Weltretter Framespotting: Ein Vater-Tochter-Team in geheimer Mission

Das Vater-Tochter-Team
Das Vater-Tochter-Team
© GEOlino
Ihr Ziel: fremden Menschen eine Freude machen. Dafür hängen die beiden bunte Kunstwerke in den Straßen auf. Wer die Bilder entdeckt, darf sie abnehmen – und behalten

Ein Mädchen, neun Jahre alt, in einer belebten Straße in Hamburg. Ein Bus rauscht vorbei, Leute plaudern im Café, die Spätsommersonne brennt – so weit, so gewöhnlich. Doch dann biegt sie in eine Seitenstraße ein, bleibt stehen, zieht ein gerahmtes Bild aus ihrem Rucksack. Eine Giraffe auf Rollschuhen ist darauf zu sehen. Jetzt geht es schnell: Klebeband auf die Rückseite des Holzrahmens, das Bild an eine Hauswand halten – und fest andrücken. Einmal, zweimal.

Giraffe mit Rollschuhen
Giraffe mit Rollschuhen
© GEOlino

So wird es hängen bleiben, bis es jemand bemerkt, sich darüber freut und es mitnimmt. Denn im Rahmen klemmt ein Zettelchen mit einer Botschaft. Sie beginnt so: „Du hast mein Bild gefunden. Du darfst es behalten. Einfach so. Es ist mein Geschenk an Dich.“

Die Künstlerin, die sich nach dem Festkleben schnell aus dem Staub gemacht hat, nennt sich „kleine Komplizin“. Ihr Vater Paul hat sich die Aktion mit den geschenkten Bildern überlegt. Er ist sozusagen der Haupttäter. Oder besser: der Wohltäter. Mehr als 700 Kunstwerke haben der 48-Jährige und seine Tochter in vier Jahren schon aufgehängt. An Häuserwänden, Stromkästen, Fahrradhäuschen. In Deutschland, Österreich, Italien oder Portugal – denn auch im Urlaub haben sie welche im Gepäck.

Das Duo auf der Suche nach dem nächsten Ort, um Bilder aufzuhängen. 
Das Duo auf der Suche nach dem nächsten Ort, um Bilder aufzuhängen. 
© GEOlino

Auf ihren Missionen wollen sie lieber anonym bleiben. „Ich war mir erst mal nicht sicher, ob man das überhaupt darf“, erklärt Paul, „und außerdem geht es ja gar nicht um uns.“ Worum dann? „Wir wollen zeigen, dass es sich lohnt, mit offenen Augen durch die Stadt zu gehen, und dass man sich über kleine Dinge freuen kann.“ Die kleine Komplizin findet: „Es macht total Spaß, Sachen zu verschenken.“ Ungefähr 100 eigene Bilder hat sie schon zu dem Vater-Tochter-Projekt beigesteuert, das die beiden Framespotting getauft haben (übersetzt etwa: Rahmen entdecken).

Sobald die Rollschuh-Giraffe hängt, suchen sie sich den nächsten „Tatort“. Sie schlendern vorbei an parkenden Autos, einer Apotheke, laufen auf eine Kirche aus rotem Backstein zu. Hier vielleicht? Die kleine Komplizin hat heute drei Bilder dabei. Während ihr Vater am liebsten Fotos aufhängt, die er in aller Welt gemacht hat, zeichnet und bastelt sie ihre Motive. Einmal pro Woche besucht sie einen Kurs an einer Kunstschule, in dem sie verschiedene Techniken lernt – und Nachschub produziert. Aus ihrem Rucksack erscheint nun ein Porträt der berühmten Malerin Frida Kahlo: bunte Blumen im schwarzen Haar und ein Augenzwinkern im Gesicht. Zack – schon hängt das Bild an einem Laternenpfahl. Wie lange wohl? „Manchmal nur ein paar Minuten, manchmal Stunden. Das kommt ganz darauf an …“, sagt die kleine Komplizin.

Sie hat sich schon öfter mit ihrem Papa Paul „auf die Lauer gelegt“, also: unauffällig die Menschen beobachtet, die an ihren Bildern vorbeilaufen. Wie sie stutzen, staunen, nicken, lächeln – und sich verwundert umschauen. „Viele denken, da muss doch ein Haken dran sein, dass sie die Bilder einfach mitnehmen können“, erzählt Paul lachend. Dass sie bei ihrem Projekt im Verborgenen bleiben, gefällt der kleinen Komplizin besonders. Nur eine einzige Freundin weiß, dass sie hinter der bunten Straßenkunst steckt: „Das ist mein größtes Geheimnis“, sagt die Neunjährige – und es macht nicht nur Fremde glücklich, wie man auf dem Rundgang sehen kann: Die kleine Komplizin albert herum, schlägt Rad, hüpft im Bocksprung über Holzpfosten …

Auch wenn sie und ihr Vater anderen eine Freude machen, ohne eine Gegenleistung zu erwarten – eines wünschen sie sich schon: dass die Finderinnen und Finder sich bei ihnen melden. Auf dem kleinen Zettelchen am Rahmen steht, wie sie Kontakt aufnehmen können. Und tatsächlich: Viele haben Paul bereits geschrieben und ihre Geschichten erzählt. So wissen er und die kleine Komplizin inzwischen, dass ihre Kunstwerke an miesen Tagen gute Laune machen, bei Heimweh trösten oder sogar der Grund sind, überhaupt vor die Tür zu gehen (lest dazu auch die Erzählungen rechts). Jedes Mal, wenn sie ein neues Bild aufgehängt haben, veröffentlichen sie einen Hinweis darauf auf ihrem Instagram-Kanal @framespotting_hh – und die Suche kann beginnen.

Wüstenkatze
Wüstenkatze
© GEOlino

So geschieht es auch beim letzten Bild, das die kleine Komplizin an diesem Tag aufhängt: Die grummelig dreinschauende „Wüstenkatze“ landet an einer weißen Hauswand und blickt von dort auf eine Straßenecke. Wer wohl kommt und sie mitnimmt? Am nächsten Tag ist sie jedenfalls verschwunden – und die kleine Komplizin wartet auf Nachricht …