Sie kommen, kurz bevor die Sonne untergeht. Wie Konfetti wehen sie aus allen Himmelsrichtungen in die Kölner Altstadt. Sie segeln über den glitzernden Rhein, sausen durch die Uferstraße – schneller, als die Polizei erlaubt. Vor ein paar Jahren wurde tatsächlich ein Halsbandsittich geblitzt, an einem Ort rheinaufwärts. Als die Polizistinnen und Polizisten das Beweisfoto sichteten, staunten sie nicht schlecht: Der flotte Vogel hatte die Verkehrskontrolle mit 43 statt der erlaubten 30 Kilometer pro Stunde passiert. Darüber, dass quietschgrüne Papageien frei durch eine deutsche Stadt flogen, wunderten sie sich nicht, kein bisschen. Halsbandsittiche sind seit Langem am Rhein daheim. In Köln flattern sie zu Tausenden umher.
Warum sie es in der Dämmerung so eilig haben? Sie wollen einen Platz auf einer der Platanen ergattern! Die hohen Bäume am Rheinufer sind ein sicherer Schlafplatz, vor allem aber ihre Partner- und Info-Börse. Kaum dass sie dort sitzen, schnäbeln und schwatzen sie los – über alles, was sie tagsüber erlebt haben. Etwa: Leckere Knospen entdeckt! Vielleicht auch: Achtung, gefährliche Wanderfalken gesichtet! Ihre Geselligkeit mache die Papageien so schlau, sagt der Biologe Michael Braun: „Sie lernen aus den Erfahrungen der anderen.“ Seit Jahrzehnten belauscht und beobachtet Braun die Vögel, niemand im Land hat sie so intensiv erforscht wie er. „Mit großem Vergnügen.“
Etliche Kölnerinnen und Kölner sehen das allerdings anders. Vom Gezeter der Exoten sind sie ziemlich genervt. Nicht nur davon: Sie schimpfen auf die „Kackadeien“, wie sie die Sittiche nennen. Zu Recht? Biologe Braun legt seine Stirn zweifelnd in Falten …
Aber von vorn: Wie genau die Halsbandsittiche nach Köln kamen, weiß niemand genau. Sie stammen ursprünglich aus Afrika und Asien. Im 19. Jahrhundert brachten Reisende einige dieser Vögel mit nach Europa. Und dann, vor fast 60 Jahren, tauchten plötzlich die ersten wilden Halsbandsittiche in Köln auf. Waren sie Papageien-Züchtern und -Züchterinnen aus den Volieren entwischt? Waren sie ausgesetzt worden? Oder beides?
Gewiss ist: Die wärmeliebenden Vögel überlebten, sogar die deutschen Winter. Köln ist für sein mildes Klima bekannt. Der Rhein, der die Stadt teilt, funktioniert wie ein Wärmespeicher. Außerdem sind Halsbandsittiche nicht wählerisch, weder beim Futter noch bei den Brutplätzen. Sind Baumhöhlen besetzt, nisten sie sich eben in Hausfassaden ein, am liebsten im kuscheligen Dämm-Material – zum Riesenärger der Hausbesitzer und -besitzerinnen.
Die frechen Vögel vermehrten sich also prächtig. Mittlerweile leben etwa 25 000 Halsbandsittiche in mehr als 20 Städten, vor allem entlang des Rheins; nicht alle stammen von den „Kölnern“ ab.
Auf ihren täglichen Ausflügen düsen die Halsbandsittiche durch Parks, Friedhöfe und Gärten, oft haarscharf am Boden oder an Autos vorbei. Ihre Flugmanöver haben einen gewitzten Grund: Die Sittiche geraten so außer Reichweite ihrer ärgsten Feinde, der Wanderfalken. Die fangen ihre Beute nämlich im Sturzflug. Bloß: Wollten die Greifer die tieffliegenden Papageien packen, würden sie eine echte Bruchlandung riskieren. Also lassen sie es lieber … Und die Halsbandsittiche können in Seelenruhe selbst nach Fressbarem fahnden. Mit ihren roten Schnäbeln picken sie Samen und Früchte, klauben mit ihren geschickten Füßen Kerne aus Vogelfutterspendern.
Immer mehr Menschen, sogar Naturschützende, ärgert das. Sie fürchten: Die Zugeflatterten nehmen den heimischen Vögeln das Futter weg. Und sie verscheuchen diese aus den ohnehin raren Nisthöhlen in dicken Laubbäumen.
Michael Braun beschäftigt sich seit Langem mit solchen Sorgen. Er nimmt sie sehr ernst: Eingewanderte Arten sind schließlich ein Grund für das weltweite Artensterben. Doch die Halsbandsittiche sind wohl unschuldig. Warum? Erstens, sagt Braun: „Viele heimische Vögel sind Insektenfresser, die Sittiche dagegen Vegetarier.“ Um Futter streiten sie sich allenfalls mit Eichhörnchen.
Zweitens brüten die Papageien schon früh, ab Februar. „Sie sind darum keine Konkurrenz für Spechte, Kleiber oder Fledermäuse“, so Braun. Im Gegenteil: Viele dieser Arten nisten sich später im Jahr sogar gern in die Höhlen der Sittiche ein, die diese gepolstert und vergrößert haben. Wo die Sittiche leben, fühlen sich auch Hohltauben und Fledermäuse sehr wohl.
Nur die Klagen über den vielen Kot kann Michael Braun nicht so leicht, äh, wegwischen. Kehren die Halsbandsittiche allabendlich in ihre Schlafbäume am Rheinufer zurück, wird es dort nicht nur laut, sondern auch schmutzig. Doch Stadt-Verantwortliche haben vor Kurzem entschieden: Sie vertreiben die Vögel nicht, sondern machen einfach regelmäßig deren Dreck weg. Michael Braun freut das sehr: „Köln ist so bunt und weltoffen“, sagt er. „Die Halsbandsittiche passen prima hierher.“