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Hast du Töne?

Was unterscheidet Heavy-Metal-Gebrüll von rhytmischem Rap? Was versteht man unter Elektromusik? GEOlino.de stellt euch verschiedene extreme Musikstile und deren provokante Methoden vor…

Inhaltsverzeichnis

Gitarren und Gewalt

Der grobschlächtige Mann zerrt wütend an der Leine in seiner Hand. Sein Oberkörper ist bis auf einige eng um Schultern und Brust gezurrte Lederriemen nackt. Mit tiefer Stimme grollt er einige Worte ins Mikrofon – zieht wieder ruckartig an der Hundeleine. An deren anderem Ende windet sich ein dürrer Mann am Boden, versucht seinem Herrn verzweifelt zu entkommen. Hinter den beiden lodert Feuer im Takt der martialischen Gitarrenanschläge in den Nachthimmel. Vor ihnen johlen und schreien tausende Menschen, bejubeln das verstörende Schauspiel.

Provokation als Bandmitglied

Was zunächst nach einer kranken Gewaltphantasie klingt, ist in Wirklichkeit ein Konzert der Band "Rammstein". Sänger Till Lindemann und Keyboarder Christian "Flake" Lorenz sind schon ewig befreundet. Dass Flake sich von dem Sänger auf der Bühne immer wieder scheinbar demütigen lässt, ist Teil des Konzepts der Band. Provokation, so Gitarrist Paul Landers jüngst im Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen", sei von Anfang an ein wichtiger Bestandteil der Marke Rammstein gewesen. Nicht nur mit ihrer Bühnenshow, auch mit einigen ihrer Texte teilen die sechs Musiker die Nation in zwei Lager. Es geht um Gewalt und Sex. Oft beides. Das neue Album von Rammstein, "Liebe ist für alle da", wurde indiziert, darf nicht mehr an Minderjährige verkauft werden.

Rammstein Sänger Till Lindemann
Rammstein Sänger Till Lindemann
© Tim Mosenfelder/ Kontributor/ Getty Images Entertainment/ Getty Images

Sänger Till Lindemann zeigt sich für die kontroversen Texte verantwortlich. Sein Vater war Kinderbuchautor, die Mutter ist Journalistin. Das hört man auch: wenn Lindemann halb flüsternd, halb düster grollend seine Geschichten vorträgt, klingt es, als erzähle er ein modernes Horrormärchen. Die schweren Gitarren und der stampfende Takt des Schlagzeugs untermauern ein bedrohliches Gesamtbild.

Genau diese Mischung hat Rammstein weltweit berühmt gemacht. Ihre Konzerte sind immer ausverkauft. Wer sich nicht rechtzeitig Karten sichert, muss im Internet mit Preisen zwischen 100 und 300 Euro rechnen. Wegen der krassen Bühnenshow, die Flake gern "Theater" nennt, werden Fans in einigen Spielorten erst ab 18 Jahren eingelassen.

Rockende Kannibalen

Das ist bei anderen Bands bereits international Pflicht: die amerikanische Death Metal-Band "Cannibal Corpse" gilt als eine der härtesten Bands der Welt. Mit atemberaubendem Tempo dreschen die vier Musiker auf ihre Instrumente ein, während Sänger George Fisher in tiefster Tonlage Texte grunzt, die von Gewalt, Mord und Kannibalismus erzählen. Drei Alben der Band sind in Deutschland indiziert. Eines wurde komplett verboten. Einige Lieder dürfen nicht einmal live gespielt werden. Trotzdem spielt die Band aus dem US- Bundesstaat New York bei jedem Deutschlandbesuch in vollen Häusern. Trifft man Rammstein oder Cannibal Corpse abseits der Bühne, so trifft man auf freundliche, im Fall von Till Lindemann regelrecht schüchterne Menschen – und Künstler.

Kunst: Erlaubt ist, was gefällt

Das Tempo und Arrangement der Cannibal Corpse – Musiker ist bisher selten erreicht worden. Rammstein-Poet Lindemann machte für das jüngste Album Anleihen bei Literaturgrößen wie Johann Wolfgang von Goethe und Bertolt Brecht. Die Provokation, die Rolle, die sie auf der Bühne spielen, machte beide Bands berühmt und einzigartig. Im Interview mit "Spiegel Online" fasste "Flake" Lorenz zusammen: "Sonst will ja keiner mehr böse sein. Also übernehmen wir das."

Von Masken und Mützen

Ganz anders, aber nicht weniger provokant trat im Jahr 2004 ein Berliner Rapper auf: Eine silberne Totenkopfmaske, aggressive, demütigende Texte und permanentes Angreifen anderer Musiker machten Sido (Abkürzung für "Superintelligentes Drogenopfer") in Deutschland berühmt. Sido, der bürgerlich Paul Hartmut Würdig heißt, war der erste Rapper, der deutschen "Gangsta-Rap" in die Charts brachte. Damit wurde eine Lawine von Künstlern losgetreten, die fortan von Drogenkonsum, Gefängnis, Gewalt und Sex rappten. Die ehemalige "Underground"-Szene wurde gesellschaftsfähig.

"Aggro" gegen Alles

Rapper Sido
Rapper Sido
© Seeliger/ Imago

Die Hip Hopper des Berliner Plattenlabels "Aggro Berlin" taten sich 2004 und 2005 besonders hervor. Mit den Rappern Sido, Fler, B-Tight und Bass Sultan Hengzt waren hier die erfolgreichsten Gangsta-Rapper Deutschlands unter Vertrag. Sido erhielt 2004 sogar den Musikpreis "Comet". Mit dem Erfolg machte sich "Aggro" aber nicht nur Freunde: Der Berliner "Bushido", ehemals auch bei Aggro angestellt, verließ das Label im Sommer 2004 und trug den Streit mit den alten Kollegen öffentlich aus. Nach den Spielregeln der Szene heißt das, sogenannte „Disstracks“ zu veröffentlichen - Lieder, in denen ein Widersacher beleidigt und schlecht gemacht wird.

Medien und Musikkritiker nahmen die nur mittelmäßig gut produzierten Alben aufs Korn. Im Gegensatz zu Rock- und Metalmusik, bei der ein guter Gesamtsound maßgeblich für oder gegen den Erfolg einer Band spricht, wird bei der Produktion von Hip Hop nämlich besonders auf den Bass wert gelegt. Der musikalische Rest ist meistens nur hübsches Beiwerk. Den Rest erledigt der Rapper. Im Zuge der Kritik wurde den Musikern immer wieder vorgeworfen, sie würden die Grenzen des guten Geschmacks nur überschreiten, um überhaupt Grenzen zu überschreiten. Deshalb würden Themen gesucht, die die große Öffentlichkeit beträfen. Tatsächlich findet sich in den Texten neben Drogenexzessen, Gewaltphantasien und antipolitischen Aussagen auch ein besonders verzerrtes Frauenbild.

Wegen Frauenfeindlichkeit indiziert

Immer wieder werteten die Rapper Frauen ab, sprachen ihnen keinen besonderen Nutzen zu. Auf die Spitze getrieben wird dieses vor allem durch Rapper wie Vincente de Teba Költerhoff, besser bekannt als "Frauenarzt". Mit "Das geht ab" schrieb er einen der Sommerhits 2009. Ansonsten machte der Berliner durch die krasse Herabwürdigung von Frauen von sich reden. Über 15 seiner Veröffentlichungen wurden wegen Frauenfeindlichkeit indiziert. Manche davon sind inzwischen in einer neuen Auflage wieder erhältlich. „Frauenarzt“ kann sich nach dem Erfolg seines textlich wohl harmlosesten Liedes „Das geht ab“ nun über eine ganz neue Fanbasis freuen.

Alarm bei der Bundesprüfstelle

Auch wenn die Künstler selbst immer wieder beteuern, mit ihren Aussagen eine Rolle zu spielen – der Einfluss auf die Hörer ist groß. Laut der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien führt die Zurschaustellung der in den Texten immer wieder beschriebenen Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen zu einer Verrohung der Hörerschaft.

Aber auch Titel wie "Mörder Muzikk" oder "Verbrechen lohnt sich" (beide Alben indiziert) werden von der Prüfstelle nicht als harmlose Provokation eingestuft. Aus keiner anderen Musikrichtung werden pro Jahr mehr Veröffentlichungen auf den Index gesetzt..

Hinter der Maske

Szene-Pionier Sido tritt inzwischen anders auf: Die Maske trägt er heute nicht mehr, er war Juror bei verschiedenen Casting-Shows und bekennt sich zu seinem Sohn. Seit 2005 ist er mit der Sängerin der ehemaligen "Popstars"-Band "Nu Pagadi", Doreen, zusammen. Seine Lieder behandeln seine schwierige Kindheit und seine Ängste.

Schläge und Licht

Dumpf wummern Bassschläge durch den von Laserlicht durchfluteten Raum. Riesige Nebelmaschinen machen die spektakuläre Lichtshow besser sichtbar, weil die Nebelpartikel die Lichtstrahlen in alle Richtungen reflektieren. Einige hundert Fans tanzen hier zu Techno-Musik, einer der populärsten elektronischen Musikstile in Europa.

Techno ist - wie auch die artverwandten Stile Elektro und House - auf regelmäßigen und selten den Takt wechselnden Bassschlägen aufgebaut. Auf dieses Gerüst werden, je nach Stil, Melodien und weitere Takte gelegt. Jedermanns Sache ist der etwas eintönige Stil nicht. Die Fans aber schwören auf genau das: Zum Tanzen ist es hinderlich, sich komplexe Liedstrukturen anzuhören, finden sie. Die Monotonie und die stark überproduzierten Bässe lassen den Hörer die Musik förmlich spüren - und weil die Songs relativ einfach aufgebaut sind, kann der Tanz gut variiert werden.

Szene in Verruf

Viel Spielraum für gezielte Provokation, wie es bei Heavy Metal und Hip Hop der Fall ist, bleibt bei den elektronischen Stilen nicht. Die Texte beschränken sich in den meisten Fällen auf einige Zeilen, die als Refrain eingespielt werden. Viele Lieder haben überhaupt keinen Text.

Berüchtigt wurden die Parties der Szene trotzdem, doch waren dafür nicht die Musiker, sondern die Fans verantwortlich: Drogenexzesse sind fast immer wesentlicher Bestandteil der Parties. Wie in regelmäßigen Berichten der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZGA) dargelegt wird, ist die Palette der konsumierten Drogen groß, vom "leichten" Marihuana über Kokain und Ecstasy bis hin zu starken Halluzinogenen. Auf den großen Festivals der Szene muss deshalb ständig geprüft werden, wer illegale Drogen mit sich führt. Dass jemand an den Nachwirkungen der Drogen zusammenbricht, ist für die Festivalbesucher normal.

Hast du Töne?
© Thomas Frey/ Imago

Künstler als Konsumenten

Auch die Djs, die die Musik produzieren, sind oft vor den Verlockungen der Drogen nicht gefeit. Der Hamburger DJ Sven Väth gestand dem Magazin "Vanity Fair", er habe mit 24 Jahren die Geburt seines Sohnes im Kokainrausch erlebt. Da habe er gemerkt, dass er "diese Teufelsdroge" aus seinem Leben verbannen müsse. Erst zwölf Jahre später beendet er einen entsprechenden Entzug. Ecstasy hingegen wolle er nicht absetzten, das sei "immer positiv" gewesen.

Diese Auffassung teilt auch der in Deutschland sehr beliebte DJ Moby. In enem Interview mit der "Zeit" schwärmte er 2008 vom Drogenrausch und bedauerte, keine mehr zu nehmen.

"Normale" Fans sind die Leidtragenden

Auch wenn die Zahl der Drogenkonsumenten auf Parties der elektronischen Szene laut BZGA von Jahr zu Jahr zunimmt gibt es auch sehr viele "normale" Fans. Diese werden schnell wegen ihrer Szenezugehörigkeit geächtet. Technofans und Drogen - dieser Zusammenhang hat sich längst in das öffentliche Bewusstsein gebrannt. Die "sauberen" Fans geraten daher oft in den Verdacht, ebenfalls Drogen zu konsumieren. Für viele ein schmerzhafter Umstand.

Das aber passiert bei allen vorgestellten, extremen Musikrichtungen: Als ihr Fan gilt man schnell als Sonderling, Gewalttäter, Gangster, Frauenhasser oder Drogenabhängiger. Dabei haben die meisten Fans nur eben den Spaß an der Provokation mit den Künstlern gemeinsam.

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