
Wenn Tierpfleger Dirk Stutzki frühmorgens durch Hagenbecks Tierpark stapft, könnte er ebenso gut durch die Kulisse eines Gruselfilms laufen: Alle Wege des Hamburger Zoos sind noch verlassen. Hier und dort knacken Äste, Wind heult um hohe Felsen, lautlos ziehen mächtige Schatten vorbei. Böse Geister? Wohl eher Giraffen oder Strauße – im Dämmerdunkel ist das nur schwer auszumachen.
Da mischt sich plötzlich ein Geräusch unters Windgeheul, eines, für das es keine Bezeichnung gibt: Brüllen, Bellen, Dröhnen, Röhren? Klingt gefährlich – nicht aber für Stutzki. Der marschiert unbekümmert direkt darauf zu. "Das ist nur die Morgenbegrüßung meiner Seebären", sagt der Tierpfleger, "sie erkennen mich an meinem Gang." Und tatsächlich: Hinter einem niedrigen Zaun kann man die Schattenrisse der Robben erahnen. Stutzki bleibt stehen, hält einen Moment inne, beobachtet. "Alles okay", murmelt er dann. Er würde sogleich wahrnehmen, wenn einer seiner Schützlinge krank ist oder gar fehlt. Denn so, wie seine Tiere ihn erkennen, erkennt auch er sie – fast blind.
Seine Tiere, das sind neben den fünf Südamerikanischen Seebären: ein Seehund, drei Mähnenrobben, zwei Eisbären, die er alle beim Namen kennt. Dazu 27 Humboldt- Pinguine, 16 Mähnenspringer und 13 Himalaya-Tahre, beides Ziegenarten. "Und 30 000 Kellerasseln – deren Namen ich aber leider nicht auswendig weiß..."
Dirk Stutzki ist 38 Jahre alt, waschechter Hamburger und ein Mann, den man sich ohne Mühe als Marktschreier vorstellen kann: Er kann wunderbar witzeln und mit Händen und Füßen erzählen. Etwa, wenn er von seinem Werdegang berichtet. 1987 hatte Stutzki den ersten Job in Hagenbecks Tierpark, der mit seinen über 1800 Tieren zu den bedeutendsten Zoos in Europa zählt. Stutzki half Besuchern auf die Elefanten und führte sie durch den Park; zunächst keine Herzensaufgabe. Er wollte einfach Geld verdienen und dann Architektur studieren. Aber schon bald stellte er fest, dass er viel lieber "Viecher pflegt" als für andere Leute Häuser zu planen. So begann er 1989 seine Ausbildung zum Tierpfleger, übernahm 1997 das "Eismeer"-Revier.

Und damit auch die Verantwortung für die Südamerikanischen Seebären (der wissenschaftliche Name dieser Robbenart: Arctocephalus australis) – für diese Räuber, die an Land so tollpatschig wirken, im Wasser aber pfeilschnell und wendig sind und mit schallempfindlichen Barthaaren Fischschwärme ausmachen können. Jetzt hören sie, dass Dirk Stutzki ihnen gleich fette Beute bringen wird. Der Pfleger verschwindet in der Futterküche, einem flachen Bau direkt hinter dem Robben-Quartier. Drinnen surrt eine Kühlzelle. Zwei silbern blitzende Wannen stehen an der Wand, in denen mehr als 60 Kilogramm aufgetauter Fisch liegen, im Winter die Tagesration für Robben und Pinguine. Stutzki füllt mit bloßen Händen Heringe, Makrelen und Sprotten in Plastikeimer. Karrt dann kiloweise Obst heran, Milchreis und Rindfleisch und vermengt alles: Das ist die Lieblingsspeise von Eisbärendame Fanny und Tochter Victoria, die noch ganz faul hinter den Gittern ihrer künstlichen Grotten liegen.
Draußen wird es langsam hell über dem "Eismeer" – zwei große Becken, hinter denen moosbefleckte Felsen aufragen. Ungeduldig zappeln darauf die Seebären herum, brüllen, bellen. Bis sich plötzlich eine Lücke auftut im Gestein. Erste Zoobesucher, die früh aufgestanden sind, um sich die Fütterung anzusehen, klatschen: Schon steigt Dirk Stutzki, eingewickelt in eine orangefarbene Schürze, aus einer verborgenen Tür im Fels: "Frühstück!" In einem Tempo, das man den dickbäuchigen Tieren kaum zutraut, rutschen sie die Steine hinab und schlittern dann wie Bowlingkugeln über das Ufer. Stutzki wirft im hohen Bogen Heringe, die die Seebären sicher im Maul versenken.
Wie werde ich Zoo-Tierpfleger?
Tierpfleger – das ist noch immer Dirk Stutzkis Traumberuf. Und nicht nur seiner: Tausende Jungen und Mädchen bewerben sich jedes Jahr um die knapp 80 Ausbildungsplätze in Deutschland, die vor allem die großen Zoos anbieten. Die dreijährige Ausbildung führt durch alle Reviere eines Tierparks. Zwischen den einzelnen Stationen besuchen die Auszubildenden die Berufsschule.
Dort lernen sie etwa, wie kranke Tiere behandelt werden, oder wie sie in freier Natur leben. Voraussetzung dafür, einen der Plätze zu ergattern, ist mindestens ein guter Haupt- oder Realschulabschluss, eine gute Beobachtungsgabe, Tierliebe, – aber auch ein dickes Fell. Denn im Zoo zu arbeiten, bedeutet nicht nur Füttern, Pflegen, Streicheln. Mitunter müssen auch Futtertiere etwa für die Tiger getötet werden. Weitere Informationen findet ihr unter www.zootierpflege.de.
Neulich, nach so einer Fütterung, kam mal wieder ein Besucher auf den Tierpfleger zu und behauptete lautstark, dass das alles nicht "artgerecht" sei. Schließlich brauche ein Seebär ein riesiges Jagdgebiet, um glücklich zu sein. So ein Quatsch, sagt Stutzki. "Sicher – schwimmt ein Seebär Hunderte Kilometer die südamerikanische Küste entlang, knurrt ihm der Magen.
Wenn er aber nach 30 Metern etwas zu fressen findet, dann schwimmt er nur 30 Meter. Wir fahren ja auch nicht zum Käsekaufen nach Frankreich, wenn es einen Supermarkt um die Ecke gibt." Mit solcher Kritik kann Stutzki umgehen wie ein Eisbär mit der Kälte: Der hat ein dickes Fell – und ist trotzdem empfindsam. Der Tierpfleger weiß , dass man an der 100 Jahre alten Anlage einiges verbessern müsste: An vielen Stellen bröckelt der Putz.
Ein eigenes Becken für die Eisbären, ein größerer Pool für die Seebären wären wünschenswert. Am besten rundum verglast, damit Besucher den Robben beim Paddeln zusehen können. "Dumm nur, dass in jedem Zoo ein Tier haust, das viele dieser Pläne stoppt", sagt Stutzki, "das Sparschwein."
Bei allem jedoch, was noch zu tun ist: Zoos wie Hagenbecks Tierpark sind schon lange keine Tiergefängnisse mehr – es wäre ihr Untergang. Denn überall dort, wo sich Tiere unwohl fühlen, da bringen sie auch keine Nachkommen zur Welt. Und das ist für Zoos seit 1973 wichtiger denn je. Damals wurde das sogenannte Washingtoner Artenschutzabkommen beschlossen. Zoodirektoren dürfen sich demnach nicht mehr, wie sie es bis dahin getan hatten, in der Savanne oder Arktis mit seltenen Tieren eindecken. Sie müssen sie züchten.
Im Falle einiger Tierarten ist das ein Segen: Gorillas, Pandas, auch Seebären sind in freier Wildbahn bedroht – weil Menschen ihnen das Futter und den Lebensraum streitig machen. Bei Hagenbeck muss man sich um den Seebären-Nachwuchs nicht sorgen: Vor zwei Jahren brachte Dame Conchita ihr Junges Poldi zur Welt, im Juni 2007 kam Diego. Und wenn alles gut geht, robbt schon Anfang Juli dieses Jahres wieder ein Winzling am "Eismeer"-Ufer (siehe Kasten unten).
Südamerikanische Seebären fühlen sich offenbar wohl in Hamburg – oder doch eher: bei Dirk Stutzki. Als der den größten Hunger seiner Dickerchen gestillt hat, bekommt er von Conchita einen Schmatzer auf die Backe, und Gringo, der Herr im "Eismeer", reicht ihm seine Flosse. Er trägt Stutzki sogar den Futtereimer hinterher. Zugegeben: Die beiden Seebären tun das nicht ganz freiwillig, sie werden anschließend mit einer ordentlichen Portion Fisch entlohnt – und mit dem Applaus einer Handvoll Zoobesucher.

Dirk Stutzki will mit solchen Vorführungen die Tiere gewiss nicht zu Pausenclowns machen. Aber wenn sich Seebären ohne Murren auf den Rücken legen und die Flosse kraulen lassen,dann ist auch Blutabnehmen im Ernstfall keine Qual. Und wenn Stutzki, wie in diesem Moment, mit der Hand ins Maul der Tiere langen darf, dann kann er Gräten entfernen. Oder Teile von Kinderspielzeug, das Besucher gedankenlos ins "Eismeer" werfen. Die neugierigen Robben probieren alles – und haben am Ende schlimme Schmerzen, weil sich Plastiksplitter im Maul festsetzen. "Gut geputzt", scherzt Stutzki nach der Mundpflege und klappt Gringos Schnauze zu.
Als die Seebären endlich satt sind und im grünlich schimmernden Wasser wieder Bahnen ziehen, hat Dirk Stutzki Zeit, sich selbst zu füttern. Sein Frühstück steht wie das seiner Tiere in der Kühlzelle. Was er den Seebären antworten würde, wenn sie fragen könnten: Warum sind wir eingesperrt? "Das würden die nicht fragen, hab schon mit ihnen gesprochen", sagt er zwischen zwei Happen Knäckebrot. Aber natürlich seien Zoos vor allem für Menschen da – um sie zu unterhalten und ihnen die Vielfalt der Tierwelt zu zeigen. "Denn nur was man kennt, hält man für wertvoll und schützenswert." Er schluckt. "Wer hat denn vor einem Zoobesuch schon einmal vom Südamerikanischen Seebär gehört?"