Alessa flucht. Lucas ist stinksauer. Zoe heult gleich. Mitleid? Fehlanzeige. Schließlich steht es so im Stundenplan! Willkommen an der TASK, der größten Kinder-Schauspielschule in Deutschland. Rund 800 Schüler besuchen wöchentlich den Unterricht in elf verschiedenen Städten. Und viele von ihnen haben den gleichen großen Traum: einmal vor der Kamera stehen, eine Hauptrolle spielen, berühmt werden…
Jungen und Mädchen aus der TASK hatten schon Auftritte in der Kinderserie "Die Pfefferkörner" oder standen für den Erwachsenen- Krimi "Tatort" vor der Kamera. Was man dafür alles können muss? Neun Schüler aus Berlin wollen es heute im Kurs "Camera Acting" (auf Deutsch: Schauspielern vor der Kamera) herausfinden. Ihre Lehrerin Bettina Steguweit arbeitet selber als Schauspielerin. Heute ist die 30jährige aber Regisseurin, Kamerafrau und Bewerbungstrainerin. Los geht’s!
Aufgabe 1: Beim Casting überzeugen
Ein Casting (von dem englischen Verb "to cast", auf Deutsch: fischen, angeln) ist eine Art Vorstellungsgespräch für Schauspieler und die erste Hürde, um eine Rolle zu ergattern. Nur selten gibt es öffentliche Castings, zu denen jeder vorbeikommen kann. Meistens sind Schauspielagenturen dazwischengeschaltet. Sie verwalten Profile von Schauspielern wie Sammelkarten, geordnet nach Alter, Geschlecht oder Aussehen. Produktionsfirmen, die einen Film drehen, beauftragen einen sogenannten Caster, der bei Schauspielagenturen passende Kandidaten herauspickt. Die stellt er danach dem Regisseur vor.
Die Casterin
Tipps von Annekathrin Heubner (Produktionsfirma "Kinderfilm"):
"Als Casterin will ich natürliche Kinder sehen, bloß keine geschminkten Mädchen. Ich frage nach Hobbys, denn das sagt viel aus. Spielt etwa jemand Geige, denke ich: Aha, er ist geduldig und fleißig - gut für das Textlernen! Beim Casting bitte ich die Kinder, Gefühle darzustellen, und teste, wie sie mit einem Partner zusammenspielen. Sie sollten aufgeschlossen sein und vor allem: Spaß am Schauspiel haben."
Bettina Steguweit baut eine Videokamera auf und ruft die Schüler nacheinander zum Casting. Ein Mädchen mit langem, schwarzem Haar betritt die Bühne.
Steguweit: Kamera läuft. Ruhe bitte. Stell dich doch mal kurz vor.
Alessa: Mein Name ist Alessa, ich bin 14 Jahre alt und wohne in Berlin.
Steguweit: Welche Rolle würdest du denn gern mal spielen?
Alessa: So eine richtig fiese Krimi-Rolle zum Beispiel. Oder in einem Liebesfilm – mit einem Typen, der gut aussieht, natürlich.
Steguweit: Hast du noch andere Hobbys außer dem Schauspielern?
Alessa: Ich mache Kampfsport, Taekwondo. Also könnte ich im Film auch mal jemanden vermöbeln (lacht).
Selbstbewusst, spontan, lustig - Alessa schlägt sich ziemlich gut. Nachdem jeder dran war, schauen sich die Schüler ihre Casting-Aufnahmen auf einem Bildschirm an. Bettina Steguweit kommentiert: unbedingt in die Kamera gucken, nicht auf den Boden oder an die Decke. Wer zappelt, verschwindet aus dem Bild. Mit persönlichen Geschichten sammelt man Pluspunkte. Locker machen. Und vor allem: "Seid am Ende nicht enttäuscht. Es gibt mehr Absagen als Zusagen."
Aufgabe 2: Das Drehbuch lernen
Wer in die engere Auswahl kommt, dreht meist eine zweite Castingrunde und spielt eine Szene vor. Das bedeutet: Text auswendig lernen! Und gilt auch für alle, die eine Rolle vom Fleck weg ergattern. Filmschauspieler büffeln das Drehbuch oft ganz allein für sich - im Gegensatz zu Theaterdarstellern, die wochenlang zusammen proben. Bei Filmproduktionen, in denen Kinder mitspielen, gibt es deshalb manchmal eine Ausnahme: Trainer, die bei der Vorbereitung helfen.
Bettina Steguweit verteilt Zettel mit einem Dialog. Die Schüler tun sich in Pärchen zusammen und beginnen, die Szene zu üben. Es geht um zwei Freunde, die Zoff haben. Es wird geflucht, geschnieft, gelacht. Stimmengewirr. Wortfetzen.
Noa: Verdammt noch mal …
Marie: Tut mir leid …
Noa: …du Vollidiot!
Damit der Dialog vor der Kamera echt wirkt, gibt Bettina Steguweit einen Tipp: "Je mehr man über eine Szene weiß, desto besser kann man sie lernen und spielen", erklärt sie. Die Kinder sollen sich deshalb einen sogenannten Subtext dazudenken - Informationen, die ihrer Figur im Kopf herumspuken. Wie versteht sie sich mit anderen? Was hat sie vorher erlebt? Was wünscht und wovor fürchtet sie sich? Logisch: Wer einen anderen Menschen spielt, sollte ihn vorher besser kennenlernen.
Der Schauspieler
Tipps von Florian Bartholomäi (z.B. "Tatort"):
"Für fünf Drehtage lerne ich zu Hause zwei, drei Wochen. Zuerst schreibe ich alles, was meine Figur sagt, aus dem Drehbuch ab. Dabei bleibt schon viel Text hängen. Ich überlege: Was ist das für ein Typ, den ich da spiele? Seine wichtigste Eigenschaft fasse ich in einen Schlüsselsatz. Zum Beispiel: "Michael hat Angst vorm Alleinsein." Dieses Motiv bestimmt, was er denkt und tut - vielleicht auch, wie er guckt und sich bewegt. All das male ich mir aus und liefere die Vorschläge später dem Regisseur."
Aufgabe 3: Die Szene spielen
Theaterschauspieler müssen am Filmset umdenken. Auf der Bühne übertreiben die Darsteller jede Bewegung und reden in doppelter Lautstärke. Schließlich muss auch der Zuschauer in der letzten Reihe das Stück mitkriegen. Beim Filmdreh soll hingegen alles echt und natürlich aussehen. Die Kamera ist oft nah am Schauspieler und filmt Tränen, Blicke, ein Zucken im Gesicht. Der Vorteil: Man kann mehrere sogenannte Takes aufnehmen, einzelne Ausschnitte also wieder und wieder drehen - bis sie perfekt sind. Der Film wird später aus den besten Teilen zusammengesetzt wie ein Puzzle. Bloß: Jede Wiederholung ist aufwendig. Essen die Darsteller in einer Szene Pizza oder trinken Limo, brauchen sie jedes Mal wieder ein ganzes Stück und ein volles Glas. Auch die Körperhaltung der Schauspieler muss genau mit dem Filmschnipsel davor übereinstimmen. Klappt der Übergang nicht, spricht man im fertigen Film von einem Anschlussfehler.
Kamera läuft! Marie und Noa spielen den anderen ihre Szene vor. Eigentlich kennen sich die beiden gar nicht gut. Nun sind sie für fünf Minuten beste Freunde und streiten sich nach einem Fernsehabend.
Marie (trotzig): Ich versteh nicht, warum ihr überhaupt umziehen müsst.
Noa (genervt): Das hab ich dir doch schon hundertmal erklärt. Meine Mutter hat einen neuen Job in Hamburg bekommen.
Marie (seufzt): Kann sie denn nicht hier arbeiten?
Noa (blickt an die Decke, runzelt die Stirn): Ähhh …
Bettina Steguweit lacht. Ein Texthänger! Noch mal von vorn. Beim zweiten Versuch gucken Marie und Noa direkt in die Kamera. Wieder falsch: "Das sieht später ganz komisch aus", sagt Steguweit. "So, als ob ihr direkt aus dem Fernseher kommt."
Besser schaut man Richtung Partner, mit dem man spielt. Nur: Der steht bei Nahaufnahmen oft abseits oder fehlt ganz. "In den Harry Potter-Filmen zum Beispiel gibt es sogar Szenen mit Fantasy-Tieren, die erst am Computer dazukommen", sagt Steguweit. Ihr Tipp: "Klebt euch einfach einen Punkt auf die Stelle, wo ihr hinschauen müsst." Der Kurs ist zu Ende. Wie war der erste Auftritt vor der Kamera? "Ein komisches Gefühl", findet Rosalie. Es ist ungewohnt, die eigene Stimme zu hören und dass so viele zugucken.
"Ihr müsst spielen, als seien die anderen nicht da", sagt Bettina Steguweit. Und vor der Kamera braucht sich niemand zu fürchten. "Die Kamera liebt euch - das hat mal ein berühmter Schauspieler gesagt. Stellt euch vor, die Kamera ist in euch verschossen. Dann kann doch gar nichts mehr schiefgehen."