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Tiere Die Hängepartie der Faultiere

Jetzt mal ganz langsam! Wir berichten über Faultiere. Obwohl diese die meiste Zeit ihres Lebens abhängen und sich kaum rühren, geraten die Zottel ab und zu in Not - Hilfe gibt es in Faultier-Stationen

Inhaltsverzeichnis

Faultier-Station in Costa Rica

Eines Tages, als Judy Avey-Arroyo die Haustür öffnet, stehen da drei Mädchen. In den Händen: ein Notfall. Winzig, struppig, mit Schweinchennase, Kulleraugen und Armen, die wie ausgeleiert herumbaumeln. Ein Faultier aus dem nahen Regenwald! Die Mädchen hatten das Jungtier gefunden, mutterseelenallein. Judy und ihr Mann Luis wollen helfen. Sie wenden sich an den Zoo in Costa Ricas Hauptstadt San José, doch hier kennt sich niemand mit Baby-Faultieren aus. "Sie müssen das selbst hinkriegen", heißt es am Telefon. "Viel Glück!" Also forscht Judy nach, was Faultiere am liebsten fressen: Blätter. Sie lernt, was die Tiere so machen: schlafen, rumhängen. Und sie gibt ihrem neuen Mitbewohner einen Namen: Butterblume. Zwei Jahre bleibt das Weibchen der einzige Patient. Dann kommt ein zweiter, ein dritter. Und noch einer. Im Jahr 1997 eröffnen Judy und Luis ganz offiziell eine Pflegestation - bis heute ist diese das einzige Faultier-Heim des Landes, mit derzeit 155 Bewohnern. Und die haben das Leben ihrer Pflegeeltern ordentlich auf den Kopf gestellt! Genau darin sind Faultiere nämlich Profis. Tagelang baumeln sie rücklings an den Ästen. In Costa Rica gibt es zwei verschiedene Arten, die man an der Zahl ihrer Vorderkrallen auseinanderhalten kann: das Braunkehl-Faultier mit drei Fingern und das Hoffmann- Zweifingerfaultier. Beide Arten haben ihren Körper perfekt an das Leben "kopfüber" angepasst: Innere Organe wie Leber und Milz sind Richtung Rücken oder zur Seite verschoben. Ihr Magen besteht aus mehreren Kammern, um gaaanz laaangsam möglichst alle Nährstoffe aus den Blättern freizusetzen. Das Fell ist am Bauch gescheitelt, damit das Regenwasser besser abfließt.

Wissenschaftler haben diesen genialen Bauplan lange unterschätzt, ja sogar über die Faultiere gelästert. Der Naturforscher Georges-Louis Buffon beschimpfte sie im 18. Jahrhundert als "langsame und blöde" Tiere. In einem Punkt lag er allerdings richtig: Faultiere bewegen sich höchstens zwei Stunden am Tag - und das in Zeitlupe. Sie brauchen bis zu 30 Tage, um ein Blatt zu verdauen. Algen überziehen ihren Pelz, und das sieht aus, als hätten sie vor lauter Abhängen Moos angesetzt. Blöd ist das jedoch ganz und gar nicht! Ihr modriges Fell ist im Grün der Bäume eine super Tarnung. Und weil die Tiere so energiesparend leben, müssen sie sich nur einmal pro Woche hinabhangeln, um ihr Geschäft zu verrichten. Bloß: Am Boden sind die Faulenzer ungelenk. Raubkatzen und Riesenschlangen lauern ihnen auf. Darum klettern Faultiere nur baumabwärts, wenn sie dringend mal müssen. Selbst wenn eines ihrer Babys von den Ästen plumpst, bleiben sie einfach oben in den Kronen.

Tiere: Ein flottes Faultier kann es in einer Minute immerhin bis zu vier Meter weit schaffen
Ein flottes Faultier kann es in einer Minute immerhin bis zu vier Meter weit schaffen
© Roy Toft/National Geographic/Getty Images

Die Kleinen landen mit etwas Glück in der Station von Judy Avey-Arroyo nahe der Hafenstadt Limón. Hier beginnt der Tag mit Wiegen, Kämmen und Füttern der Tiere. Einige Wochen saugen die Zottel Ziegenmilch aus Spritzen, bis sie selbst Blätter, Möhren und Gurken knabbern können. Nach dem Fressen dösen die Mini-Faultiere in warmen Brutkästen. Und weil sich die Kleinen in der Natur an den Bauch der Mutter klammern, bekommt jedes von ihnen ein Kuscheltier als Ersatz. Mittlerweile beherbergt Judy aber auch erwachsene Patienten, aus dem ganzen Land. Etwa weil ein Auto sie angefahren oder ein Hund zugebissen hat. Oder weil die Tiere Strommasten mit Bäumen verwechselt haben. Deren Leitungen verpassen ihnen einen heftigen elektrischen Schlag. Dafür stehen in der Station nun auch ein Tierarzt und ein Operationssaal bereit. Erholen sich die Faultiere wieder von ihren Verletzungen, tauschen sie ihren Einzelkäfig gegen ein Freigehege, um das Klettern neu zu üben. Insgesamt bietet das Gelände so viel Platz wie rund 75 Fußballfelder. Vollständig gesundete Tiere werden wieder in die Freiheit entlassen.

Bei der Mehrzahl der Babys klappt das leider nicht. Sie haben oft nicht lange genug mit ihren Müttern zusammengelebt, um etwa giftige von essbaren Blätter zu unterscheiden. Allein würden sie in der Wildnis kaum überleben. Für Judys Station heißt das: Sie wird immer voller - und teurer. Die Pflege eines einzelnen Faultiers kostet umgerechnet rund 300 Euro im Jahr. Darum bietet die Familie inzwischen auch Hotelzimmer und Führungen durch das Faultier-Heim an, um Besucher anzulocken. All das ist anstrengend, keine Frage. Doch ein Faultier in Not abzulehnen, käme für Judy Avey-Arroyo nicht infrage. Seit Butterblumes Einzug haben schon mehr als 500 Tiere in der Station ordentlich abgehangen!

Interview

Faultiere sind einzigartig

Steven, elf Jahre alt, ist mit Faultieren aufgewachsen: Seinen Großeltern gehört die Pflegestation. Im Interview erzählt er von seinen Patienten.

GEOlino: Du hilfst in der Station schon lange mit. Erinnerst du dich an dein erstes Pflegetier?

Steven: Das waren zwei Faultiere, die einen Strommast mit einem Baum verwechselt haben. Als sie da raufgeklettert sind, haben sie sich verbrannt. Wir haben sie P. J. und Faith genannt. Meine Mutter hat ihnen das Futter klein gemahlen und sie per Hand gefüttert. Ich habe dabei geholfen, bis sie wieder allein fressen konnten.

Wo packst du sonst noch mit an?

Wenn ich aus der Schule komme, helfe ich am liebsten bei den Babys. Wenn meine Oma sie füttert, halte ich die Kleinen und lege sie hinterher zurück in den Brutkasten.

Werden auch Baby-Faultiere in eurer Station geboren?

Das kommt manchmal vor, aber wir züchten die Faultiere nicht. Zu uns kommen schon genug Waisenkinder. Wir verbringen viel Zeit damit, sie zu pflegen.

Dabei erlebt man bestimmt eine ganze Menge...

Eine lustige Geschichte hat mir meine Oma erzählt: Millie, ein Zweifingerfaultier, hat ihr einen Ohrring gemopst und runtergeschluckt, als Oma mit ihr gekuschelt hat! Traurige Momente gibt es aber auch: Am schlimmsten war es, als mein Liebling Topogigio gestorben ist. Er war schon eine Weile krank. Da habe ich sehr geweint.

Was magst du an Faultieren besonders?

Sie sind wirklich einzigartig. Ich liebe sie, weil sie so freundlich und friedlich sind. Sie sind sogar Vegetarier und tun nicht mal anderen Tieren weh.

Welche Vorurteile über Faultiere würdest du gern mal richtigstellen?

Viele Menschen halten Faultiere für aggressiv, lahm und dreckig. Sie denken, dass die Tiere uns mit gefährlichen Krankheiten anstecken können. Nichts davon ist wahr!

GEOLINO Nr. 03/14 - Die Sondertiere aus dem Regenwald: Faultiere

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