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Er tut so, als sei alles ganz einfach: "Die Beine hoch und langsam ziehen", kommentiert Konrad seinen Klimmzug. Mit nur zwei Fingern schwingt er seinen Körper am Drahtseil auf und ab. Manch ein junger Mensch würde ganz schön alt aussehen, müsste er die Übung nachmachen. Konrad dagegen blüht am Drahtseil erst richtig auf. Bis spät in die Nacht steht das Energiebündel auf der Bühne im Hamburger Dinner-Zirkus: Unermüdlich macht er seine Klimmzüge, tänzelt auf dem Drahtseil, macht Witzchen, lässt sich von den jungen Damen Küsschen geben und strahlt dabei über beide Ohren. Keine Frage: Konrads Leben ist die Bühne und das genießt er in vollen Zügen.
Ein Opa wie aus dem Bilderbuch
Konrad Thurano hat zwei Gesichter: Abseits der Bühne ist er ein kleiner, sympathischer alter Mann im schicken Anzug. Er hört schlecht und seine Augen wollen auch nicht mehr so richtig. Zurückhaltend scheint er auf den ersten Blick. Aber schon die verwegenen grauen Strähnen, die unter seinem Hut hervorblitzen, und seine freudestrahlenden Augen verraten es: Dieser Mann hat in seinem Leben viele Abenteuer erlebt.
Und in der Tat: Konrad hat fast die ganze Welt gesehen. Weltstars wie Charlie Chaplin hat er persönlich kennen gelernt. Tausende spannender Geschichten hat er auf Lager und er gerät so richtig ins Schwärmen, wenn er sie erzählt. Doch erzählen ist bei weitem nicht alles, was Konrad kann. Auf der Bühne lernen wir Konrads andere Seite kennen: Hier sprüht er förmlich vor Energie. Seit mehr als 81 Jahren steht Konrad schon in der Manege und ans Aufhören denkt er noch lange nicht.

Vom Schwimmbad aufs Drahtseil
Angefangen hat Konrads abenteuerliche Zirkuskarriere durch einen Zufall: Mit 15 tobte er mit Freunden im Strandbad herum, als ihn plötzlich Artisten vom Düsseldorfer Theater ansprachen. Ob er denn Lust auf Akrobatik habe, fragten sie. Und Konrad hatte große Lust!
Bevor es aber richtig losging, musste Konrad zuerst seine Eltern von seinem ungewöhnlichen Berufswunsch überzeugen. Die haben schnell eingesehen, dass Konrad mit so viel Spaß und Herzblut bei der Sache ist, dass sie es ihm gar nicht verbieten konnten, seinen Traum zu verwirklichen. "Der Beruf lag in mir", sagt Konrad heute, "die Liebe zur Artistik war von Anfang an da". Und ein Blick in Konrads strahlende Augen verrät es: diese Liebe ist bei ihm noch genauso vorhanden wie vor 81 Berufsjahren.
Nicht nur der Beginn seiner Artistenkarriere ist dem Zufall zu verdanken. Auch die Zusammenarbeit zwischen Konrad und seinem Sohn John entstand durch einen lustigen Zufall. John und seine Schwester führten ihre Drahtseilnummer auf, während Konrad als Assistent am Bühnenrand herumalberte. Er machte so viel Quatsch, dass ein Kellner dachte, er sei betrunken, woraufhin er den stocknüchternen Konrad von der Bühne schleppte. Die Zufalls-Nummer war natürlich ein echter Lacherfolg! Seitdem machen Konrad und John gemeinsam als Vater-Sohn-Team auf der Bühne Quatsch.

"Ich will oben sein"
Wenn Konrad eines nicht mag, dann ist es die Tiefe. "Unter die Erde komme ich schnell genug", sagt er. Ihn hat es von Anfang an immer in die Lüfte gezogen. Ein Auftritt auf einem 50 Meter hohen Masten - da wird vielen schon beim Zuschauen schwindelig. Konrad nicht, auch dann nicht, wenn er kopfüber im Handstand steht.
"Immer auf Achse"
Ständig neue Städte, neue Menschen, anderes Essen, anderes Publikum. Routine ist ein Fremdwort für einen Artisten. Konrad scheint für diesen Beruf geboren zu sein: "Wenn ich irgendwo zu lange bin, dann wird mir schnell langweilig." Und auch sonst schreckt er vor den Nachteilen, die der Beruf mit sich bringt, nicht zurück: Blaue Flecken oder Nasenbluten - kleinere Verletzungen sind Berufsrisiko und gehören für Artisten zur Tagesordnung. Konrad steckt sie weg, trotz seiner 96 Jahre: "Solange nichts gebrochen ist, arbeite ich weiter."
Licht und Schatten des Artistenlebens
Viele Kinder träumen davon, in einem Zirkus um die Welt zu reisen. Zugegeben: So ein Leben hört sich schon abenteuerlich an. Konrad und John kennen aber auch die Schattenseiten des Berufs: Auch ein besonders talentierter Artist muss ständig üben. Dazu braucht es eine Menge Disziplin.
Als Artist ist man nie lange an einem Ort. Ein richtiges zu Hause gibt es für Zirkusleute nicht. Viele kommen nicht damit klar, dass sie ununterbrochen unterwegs sind. Für Freundschaften, wie ihr sie wahrscheinlich gewohnt seid, bleibt im Artistenleben keine Zeit.
Trotzdem: Konrad ist noch heute sichtbar glücklich mit seiner Berufswahl, die er vor 81 Jahren getroffen hat. "Wenn ich nochmal lebe, würde ich genau dasselbe wieder machen!" Für ihn gibt es nichts Schöneres, als die Menschen mit seinem Bühnenprogramm zu unterhalten. Wenn er in fröhliche Gesichter schaut, ist er zufrieden mit sich. Das ist sein Lohn. "Millionär wollte ich nie werden", fügt er gelassen hinzu.
Mit viel Lust und Liebe
Was gibt jemand, der seinen Traumberuf so viele Jahre gelebt hat, Kindern mit auf den Weg? Egal, wofür man sich entscheidet, man muss Spaß und Freude an der Arbeit haben. "Wenn du was tust, und wenn die Liebe dazu da ist, dann wirst du auch was", sagt Konrad und wenn man ihn auf dem Drahtseil tanzen und dabei lässig sein Jacket schwingen sieht, weiß man, wovon er spricht.