursprünglich stammen die Kleinbären aus Nordamerika. Doch längst streifen sie auch durch Mittelamerika, Asien und Europa. Ihr Erkennungszeichen? Die schwarze Gesichtsmaske! Rundherum sind sie in dichtes, graues Fell verpackt. Der buschige Ringelschwanz hilft den Tieren bei so mancher Akrobatikeinlage, die Balance zu halten. Schwimmen können sie noch dazu.

Waschbären sind hervorragende Schwimmer. So gelangen sie auch an die Gelege von Vögeln, die Nester auf dem Wasser bauen
Waschbären sind hervorragende Schwimmer. So gelangen sie auch an die Gelege von Vögeln, die Nester auf dem Wasser bauen

«In ihrer Heimat, den USA, gibt es den Wolf, der Waschbären verdrängt. Oder Bären» , sagt Dorian Dörge. «Bei uns haben Waschbären kaum natürliche Feinde. Wölfe hier und da, und auch Uhus oder Greifvögel können mittelgroße Waschbären schlagen.» Aber sonst?

Hierzulande gelten die Raubtiere als «invasive Art». Das Wort «invasiv» leitet sich vom lateinischen invadere ab, was «einfallen» oder «eindringen» bedeutet. Gemeint ist damit: Waschbären waren bei uns nie heimisch, erobern nun aber weite Teile des Landes. Geschätzt 1,6 Millionen der Räuber streunen mittlerweile durch die Wälder; vielleicht sind es auch zwei Millionen oder mehr. Sogar in Städten wie Kassel oder Berlin machen sich die Tiere breit.

Das Büfett ist eröffnet! In Mülleimern finden Waschbären viele Leckereien...
Das Büfett ist eröffnet! In Mülleimern finden Waschbären viele Leckereien...
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«Bisher können wir die Zahl der Waschbären in Deutschland nur schätzen, weil uns Daten fehlen und die Tiere wandern und wandern», sagt Dorian Dörge. Ihre Ururururur-Großeltern gelangten zu Beginn des 20. Jahrhunderts hierher. Damals holte man Waschbären ins Land, um sie in Pelztierfarmen zu züchten. Zudem wurden im Jahr 1934 zwei Bärchenpärchen am Edersee in Hessen ausgesetzt. Wenig später büxten einige Exemplare in Brandenburg aus Fellfarmen aus. Seither verbreiten sich die Raubtiere.

«Wenn sich eine Art vermehrt und es keine Gegenspieler gibt, kann das Ökosystem aus den Fugen geraten» , erklärt Dorian Dörge. «Waschbären fressen in manchen Gegenden Tiere wie Frösche, Kröten, Molche, Schlangen und auch Vögel wie Kiebitze, die am Boden brüten. Diese Arten sind wehrlos und wurden häufig schon vom Menschen zurückgedrängt.»

Waschbären bedrohen damit in einigen Regionen die heimische Artenvielfalt, allen voran Amphibien und Reptilien. Die cleveren Räuber machen nicht mal vor Erdkröten halt, die über Drüsen auf ihrer Haut ein giftiges Sekret absondern. Kein Problem für Waschbären! Sie häuten die Kröten und vertilgen den Rest. Das gelingt mit viel Gefühl in den Fünf-Finger-Pfoten: Waschbären besitzen einen feinen Tastsinn.

Natur und Umwelt: Wilde Wanderer

Welche Folgen die Waschbären-Invasion für die Tierwelt und den Menschen hat, erforscht Dorian Dörge mit seinen Kolleginnen und Kollegen im Projekt Zowiac. «Wir wollen herausfinden, wie schnell sich Waschbären ausbreiten», erläutert der Biologe. «Außerdem schauen wir uns an, welche Parasiten ein Waschbär im Fell, aber auch im Magen und Darm mit sich herumträgt.»

Daraus können die Forschenden schließen, was genau die Räuber gefressen haben. Manche Parasiten, also Kleinlebewesen, nehmen sie nämlich nur durch bestimmte Beutetiere auf. Außerdem wollen die Forschenden herausfinden, wie hoch das Risiko ist, dass Waschbären Krankheiten auf Menschen oder Nutz- und Haustiere übertragen. Rund 700 Waschbären haben sie schon untersucht, allesamt von Jägerinnen und Jägern erlegte Tiere. Nicht zuletzt sammeln und analysieren die Zowiac-Mitarbeitenden Kotproben, die Waschbären an den immer gleichen Plätzen absetzen – wie auf einem Gemeinschaftsklo. Auf diese Weise wollen die Forschenden so viel wie möglich über die Tiere erfahren. Das ist wichtig, um sich Schutzmaßnahmen für jene Arten zu überlegen, die von Waschbären bedroht sind.

Die Superkletterer schlafen tagsüber gern im Geäst von Bäumen. 
Die Superkletterer schlafen tagsüber gern im Geäst von Bäumen. 
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Dorian Dörge meint: «Wenn man gefährdete Amphibien, Reptilien oder Vögel in einem bestimmten Schutzgebiet erhalten will, muss man Waschbären in diesem Gebiet und drum herum mit Fallen fangen.» In einigen Gegenden könnten auch Elektrozäune helfen. Viele Tier- und Naturschützer dagegen lehnen die Jagd grundsätzlich ab. In einem Punkt jedoch sind sich die meisten einig: Waschbären füttern und anlocken ist keine gute Idee. «Hauptsache, die Menschen stellen ihnen nicht noch eine Dose Katzenfutter hin», sagt Dorian Dörge.

Invasive Arten: Neu hier!

Ja, Waschbären zählen zu den knuffigsten Tieren auf der «Liste invasiver gebietsfremder Arten» der Europäischen Union. Die 88 Tier- und Pflanzenarten darauf gelten in Europa als nicht heimisch, vermehren sich rasant und können die Artenvielfalt bedrohen. Neben dem Waschbären wird ein weiteres Raubtier, der Marderhund aus Ostasien, als invasiv eingestuft. Schätzungen zufolge stromern rund 300 000 dieser nachtaktiven Pelzpummel durch Deutschland. Natürliche Feinde haben sie kaum. Darum beobachten die Zowiac-Forschenden auch ihre Ausbreitung. Und: Sie haben Minke im Blick, Marder, die aus Nordamerika stammen. Die Fisch- und Muschelfresser gelten in Deutschland zwar noch nicht als invasive Art, breiten sich jedoch auch hier langsam an Flüssen, Seen und in Sümpfen aus.

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