
Was für eine traurige Truppe!
Die Ausbilder im Amerikanischen Bürgerkrieg könnten verzweifeln: Als die Kämpfe im Jahr 1861 beginnen, melden sich zwar viele Männer freiwillig zu den Waffen. Aber vom Marschieren verstehen diese Soldaten überhaupt nichts. Bei den Kommandos "rechts" und "links" stolpern sie durcheinander.
Bevor sich die Anfänger noch umrempeln wie Dominosteine, bekommen sie den Befehl: Jeder Soldat soll sich ein Bündel Stroh an den rechten und ein Bündel Heu an den linken Stiefel binden. Die Kommandos lauten nun "Heufuß!, Strohfuß!". Und siehe da: Die Männer marschieren im Gleichschritt.
Diese Geschichte ist zwar mehr als 150 Jahre alt, aber auch heute noch bringen rechts und links viele Menschen aus dem Takt. Umfragen zufolge fällt die Unterscheidung jedem Vierten schwer. Wir müssen scharf nachdenken, wenn uns jemand nach dem Weg fragt, wenn wir uns bei anderen Tanzschritte abgucken - oder wenn wir als GEOlino-Redakteure Fotos beschriften… Fast alle Leute reagieren schneller, wenn sie statt rechts oder links angeben sollen, wo oben oder unten ist. Warum ist das so?

Der angeborene Kompass
Rechts und links machen uns zu schaffen, weil unser Gehirn von Geburt an anders programmiert ist. Das haben wir unseren Vorfahren zu verdanken: Vor Jahrmillionen fanden die sich zurecht, indem sie nach den Himmelsrichtungen Ausschau hielten oder sich an der Umgebung orientierten - an Bergen, Flüssen, Bäumen, Felsen. Kommen wir auf die Welt, machen wir es erst einmal genauso wie sie.
Bis Kinder etwa sechs Jahre alt sind, ordnen sie ihre Welt nach äußeren Merkmalen. Viele Experimente zeigen das. Zum Beispiel dieses: Jungen und Mädchen legten eine Reihe von Stofftieren vor sich hin. Auch wenn sich die Kinder im Raum umdrehten, sollen die Tiere wieder in die gleiche Richtung zeigen. Das Ergebnis: Vierjährige sortierten die Tiere so, dass etwa ein Papagei immer an der einzigen grünen Wand lag. So landete er vom Kind aus betrachtet abwechselnd auf der rechten oder linken Seite.
Achtjährige hingegen legten immer das gleiche Tier rechts vor ihrem eigenen Körper ab, sodass es mal in diese, mal in jene Himmelsrichtung zeigte. Sie hatten schon gelernt, die Welt wortwörtlich von ihrem eigenen Standpunkt aus zu betrachten. Weil diese Strategie aber nun mal nicht angeboren, sondern mühsam gelernt ist, macht sie zahlreichen Menschen das Leben schwer.
Es geht auch ohne Rechts und Links
Viele Völker ersparen sich den Ärger, weil sie rechts und links nicht kennen. In den meisten der weltweit 6000 Sprachen kommen diese Begriffe nicht vor, sagen Wissenschaftler. Wie man sich sonst in Ureinwohner-Kulturen verständigt? Etwa so: "Da ist eine Mücke auf deinem südlichen Arm." Urvölker in Indien, Mexiko, Namibia oder Australien kommen nicht nur bestens ohne links und rechts aus - sie sind uns mit ihrer Orientierungsweise sogar überlegen.
Forscher haben das festgestellt, als sie mit einem Aborigine-Volk durch den australischen Busch wanderten. Mitten im Dickicht sollten die Aborigines zeigen, wo sich ihre Siedlung befindet. Sie lagen jedes Mal genau richtig! Das gleiche Experiment mit Holländern in einem Wald ergab: Fast alle hatten sich verlaufen und fanden ihr Zuhause nicht auf Anhieb wieder.

Die Stadt ist Schuld
Warum also quälen wir uns mit rechts und links, obwohl es andere Systeme gibt? Schlicht und einfach: Weil die meisten Menschen in Städten leben und sich den Blick auf die Natur verbaut haben. Wer sich zwischen Häuserwänden bewegt, dem helfen Sonnenauf- und -untergang, Flüsse oder Berge beim Zurechtfinden nicht weiter.
Die Rechtslinks-Taktik ist darum mit dem Bau der ersten Städte entstanden, vermuten Wissenschaftler. Das erklärt übrigens auch, warum die Ausbilder ihre Kriegstruppen einst mit Heu- und Strohbündeln auf Kurs bringen mussten: Die meisten der freiwilligen Soldaten kannten kein rechts und links - weil sie vom Land kamen.