Manchmal ist Arztsein wie Detektivspielen: Man steht vor einem Rätsel, muss viele Spuren verfolgen und am Ende messerscharf auf den Übeltäter schließen. So ging es auch Robert Lustig.
Der Kinderarzt von der Universität von Kalifornien in San Francisco knabberte schon lange an einem Problem: Warum, fragte er sich, werden die Menschen in Amerika immer dicker und dicker? Sage und schreibe zwölf Kilogramm hatten Männer und Frauen in den vergangenen 25 Jahren durchschnittlich zugelegt! 20 Millionen Kinder schleppten und schleppen schweres Übergewicht durch die Gegend. Sogar sechs Monate alte Säuglinge in Robert Lustigs Klinik sahen immer öfter aus wie aufgepumpt!
Amerikaner essen besonders viel Zucker
Unaufhaltsam wie eine Grippe-Epidemie breitete sich das Dicksein unter den Amerikanern aus, und damit auch viele Beschwerden, die typisch für Mollige sind: Gelenkprobleme und hoher Blutdruck, Herzinfarkte und Diabetes - auch Zuckerkrankheit genannt. Manche Experten glauben sogar, dass ein paar Krebsarten durch Dicksein entstehen können.
Robert Lustig forschte nach: Wurden die Leute durch fettes Essen dick? Nein. Fett, das zeigten Untersuchungen, aßen die Amerikaner kaum mehr als früher. Waren die Gene der Bevölkerung schuld? Quatsch. Die verändern sich nicht so schnell. Oder bewegten sich die Menschen weniger? Auch nicht. Denn warum sollten dann Babys zugenommen haben; die tobten auch vor 25 Jahren nicht auf dem Fußballplatz herum.
Schließlich blieb nur eine Lösung übrig: "Zucker!", sagt Robert Lustig. "Davon essen die Menschen heute dreimal so viel wie vor 50 Jahren." Tatsächlich scheinen Männer und Frauen überall auf der Welt regelrecht zuckersüchtig zu sein: Sage und schreibe 58 Kilogramm Zucker verputzen Amerikaner durchschnittlich pro Jahr, Australier sogar 62. Deutsche liegen mit 36 Kilogramm zwar noch ein Stück dahinter. Aber auch mit dieser Menge könnte man einen 132 Meter hohen Turm aus Zuckerwürfeln bauen!
Der versteckte Zucker im Essen
Moment, sagt ihr jetzt vielleicht: So viele Süßigkeiten esse ich doch gar nicht! Doch das ist gar nicht nötig. Denn heute sind fast alle Lebensmittel verzuckert.
Schon eine Pizza Hawaii enthält etwa sechs Stück Würfelzucker. Ein Liter Instant-Tee 31. Ein Liter Cola 36. Tomatensuppe aus der Tüte? Besteht fast zur Hälfte aus Zucker. Ähnlich Ketchup: Bis zu 82 Würfel stecken pro Liter darin - man könnte auch genauso gut Tomatenmarmelade dazu sagen.
Und so geht das weiter: Joghurt, Cornflakes, Brot… Sogar Kartoffelsalat wird mächtig gesüßt!
Warum Hersteller Zucker in fast jedes Lebensmittel schütten
Hersteller schütten den Stoff an fast jedes Essen, weil sie viel davon verkaufen wollen - und wer Zucker isst, isst mehr. Das hat zwei Gründe. Erstens schmeckt Süßes fast allen Menschen gut. Wenn man unsere Vergangenheit ansieht, ist das auch logisch.
Denn unsere Vorfahren, etwa in der Steinzeit, hatten oft nur wenig Nahrung. Jede Energiequelle war für das Überleben wichtig. Und Zucker enthält viele Kalorien, also Energie. Unser Gehirn hat sich deshalb gemerkt, dass "süß" auch "gut" ist, und macht uns Appetit darauf.
Das Problem ist: Heute haben die meisten Menschen in Europa oder Amerika viel mehr Nahrung, als sie zum Überleben brauchen. Aber das Verlangen nach Süßem ist geblieben. Schon Babys fangen bei Zucker an zu strahlen. Die überschüssigen Kalorien speichert der Körper als Fett.
Der zweite Grund, warum wir viel Süßes essen können: Zucker hält nicht lange satt. Um das zu verstehen, schauen wir uns kurz an, was im Körper passiert: Das Essen wird in Mund, Magen und Dünndarm in seine Bestandteile zerlegt. Diese gelangen ins Blut und werden von dort verteilt, zum Beispiel in die Muskelzellen. Dieser Vorgang kann Stunden dauern.
Währenddessen melden Botenstoffe dem Gehirn: "Keine weitere Nahrung nötig!" Wir haben keinen Hunger. Zucker bringt diese Vorgänge durcheinander. Manche Sorten, wie Traubenzucker (Glukose), zischen regelrecht ins Blut und in die Zellen. Die Folge: Wir haben nach kurzer Zeit schon wieder Kohldampf.
Noch schlimmer: Fruchtzucker
Noch schlimmer ist Fruchtzucker (Fruktose). Er hat quasi eine Tarnkappe: Der Körper bemerkt ihn kaum und schüttet wenige Botenstoffe aus. Wir können deshalb literweise Fruchtsäfte schlürfen, ohne satt zu werden.
Für Robert Lustig sind süße Drinks wie Cola oder Orangensaft daher die Dickmacher Nummer eins. Ein weiteres Problem des Fruchtzuckers: Er landet im Körper in der Leber und wird dort zu Fett verarbeitet, ähnlich wie Alkohol.
Und ebenso wie Bier oder Wein kann er in großen Mengen das Organ sogar schädigen.
Aber wie sollen sich Menschen dann ernähren? Ganz auf Süßigkeiten verzichten? Kein Obst mehr essen - obwohl darin wichtige Vitamine stecken?
Das ist gar nicht nötig. Robert Lustig schlägt vor, einfach Früchte zu essen, statt Säfte zu trinken. Denn ganze Orangen oder Trauben enthalten viele Fasern. Diese Ballaststoffe sind gesund und schließen den Zucker erst einmal ein, sodass er nicht so schnell ins Blut gelangt.
Ein weiterer Tipp: Bei Lebensmitteln auf der Packung vergleichen, wie viel Zucker darin steckt. Nicht jedes Müsli ist eine Süßigkeiten-Bombe. Oder den Zucker hin und wieder ersetzen. Es gibt auch andere Süßmacher, die weniger schädlich sind. Zum Beispiel Stevia. Die Pflanze aus Südamerika ist etwa 300-mal so süß wie Haushaltszucker und versüßt schon eine Menge Konfitüren, Joghurts und Limonaden. Und das, obwohl sie fast gar keine Kalorien hat.