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Frauen im Nationalsozialismus Lise Meitner: Die Professorin

Briefmarke mit dem Bild Lise Meitners
Briefmarke mit dem Konterfei von Lise Meitner
© Colourbox
Abitur machen, studieren, als Professorin arbeiten: Vor kaum mehr als 100 Jahren dürfen Mädchen all das nicht. Sie sollen Hausfrau und Mutter werden. Die junge Physikerin Lise Meitner (1878–1968) will mehr wissen und erreichen. Darum wagt sie sich nach Berlin, schon damals ein Zentrum der Wissenschaft

Das Leben der Lise Meitner

Das soll ihr "Labor" sein? Lise Meitner blickt sich um in der dunklen Holzwerkstatt, verborgen im Keller des Chemischen Instituts. Die junge Physikerin weiß nicht, ob sie lachen oder weinen soll. Immerhin: Sie darf im Jahr 1907 als erste Frau an der Berliner Universität forschen, seinerzeit eine der anerkanntesten weltweit.

Viele der großen Naturwissenschaftler arbeiten hier. Doch: Frauen, so gut sie auch sein mögen, sind nicht willkommen. Lise Meitner muss versprechen, die Werkstatt nur durch den Hintereingang zu betreten. Die gut ausgestatteten Labore der Männer sind tabu.

Die Zeiten ändern sich, werden besser. Denn die Zeit der Weimarer Republik ist eine Zeit des Aufbruchs für Frauen: Sie dürfen erstmals in der Politik, der Wirtschaft und Wissenschaft mitmachen. Davon aber wagt Lise Meitner anfangs, in ihrem "Keller", noch nicht einmal zu träumen.

Meitner kommt am 17. November 1878 in Wien zur Welt, als drittältestes von acht Kindern. Ihr Vater ist ein jüdischer Rechtsanwalt, der seine Tochter mit Büchern versorgt, sie fördert. Denn Lise ist wissbegierig. Sie will begreifen, was es etwa mit den schillernden Schlieren auf sich hat, die Öl auf einer Wasserpfütze zieht. Doch mit 14 Jahren endet für Mädchen die Schulzeit, aufs Gymnasium dürfen sie nicht.

Also büffelt Lise daheim allein weiter. 1901 legt sie als "Auswärtige" die Abiturprüfung ab und beginnt ein Physikstudium an der Wiener Universität. Dort erlangt Lise Meitner mit 28 Jahren den Doktortitel. Und nun?

Lise Meitner will die Radioaktive Strahlung erforschen

Meitner will nach Berlin, ausgerechnet dahin, wo Frauen noch nicht einmal als Studentinnen zugelassen sind. Und so steht das österreichische "Fräulein Doktor" im Frühjahr 1907 vor dem berühmten Physikprofessor Max Planck und erklärt, sie wolle "ein wirkliches Verständnis von der Physik" gewinnen. Planck lächelt zunächst müde, stimmt dann aber zu. Doch nur ein einziger Wissenschaftler will in Berlin mit Meitner zusammenarbeiten: der Chemiker Otto Hahn. Abends experimentiert er fortan mit ihr im Kellerlabor.

Ihr Forschungsgebiet: Radioaktive Strahlung - die bis dahin noch kaum erforscht ist. Die beiden ergänzen sich perfekt. "Hähnchen, lass mich das mal machen, du verstehst nichts von Physik", wird Lise Meitner einmal sagen, als Otto Hahn über den Experimenten brütet. Läuft die Arbeit gut, singen sie nebenbei Lieder von Brahms. Meitner ist glücklich, auch wenn sie sich vom knappen Geld, das ihr der Vater schickt, gerade mal Brot und Kaffee leisten kann.

Fünf Jahre arbeitet sie ohne Gehalt, obwohl sie international anerkannte Forschung betreibt, ehe sie endlich ein kleines Gehalt und ein besseres Labor bekommt. Berlin entwickelt sich derweil zu einem wichtigen Zentrum für Naturwissenschaftler.

Kurz erklärt: Radioaktive Strahlung

Atomkerne von Elementen wie Uran oder Radon zerfallen mitunter spontan, ohne äußere Einwirkung. Atombausteine schießen aus den Kernen. Dabei entsteht radioaktive Strahlung.

Neben Max Planck arbeiten dort auch bekannte Physiker wie Hans Geiger und das "Jahrhundertgenie" Albert Einstein – allesamt gute Bekannte von Meitner. Zwischen 1901 und dem Ende der Weimarer Republik 1933 gewinnen deutsche Wissenschaftler mehr als ein Drittel aller naturwissenschaftlichen Nobelpreise.

Auch das Team Hahn/Meitner wird zehnmal gemeinsam für den Nobelpreis nominiert - vergeblich. Ab 1912 forschen die beiden im neu gegründeten Kaiser-Wilhelm-Institut. Der Erste Weltkrieg unterbricht kurz ihre Arbeit.

Kurz erklärt: Der Nobelpreis

Der Nobelpreis ist die berühmteste Auszeichnung für Wissenschaftler. Seit 1901 wird sie alljährlich in den Kategorien Physik, Chemie, Medizin, Literatur und Frieden vergeben; seit 1968 auch für Wirtschaft.

Frauen im Nationalsozialismus: Grafik: Anzahl der Studierenden in Deutschland: Männer (grün), Frauen (rot)
Grafik: Anzahl der Studierenden in Deutschland: Männer (grün), Frauen (rot)

Lise Meitners Weg zur Professorin

Dann ist endlich die Zeit für starke Frauen wie Lise Meitner gekommen: In der Weimarer Republik dürfen sie ab 1919 wählen, weibliche Abgeordnete ziehen in den Berliner Reichstag ein. Knapp 1,5 Millionen Frauen verdienen als Angestellte eigenes Geld. An den deutschen Universitäten studieren 1920 immerhin fast 8700 junge Frauen, zehn Jahre später sind es schon mehr als doppelt so viele (siehe auch die Grafik oben).

Lise Meitner leitet ab 1918 eine eigene physikalische Abteilung am Institut. Vier Jahre später darf sie an der Berliner Universität unterrichten, 1926 wird sie dort sogar Professorin. Ganz verschwinden die alten Vorurteile jedoch nicht. In ihrer ersten Vorlesung beispielsweise spricht Meitner über "die Bedeutung der Radioaktivität für kosmische Prozesse". Die Zeitungen berichten darüber, schreiben aber von "kosmetischen Prozessen" - als könne sich eine Frau nur mit Kosmetik beschäftigen, nicht mit dem Kosmos.

Doch die Nazis beenden dieses Universitätsleben, das Meitner sich so gewünscht hatte. Nach der Machtübernahme 1933 (lest dazu auch ab Seite 40) verbieten sie der jüdischen Professorin zu unterrichten. Fünf Jahre lang forscht sie noch mit Hahn und einem zweiten Chemiker, Fritz Straßmann, weiter, ehe sie 1938 nach Schweden fliehen muss. Kurz danach gelingt Hahn die erste Kernspaltung, die später die Entwicklung von Kernkraftwerken und Atomwaffen ermöglicht. Eine Sensation!

Hahn selbst aber begreift das anfangs nicht. Ratlos beschreibt er seiner Freundin Lise Meitner in einem heimlichen Brief das Experiment. Und die liefert von Schweden aus prompt die physikalische Erklärung. 1944 erhält Otto Hahn für die Entdeckung der Kernspaltung den Chemie-Nobelpreis - allein, ohne seine langjährige Forschungspartnerin Lise Meitner!

Rückblickend könnte man denken: Ganz ist sie nie aus ihrem Kellerlabor herausgekommen, nie wurde sie wirklich gleichberechtigt behandelt. Aber Lise Meitner steht darüber. Sie forscht weiter und unterrichtet besonders gern Frauen, die sie ermuntert und bestärkt.

Lise Meitner hat vielen Forscherinnen den Weg geebnet. Immerhin machen junge Frauen in Deutschland mittlerweile fast die Hälfte aller Studierenden aus, und jede fünfte Professorenstelle ist heute von einer Frau besetzt.

Kurz erklärt: Kernspaltung

Wird ein Uranatom mit kleinen Teilchen, sogenannten Neutronen, beschossen, zerfällt der Kern in zwei kleinere. Es entstehen neue Neutronen, die weitere Kernspaltungen auslösen. Es kommt zur Kettenreaktion.

Frauen an die Universität!

Jahrhundertelang dürfen in Deutschland nur Männer studieren. Erst ab 1900 nehmen als Erste die Universitäten in Freiburg und Heidelberg Frauen auf, die Universitäten in Preußen folgen ab1908. Die Zahl der Studierenden insgesamt ist damals noch klein, der Frauenanteil verschwindend gering. Anfangs ist nur einer von 100 Studierenden eine Frau. Während des Nationalsozialismus ist das Studieren zeitweilig verboten, die Männer sollen kämpfen. Darum fehlen hier die Zahlen. Seit den 1970er-Jahren steigt der Frauenanteil. Heute studieren in etwa gleich viele Frauen wie Männer an über 400 Hochschulen in Deutschland.

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