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Die Schule der Zauberlehrlinge

Sie lassen Bälle verschwinden und lösen Knoten in Luft auf: In einem Schloss bei Köln lernen Zauberschüler verblüffende Tricks. Wie die funktionieren, dürfen sie niemandem verraten. Denn nur wer diese Geheimnisse bewahrt, kann die Zuschauer wahrlich zum Staunen bringen Mit Audio!

Inhaltsverzeichnis

Der Zauberer zittert. Hektisch kramt Johannes in seinem silbernen Koffer, zieht erst ein langes Seil heraus, dann ein orangefarbenes Tuch. Eine Lampe wirft die langen Schatten der Zuschauer vor seine Füße, niemand sagt ein Wort. "Meine Damen und Herren!", beginnt er. "Es gibt in Indien Menschen, die knoten ihre Badehosen zum Trocknen auf die Leine. So sparen sie die Wäscheklammern", erklärt der Zauberer und knüpft mit flinken Fingern das Tuch fest an das Seil. Er zerrt zum Beweis am Stoff. "Wenn aber der Regen wie aus Eimern herunterkommt, bauen die Inder unsichtbare Löcher in die Leine, um die Wäsche schnell abzunehmen - wie ich." Er zieht leicht an dem Tuch - und hält es urplötzlich in der rechten Hand, links baumelt das Seil. Johannes blickt in verdutzte Gesichter. "Wie hast du das bloß gemacht?", fragt eine der Mütter. Der Zehnjährige lacht stolz. Den Trick mit der indischen Badehose verrät er nicht!

Johannes' großer Auftritt: Obwohl das rote Tuch mit einem Doppelknoten am Seil befestigt wird, kann Johannes es mit einem Handgriff wieder lösen
Johannes' großer Auftritt: Obwohl das rote Tuch mit einem Doppelknoten am Seil befestigt wird, kann Johannes es mit einem Handgriff wieder lösen
© Oliver Tjaden

Den ganzen Nachmittag haben er und fünf andere Mädchen und Jungen für diesen Auftritt vor ihren Eltern geübt. Um sie zu verblüffen. "Dann erlauben sie mir nämlich noch einen Zauberkurs", sagt Johannes und grinst. Zwei hat er schon belegt. Und auch Marvin und Moritz, Piet, Alice und Judith wollen noch mal die Zauberschule besuchen.

Kein Hokuspokus

Alice und Judith trauen ihren Augen nicht: Wie von Zauberhand lässt Peter Helter den Ball zwischen den Fingern wandern. Der Rheinländer zaubert seit seinem siebten Lebensjahr
Alice und Judith trauen ihren Augen nicht: Wie von Zauberhand lässt Peter Helter den Ball zwischen den Fingern wandern. Der Rheinländer zaubert seit seinem siebten Lebensjahr
© Oliver Tjaden

Diese magische Schule liegt in Rösrath bei Köln: Eine alte Steintreppe führt hinunter in den Zauberkeller des Schloss Eulenbroich. Ein uraltes Gewölbe - verwinkelte Gänge enden in niedrigen Räumen. Es gibt keine Fenster. Der Geruch von Lehm liegt in der Luft. Nur der Zauberlehrer, der die Kinder am frühen Nachmittag begrüßt, passt nicht ganz in diese Umgebung. Peter Helten trägt keine dunkle Robe, keinen spitzen Hut. Stattdessen eine bunte Weste, gelbe Hosen, orangefarbenes Hemd. Und dann, als er mit seinen Lehrlingen im Stuhlkreis sitzt, sagt er auch noch: "Niemand kann zaubern! Übersinnliche Kräfte gibt es nicht!"

Moritz lässt seinen Kopf in den Nacken fallen, als er das hört. Hinter ihm im Regal stehen vier "Harry Potter"-Bände. Das ist pure Fantasie, der Elfjährige weiß das. Aber ein bisschen so wie Harry würde auch er gern sein. Da tippt ihm Peter Helten aufs Knie. "Wir können die Menschen trotzdem bezaubern", sagt er. "Wenn sie unsere Tricks mit offenem Mund und strahlenden Augen bewundern - das ist dann wahre Magie!" Der Zauberlehrer steht auf und holt mit einer flinken Handbewegung einen Ball aus Alices Ohr. Die Kinder staunen. "Seht ihr!", sagt der 53-Jährige. "Also los!"

Hartes Training statt Simsalabim

Zum Aufwärmen tänzelt er mit den Fingern blitzschnell auf seinen Oberschenkeln. Die Lehrlinge versuchen, es ihm nachzumachen: Doch bei ihnen blockieren sich dauernd Daumen und Zeigefinger. Einige schimpfen, Peter Helten tröstet. Genauso habe auch er begonnen, damals, sieben Jahre war er da. Sein Vater, selbst Hobbymagier, schenkte ihm zu Weihnachten einen Zauberkoffer - und der Sohn trickste von da an jeden Tag.

Aufwärmtraining: Die Zauberlehrlinge schütteln ihre Hände und wackeln mit den Fingern - so schnell, dass die kaum mehr zu erkennen sind
Aufwärmtraining: Die Zauberlehrlinge schütteln ihre Hände und wackeln mit den Fingern - so schnell, dass die kaum mehr zu erkennen sind
© Oliver Tjaden

Er übte wie ein Besessener, ließ Tücher und Geldmünzen vermeintlich im Nichts verschwinden und Meerschweinchen aus dem Hut krabbeln. Er wurde deutscher Vizemeister in der Kinderzauberei und war fünftbester Kartenmagier bei der Weltmeisterschaft. Heute tritt er bei großen Veranstaltungen auf. Und lehrt Erwachsene und Kinder seine Kunst.

Unten im Gewölbekeller bringen die Lehrlinge gerade Taschentücher zum Stehen und lassen sie - wie von unsichtbaren Fäden gezogen - in eine bestimmte Richtung fallen. Ob jemand auch noch den Ringtrick beherrsche? "Na klar!", ruft Johannes. Er zieht einen weißen Ring auf eine rote Schlaufe und klemmt diese auf Judiths Hände. Er zupft an der Schlaufe, schon ist der Ring befreit. Ohne sie zu lösen!

Versprochen ist versprochen!

Keine Zauberei ohne die richtig Ausrüstung: Bäller, Becher und vor allem: Zauberstäbe!
Keine Zauberei ohne die richtig Ausrüstung: Bäller, Becher und vor allem: Zauberstäbe!
© Oliver Tjaden

Johannes streicht sich die braunen Strubbelhaare aus der Stirn. Kürzlich hat er seinen Bruder mit diesem Trick total verblüfft. Und der wollte dann unbedingt wissen, wie die Sache funktioniert. "Aber ich habe dichtgehalten", sagt er. "Ist ja Zaubererehrenwort!" Jeder, der zu Peter Helten kommt, muss versprechen, die Tricks nicht zu verraten. Da ist der Lehrer ungewohnt streng. "Wenn die Zuschauer wissen, wie der Trick funktioniert, können wir sie nie mehr zum Staunen bringen. Aus der Zauber!" Nur so viel will er verraten: "Zauberer bewegen ihre Finger so schnell und so geschickt, dass Augen und Verstand der anderen nicht mitkommen." Dann entstehen Lücken im Gehirn, die es selbst füllt. Je mehr Fantasie ein Mensch hat, desto magischer sind die Momente.

Johannes und die anderen staunen. Peter Helten führt ihnen einen neuen Trick vor, den mit der indischen Badehose. Im Handumdrehen löst er das verknotete Tuch von der Leine. Johannes schaut genau zu. Doch es sieht einfacher aus, als es ist. Bei ihm bleibt das Tuch später dauernd hängen und verknotet sich. Der Junge übt weiter. Er will den Trick am Abend vorführen. In solchen Momenten, sagt er, wünsche er sich einen Zaubertrank: "Schluck - funktioniert." Er überlegt einen Moment. Nein, doch lieber nicht. "Dann könnte ja jeder aus der Klasse zur Apotheke gehen." Und Zaubern wäre nichts Besonderes mehr.

Mehr zu Harry Potter gibt es hier:

GEO Nr. 05/97

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