Um Punkt 19.28 Uhr höre ich auf, Katharina zu sein, und verwandle mich in die Feuermagierin Selesha. Schön bin ich, wortgewandt und klug, im Kampf aber heillos unterlegen. "Halt dich in Schlachten ja zurück", rät mir Claudia, unsere Spielleiterin. "Magierinnen können alles, nur nicht ein-stecken." Kaffee und Cola stehen bereit. Dämmerlicht im Wohnzimmer. Dann geht die Reise los.
Spielleiterin (SL): Willkommen in der Stadt Arwingen. Das Schicksal hat euch hier in den Hafen gespült. Schiffe schwanken in der Kristallsee. Nur der von euch erwartete Segler ist nicht da. Wertvolle Waren und ein junger Zauberlehrling sollen an Bord sein.
Eshi: Weiß man, wo sich das Schiff befindet?
SL: Noch nicht.
Arrou: Kennt man den Grund für das Verschwinden? Ein Unfall? Piraterie?
SL: Nein, es ist ein großes Rätsel ...
Wir sitzen um einen flachen Tisch: Alchemist Eshi, der eben noch Tom hieß, neben ihm Lars, der die Rolle des Ritters Cederion angenommen hat, außerdem der wolfsgleiche Krieger Arrou, Originalname: Tobi. Regelmäßig treffen sie sich, um für einige Stunden in Welten voller Rätsel und Abenteuer abzutauchen. Diesmal nehmen sie mich mit. Eine Premiere - für alle. Denn wir spielen das Rollenspiel "Splittermond", reisen in Gedanken nach "Lorakis", eine nagelneue Welt (siehe Karte oben), die meine Gefährten mit erschaffen haben.
"Splittermond" folgt denselben Grundregeln wie alle anderen Rollenspiele auch: Es gibt kein Spielbrett, keine Kostüme, nur ein paar Würfel und unsere Fantasie. In der er-leben wir gemeinsam ein Abenteuer. Ein Spielleiter, in unserer Runde "Meisterin" Claudia, gibt die Grundzüge der Geschichte vor. Sie ist Regisseurin, Erzählerin und Schiedsrichterin zugleich. Sie mischt sich ein, türmt Hindernisse auf, gibt versteckte Hinweise.
SL: Mittagszeit. Noch immer Hektik im Hafen, niemand weiß Genaues. Nur von einer Seealbe ist die Rede, die das Unglück beobachtet haben soll. Sie sitzt in der Schenke unterhalb des Rathauses.
Eshi: Nichts wie hin!
SL: Ihr betretet eine Gaststube, die Luft geräuchert vom Kaminfeuer. In der Ecke sitzt hinter einem
Silberkrug die Albe.
Cederion: Schöne Maid, uns kam zu Ohren, Sie wüssten, wo das vermisste Schiff aufgelaufen ist.
SL: Würfele eine Probe gegen 15!
Cederion greift zu zwei zehnseitigen Würfeln. Immer wieder werden die im Spiel entscheiden. Cederion braucht nun mindestens 15 Punkte, um die Albe zu überzeugen, die Wahrheit zu sagen. Wir haben Glück, es fällt eine 17!
SL: Die Seealbe erzählt euch, dass sie das Schiff am Morgen nahe der Steilküste gesehen habe, 20 Meilen von hier Richtung Osten.
Selesha:Wartet, ich werde uns dank meiner magischen Kräfte dorthin zaubern...
Mein erster Einsatz, meine Gefährten lächeln milde. "Nein, Selesha", sagt Cederion, "das kannst du nicht." Er weist mich auf diese lange Liste vor mir hin: meinen Charakterbogen. Der klärt, was ich kann: reden, Flammen werfen, Schriftzeichen erkunden, aber eben nicht Menschen davonhexen. Für jede Rolle gibt es solche Anweisungen. Ich finde das verwirrend: dass es ausgerechnet für eine Fantasie-Welt ein daumendickes Regelwerk gibt. Tobi erklärt: "Ohne Regeln würden sich alle als Helden geben, die alles können. Das wäre doch langweilig."
Unsere Fantasy-Reisegruppe hat sich unterdessen aufgemacht zur Steilküste. Eshi lenkt den Ochsenkarren durch weglosen Wald. Wir anderen sitzen hinter ihm, plaudern über Zaubersprüche. Weit weg ist mittlerweile die wahre Welt.
Arrou: Wann sind wir da?
SL: Würfele eine Probe auf Wahrnehmung gegen 15! (Arrou würfelt 20 Punkte.) Ihr kommt mit dem ersten Licht des Tages an der Küste an.
Ein Handyklingeln holt uns gegen 23 Uhr zurück in die Wirklichkeit. Außerdem ist der Kaffee alle. Kurze Pause, Zeit für Fragen: Tobi, wie seid ihr auf den Weltnamen "Lorakis" gekommen? "Da saßen wir vor gut einem Jahr mit unserem Redaktionsteam beieinander. Vier Leute, die wild Buchstaben zusammenwürfelten, bis wir "Lorakis"‘ hatten, was gut klingt und sich von anderen Spielwelten unterscheidet.“ Haben die Regionen eurer Welt wahre Vorbilder? "Ganz unterschiedlich", sagt Tobi. "Als ich mir das verwinkelte Städtchen Arwingen ausdachte, den Ausgangspunkt unseres Abenteuers, hatte ich tatsächlich das Treppenviertel im Hamburger Stadtteil Blankenese vor Augen. Von anderen Orten habe ich mal geträumt."
SL: Der Wald liegt nun hinter euch. Ihr steht auf einer Klippe, die den Strand überragt. Am Horizont seht ihr das Schiff! Doch unter euch erblickt ihr Feuerstümpfe, alte Leuchtfeuer.
Arrou: Strandpiraterie! Wir müssen zum Schiff, die Angreifer sind sicher noch dort.
SL: Sagt mir, wer sich als Erster auf das Schiff wagt. (Eshi meldet sich.)
Eshi: Wir rudern mit einem alten Fischerboot herüber. (flüstert) Ich klettere nun die Bordwand hinauf. Sobald ich ein Zeichen gebe, folgt ihr mir nach.
SL: Oben angekommen, werdet ihr überrascht. Das Schiff ist in bestem Zustand, die Besatzung verschwunden - nirgends Kampfspuren. Nur in der Kapi-tänskajüte eine hölzerne Kiste mit einem dunkelblauen Amulett darin.
Cederion: Ich renne hin, nehme es in die Hand ...
SL: ...und ehe ihr euchs verseht, seid ihr im Feenland. Von Ferne sind ächzende Schreie zu hören.
Selesha:Das wird die Besatzung sein, durch das Amulett hierher gezaubert - wie wir.
Halb zwei in der Nacht. Wir würfeln ohne Ende, kämpfen so gegen die Rattlinge - fiese Kerle, die sich ins Feenreich verirrt haben. Ich schaffe nur niedrige Punktzahlen, werde böse getroffen. Die anderen gelangen derweil schnell voran, bis an eine Tür.
SL: Löst dieses Rätsel, dann öffnet sie sich!
Ohne mich! Meine Feuermagierin lebt zwar noch, aber ich, Katharina, bin todmüde. Wir beschließen, das Abenteuer an einem anderen Abend fortzusetzen. Vielleicht bin ich dann wieder dabei. Als Feuermagierin, für eine Nacht.

Im Fantasy-Heft haben wir über Rollenspiele im Wohnzimmer berichtet - und das Rollenspiel namens "Splittermond" vorgestellt. Dazu gab es auch einen Wettbewerb: Die drei besten von euch gestaltete Monster haben wir nun ausgezeichnet. Ihr seht sie hier in der Bilderstrecke und in der März-Ausgabe von GEOlino.
Alle Gewinner erhalten das Buch "Der Silberne Traum" von Thomas Finn.