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Dafür: Schüler werden gedemütigt!
Im Sommer 2015 hat Christine Finke die Nase voll. Ihr neunjähriger Sohn kommt weinend nach Hause: Er hat bei den Bundesjugendspielen nur eine Teilnahmeurkunde erreicht – die schlechteste von drei möglichen Urkunden. Die Mutter aus Konstanz startet daraufhin einen Aufruf im Internet und fordert Politiker dazu auf, den Leichtathletik-Wettbewerb abzuschaffen. Die Bundesjugendspiele „demotivieren Schüler“, schreibt sie. Der Wettkampf sei „sinnlos und unfair“, weil schwache Sportler von vornherein keine Chance haben mitzuhalten. Gut 20.000 Menschen beteiligen sich und stimmen ihr zu.
Die Bundesjugendspiele gibt es schon seit dem Jahr 1951, seit 40 Jahren ist die Teilnahme für alle Jungen und Mädchen bis zum zehnten Schuljahr Pflicht. Warum? Zu Beginn heißt es, der Wettbewerb solle „das Bewusstsein der Zusammengehörigkeit erwecken“ und „frohen Wettkampfgeist anregen“.
Doch er bewirkt das Gegenteil: Von Teamgefühl kann keine Rede sein,wenn die Schüler gegeneinander antreten und ihre Leistungen verglichen werden. Und der Spaß am Sport bleibt erst recht auf der Strecke, wenn die ganze Klasse dabei zusieht, wie man beim Wettrennen abgehängt wird oder sich beim Weitwurf den Ball direkt vor die Füße schleudert. Außerdem: In keinem anderen Schulfach werden schlechtere Kinder öffentlich so vorgeführt. Schüler mit einer Leseschwäche etwa müssen nicht bei Vorlesewettbewerben mitmachen und sich dort blamieren. Und wer unmusikalisch ist, nimmt eben nicht an Chorauftritten teil.
Die Bundesjugendspiele sind auch deshalb unfair, weil die Sportler nach Jahrgängen antreten. Dabei haben kleinere Klassenkameraden beim Rennen und Springen viel schlechtere Chancen als größere. Die Wettkämpfe sollten deshalb zumindest freiwillig sein. So können sich die Besten mit den Besten messen – den anderen bleiben Enttäuschung und Tränen erspart.
Dagegen: Die Spiele sind ein Ansporn!
Wahrscheinlich gibt es nicht viele Erfahrungen, die ihr mit euren Eltern und Großeltern teilt – aber die Bundesjugendspiele sind so eine Gemeinsamkeit! Der Sportwettbewerb gehört seit Jahrzehnten zu Deutschland. Heute nehmen jeden Sommer rund fünf Millionen Schüler daran teil. Kurz nach der Beschwerde von Christine Finke (siehe Text oben) hat eine Umfrage ergeben, dass die Mehrheit der Bürger die Bundesjugendspiele behalten möchte. Offenbar erinnern sie sich gern daran zurück.
Die Wettkämpfe sind nicht nur eine willkommene Abwechslung vom Unterricht. Gerade weil alle Schüler daran teilnehmen müssen, verdeutlichen sie auch: Sport ist wichtig. Ärzte beklagen schon lange, dass sich viele Kinder zu wenig bewegen. Ein Wettbewerb, für den sie trainieren und bei dem sie sich anstrengen, kann ihnen nur guttun. Und wer weiß: Ein Schüler, der bei den Bundesjugendspielen schlecht abschneidet, fühlt sich vielleicht angespornt, künftig mehr Sport zu treiben und im nächsten Jahr bessere Leistungen zu zeigen. Jeder geht schließlich unterschiedlich mit Niederlagen um.
Auch das nämlich lehrt einen der Leichtathletik-Wettkampf: mit eigenen Schwächen klarzukommen. Das Leben besteht eben nicht nur aus Erfolgserlebnissen – das gilt auch für den Rest aller Schulfächer. Niemand verlangt ernsthaft, eine Mathearbeit vom Stundenplan zu streichen, nur weil er sich mit den Aufgaben quält. Warum sollten für Sportprüfungen andere Regeln gelten?
Überhaupt ist es doch völlig klar, dass nicht jeder alles können kann und Schüler unterschiedliche Talente haben. Oft glänzen auf dem Sportplatz zum Beispiel diejenigen, die in Deutschaufsätzen und Mathearbeiten weniger gut abschneiden. Diesen Erfolg kann man ihnen ruhig mal gönnen.