Bei Rot über die Ampel gehen?
Das käme Wilke Reints nie in den Sinn: Er bleibt stehen. "Berufsehre!", sagt der Ingenieur. Denn Wilke Reints arbeitet bei Siemens in München – und damit daran, dass die Ampeln, die seine Firma im englischen Poole auch für deutsche Straßen baut, immer besser werden und den Verkehr in den Städten klug steuern. Eine ziemlich komplizierte Angelegenheit, weil alles mit allem zusammenhängt…
Schauen wir uns zum Beispiel die Friedrichstraße in Berlin an: Diese ist mehr als drei Kilometer lang und gesäumt von einigen der beliebtesten Geschäfte, Kaufhäuser und Theater der Stadt. Auf dem Weg vom einen Ende zum anderen queren Autos elf Ampelanlagen. Verändert man die Schaltung nur einer einzigen, gerät auf der Friedrichstraße alles aus dem Takt.
Das Wort "Ampel" stammt vom lateinischen Begriff Ampulla ab, was "Öllämpchen" bedeutet. Offiziell heißen Ampeln in Deutschland Lichtsignalanlagen.
Hochkomplizierte Straßennetze
Und das setzt sich wiederum in sämtliche Richtungen fort - in die Querstraßen und deren Kreuzungen - und so weiter. Das Straßennetz einer Großstadt im Gleichgewicht zu halten ist also hochkompliziert.
Deshalb sind die einzelnen Lichtsignalanlagen über Schaltkästen und leistungsstarke Verkehrsrechner miteinander verknüpft, die in der Leitzentrale jeder Stadt zusammenlaufen. Von Messstationen an wichtigen Kreuzungen erhalten diese über Funk, WLAN oder Kabel Informationen darüber, wie viele Autos wo unterwegs sind. So können sie die Ampeln in dem Gebiet aufeinander abstimmen.
Das ist vor allem zweimal täglich wichtig, zur sogenannten Rushhour (vom englischen "rush" = Eile und "hour" = Stunde): Wenn morgens und abends besonders viele Autos in die Stadt hineinoder wieder hinausfahren, bleibt der Verkehr auf den Hauptadern im Fluss. Die Grünphasen verlängern sich - Fußgänger und Autos aus den Nebenstraßen müssen länger warten.
Die erste elektrische Ampel in Deutschland wurde im Jahr 1922 in Hamburg aufgestellt. Die zweite folgte erst zwei Jahre später am Potsdamer Platz in Berlin.
Notfall: Grün auf Knopfdruck
Allerdings gibt es auch Städte, die in manchen Bereichen mit Ampeln das genaue Gegenteil erreichen möchten – den Verkehr abbremsen nämlich. Das verringert den Lärm und soll die Autofahrer so sehr nerven, dass sie nächstes Mal vielleicht das Fahrrad oder die U-Bahn nutzen. Gut für die Umwelt!
Was aber, wenn Feuerwehr, Polizei oder Notarzt durch die Stadt flitzen müssen? Technisch wäre es überhaupt kein Problem, den Fahrzeugen neben Blaulicht und Martinshorn eine "eingebaute Vorfahrt" zu verpassen. So könnten sich die Fahrer die Ampeln auf ihrem Weg selbst auf Grün stellen.
Allerdings würde das viel zu viel durcheinanderbringen. Doch in manchen deutschen Städten gibt es immerhin ausgesuchte Einsatzrouten für die Feuerwehr, die per Knopfdruck freigeschaltet werden.
Seit 1987 steht eine Ampel in Dresden dauerhaft auf Rot. Abbiegen ist nur nach rechts erlaubt - und das gestattet ein extra Pfeil. Die Stromrechnung für die sinnlose Ampel liegt bei jährlich 750 Euro!
Ampeln: Und in Zukunft?
"In Zukunft sollen Polizei, Feuerwehr und Rettungswagen konstant Grün erhalten. Sobald das Fahrzeug eine Kreuzung passiert hat, geht es sofort normal weiter", sagt Wilke Reints.
Aber werden wir in Zukunft überhaupt noch Ampeln brauchen? Überall auf der Welt tüfteln Ingenieure schließlich an Autos, die ohne Fahrer durch die Straßen gleiten sollen. Eroberten solche intelligenten Gefährte eines Tages tatsächlich unsere Städte, wären sie vermutlich direkt mit den Verkehrsrechnern verbunden – und Ampeln damit überflüssig.
"Für Fußgänger, Rad- und Motorradfahrer bräuchten wir aber immer noch ein Signal an jeder Kreuzung", sagt Siemens-Ingenieur Wilke Reints. "Ich halte es für viel wahrscheinlicher, dass in 20 Jahren sowohl automatische als auch handgesteuerte Fahrzeuge am Straßenverkehr teilnehmen. In diesem Fall bleiben uns die Ampeln noch lange erhalten."