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Psychologie Warum Peinlichkeit gut ist

Ein kleines Mädchen schämt sich und sitzt allein auf einer Wiese
Das Schamgefühl ist sehr alt - schon die Urmenschen kannten das unangenehme Gefühl
© puhimec / Fotolia
Das Herz beginnt zu rasen, das Gesicht wird heiß und rot: Wenn uns etwas Peinliches passiert, möchten wir uns am liebsten in Luft auflösen. Dabei ist das Gefühl eine gute Sache

Peinlichkeit als Warnsignal

Stellt euch vor: Kontrolle in der Bahn - und ihr habt eure Fahrkarte vergessen. Auf dem Klassenfoto hängt euch Grünzeug zwischen den Zähnen. Euer Hosenstall steht offen. Ihr lästert über einen Lehrer, der hinter euch steht. Im Unterricht pupst ihr unüberhörbar. Wie peinlich! Superpeinlich sogar!

In solchen Situationen möchte man doch am liebsten im nächsten Gully verschwinden, unter den Teppich kriechen, unsichtbar werden. Stattdessen leuchtet der Kopf knallrot wie ein Warnsignal. Und jeder weiß: In eurem Inneren ist gerade allerhand los…

Adrenalin schiesst durch die Adern

Wenn wir merken, dass wir uns blamieren, schaltet unser Gehirn blitzschnell ins Notfallprogramm. Ohne dass wir es steuern können, befiehlt es: Puls erhöhen, schneller atmen. Der Körper macht sich bereit zur Flucht. Er schickt das Hormon Adrenalin durch unsere Adern.

Es kurbelt die Durchblutung an, das Herz rast, die Blutgefäße weiten sich – und wir werden rot. Forscher fanden heraus: Auch unser Immunsystem antwortet offenbar auf peinliche Patzer. Es sendet Stoffe aus, die unser Körper sonst bei Infektionen ausschüttet. Nach einer Blamage können wir uns deshalb so schlapp fühlen wie bei einer Grippe.

Zwei Jugendliche schämen sich
Zwei Freunde schämen sich
© Colourbox

Sich zu schämen, schweißt zusammen

Wozu das alles gut ist? Die Fähigkeit, sich zu schämen, schweißt zusammen. Ohne sie kämen wir wohl kaum miteinander klar, denn in jeder Gemeinschaft gelten Regeln. Wer sie verletzt und sich benimmt, wie es ihm gefällt, wird schief angeguckt, bestraft oder – noch viel schlimmer – ausgegrenzt.

Für unsere Vorfahren, die in Gruppen jagten und sich gemeinsam versorgten, konnte das den Tod bedeuten. Also gaben sie mit rotem Gesicht, gesenktem Kopf, abgewendetem Blick zu verstehen: "Ich habe etwas falsch gemacht und fühle mich schlecht. Keine Bestrafung mehr nötig."

Tatsächlich versöhnen sich Menschen eher mit jemandem, der sich für seine Fehler schämt. In einem Experiment zeigte der britische Psychologe Antony Manstead Teilnehmern zwei Videos: Auf jedem war ein Mann zu sehen, der im Supermarkt eine Pyramide aus Klorollen umstößt.

Einmal zeigte er, dass ihm das Missgeschick peinlich ist. Das andere Mal verzog er keine Miene. Das Ergebnis: Die Zuschauer mochten den zerknirschten Tollpatsch lieber, hätten ihm sogar geholfen.

Kleines Mädchen auf einer Treppe bohrt in der Nase
Ein kleines Mädchen bohrt ungeniert in der Nase
© Elena Stepanova / Colourbox

Kleinkindern ist nichts peinlich

Vielleicht ist euch mal aufgefallen: Kleinkinder können sich noch nicht schämen. Sie bohren sich im Bus in der Nase oder reden laut über Fremde.

Damit uns etwas peinlich ist, müssen wir erst mal lernen, uns mit den Augen anderer zu sehen – und das gelingt Kindern erst ab etwa zwei Jahren.

Scham als Bestrafung im Mittelalter

Haben wir Scham aber verinnerlicht, kann sie eine Menge bewirken. Das wussten die Menschen schon vor langer Zeit.

Wer im Mittelalter etwas ausgefressen hatte, wurde an einen Schandpfahl gekettet und ausgelacht. Lügen über andere erzählen am Marktbrunnen? Zur Strafe musste man einen schweren Stein durch die Stadt tragen.

Vor den Augen anderer bloßgestellt zu werden, schreckt ab. Darum schicken Richter in den USA manche Diebe heutzutage nicht ins Gefängnis, sondern auf die Straße - mit einem "Ich habe gestohlen"- Schild um den Hals.

Scham ist kulturell bedingt

Schamgefühle sind nicht nur uralt, es gibt sie auch überall. Allerdings halten Menschen aus verschiedenen Ländern unterschiedliche Dinge für peinlich, je nachdem, welche Regeln bei ihnen gelten. Europäern ist schon ein Preisschild auf einem Geschenk unangenehm.

Chinesen schämen sich für öffentliches Naseputzen. Klar, dass sich bei so vielen Fettnäpfchen jeder mal blamiert. Dann hilft eben nur noch: rot werden, sich entschuldigen und zusammen lachen.

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