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Astronauten-Interview: "Im All schläft man auch kopfüber."

Das Leben im Weltraum ist nicht einfach: Das Essen kommt aus der Tube. Die Muskeln erschlaffen. In der Schwerelosigkeit schwebt alles davon. Drei GEOlino-Reporterinnen haben den deutschen ESA-Astronauten Reinhold Ewald nach seinen Erlebnissen befragt

Inhaltsverzeichnis

Caroline: Beim Start einer Weltraum-Mission steigt die Rakete mit einem riesigen Feuerschweif und ohrenbetäubendem Donnern in die Höhe. Wie haben Sie als Astronaut diesen Moment erlebt?

Astronaut Reinhold Ewald stand den GEOlino-Reporterinnen Rede und Antwort
Astronaut Reinhold Ewald stand den GEOlino-Reporterinnen Rede und Antwort
© Hardy Müller

Ewald: Das Komische ist, ich habe in den ersten 20 Sekunden gar nichts gespürt und geglaubt, wir würden noch immer auf der Startrampe stehen. Die russischen Raketen heben nämlich ziemlich langsam ab. Erst später nehmen sie Geschwindigkeit auf. Das merkt man dann aber sofort: Ich wurde richtig in den Sitz gepresst. Ihr kennt dieses Gefühl vielleicht vom Anfahren im Auto. Beim Raketenstart wirken dieselben Kräfte - nur viel stärker. Das Donnern habe ich als fernes Grollen wahrgenommen. Wir tragen während des Starts unseren Raumanzug, einen Helm und Kopfhörer und hören deshalb nicht viel von dem, was draußen vor sich geht. Und aus dem Fenster konnten wir auch nicht schauen, weil das Raumschiff während des Starts in einer Hülle steckt. Als diese nach einigen Minuten weggesprengt wurde, war draußen zuerst alles himmelblau, dann kam das Dunkel des Weltalls.

Vera: Was ist das für ein Gefühl, im Weltall zu schweben?

Ewald: Am Anfang ganz ungewohnt, denn das Schweben muss man lernen. Stellt euch vor, ich wollte hier, in diesem Zimmer, an die Decke springen. Ich müsste mit maximaler Kraft abspringen und würde sie wahrscheinlich nicht mal berühren, weil mich die Erde nach unten zieht. Bei Schwerelosigkeit fehlt diese Bremse. Stoße ich mich dort so kräftig ab, sause ich mit vollem Tempo gegen die Decke. Das gibt blaue Flecken. Es genügt ein kleiner Stupser mit dem Finger oder dem Zeh, um ganz gemütlich durch die Kabine zu schweben.

Gesa: Schwebt man auch, wenn man schläft?

Ewald: Ja, geschlafen wird überall. Manchmal sogar kopfüber! Wir brauchen dafür kein Bett und keine Matratze, sondern kriechen einfach in einen Schlafsack. Der muss aber irgendwo festgebunden sein - sonst driftet man durch das Schiff. Vor dem Flug habe ich gedacht, ich würde kein Auge zumachen und müsste die ganze Zeit aus dem Fenster sehen. Schließlich habe ich mich zwei Jahre lang auf diesen Moment vorbereitet. Als ich dann aber den ganzen Tag lang Experimente durchgeführt hatte, war ich abends sehr müde.

Hier erfahrt ihr, wie ihr Reinhold Ewald eure eigenen Fragen stellen könnt:

Gesa: Was waren das für Experimente?

Ewald: Ganz unterschiedliche. Ich habe an Bord der "Mir" unter anderem Gesundheitstests gemacht, um herauszufinden, wie der Körper auf die Lebensbedingungen im Weltall reagiert. Dazu war ich über Kabel an Geräte angeschlossen, die zum Beispiel meinen Kreislauf oder Puls kontrollierten. Außerdem haben wir mit Materialien experimentiert und technische Geräte getestet, die wir heute in der Raumstation ISS verwenden.

Caroline: Eine Dusche gab es nach der anstrengenden Arbeit doch sicher auch nicht, oder?

Ewald: Stimmt. Duschen würde auch gar nicht funktionieren. Auf der Erde läuft das Wasser aus dem Duschkopf und fällt nach unten. Im Weltraum aber würden die Tropfen in alle Richtungen davonfliegen. Deshalb waschen sich Astronauten nur mit feuchten Tüchern, die auch schon Seife enthalten. Für die Haare gibt es Trockenshampoo, das eingerubbelt wird.

Gesa, Caroline und Vera (v. links) waren für GEOlino unterwegs
Gesa, Caroline und Vera (v. links) waren für GEOlino unterwegs
© Hardy Müller

Gesa: Und wie funktioniert die Toilette?

Ewald: Mit Luft. Was auf der Erde das Wasser in einer Toilette macht, übernimmt im All die Luft. Das bedeutet: Es wird nicht gespült, sondern gesaugt. Wer auf die Toilette möchte, muss deshalb als Erstes eine Art Ventilator einschalten. Die Fäkalien werden gesammelt und zusammen mit dem restlichen Müll in ein unbemanntes Transportschiff verladen, das die Raumstation zuvor mit Nachschub versorgt hat. Der Transporter fliegt dann zurück Richtung Erde. Dort kommt er aber nie an: Das Schiff verglüht vorher, beim Eintritt in die Lufthülle, und mit ihm der Müll.

Vera: Verändert sich eigentlich der Körper in der Schwerelosigkeit?

Ewald: Und wie! Schon am ersten Tag werden die Beine dünner, und das Gesicht sieht aufgedunsen aus, weil sich das Blut im Körper anders verteilt. Gleichzeitig bilden sich langsam die Muskeln und Knochen zurück - sie werden im All ja kaum gebraucht. Um uns trotzdem fit zu halten, müssen wir jeden Tag zweimal eine Stunde lang Sport treiben. Wir schnallen uns zum Beispiel auf ein Laufband und joggen oder machen Krafttraining mit einem Expander. Das ist sehr wichtig.

Caroline: Wer viel arbeitet und Sport treibt, der muss auch etwas essen. Was bekommen Astronauten in einem Raumschiff?

Von solch einem Kontrollzentrum aus überwachen Spezialisten jede Bewegung der Esa-Astronauten im All
Von solch einem Kontrollzentrum aus überwachen Spezialisten jede Bewegung der Esa-Astronauten im All
© Hardy Müller

Ewald: Meist Konserven. Weil es sehr teuer ist, Sachen ins All zu bringen, versucht man, überall Gewicht zu sparen, auch bei den Lebensmitteln. Ihnen wird das Wasser entzogen. Der Kirschsaft sieht deshalb so aus. (Reinhold Ewald legt eine durchsichtige Tüte mit einem dunklen Pulver auf den Tisch.) Bevor wir ihn trinken können, müssen wir das Wasser wieder hinzufügen. Dazu hat die Tüte kleine Ventile. Dann: Wasser aus dem Bordspender hinein, schütteln - und mit einem Strohhalm direkt aus der Tüte trinken. So ist garantiert, dass der Saft oder die Suppen nicht frei herumschweben. Aus diesem Grund gibt es an Bord auch keine Becher oder Kaffeetassen. Außer der Tütennahrung haben wir Essen in Konservendosen, wie diese Soljanka hier, einen Gemüse-Fleischeintopf. (Er stellt eine kleine, flache Dose auf den Tisch.) Die wird zwischen zwei Heizplatten geklemmt und aufgewärmt. Ist die Soljanka heiß genug, öffne ich die Dose und esse sie mit einem Löffel.

Gesa: Schwebt sie denn nicht davon?

Ewald: Nein, sie enthält etwas Gelatine und klebt am Löffel. Schwieriger wäre "Huhn mit Reis" - wie alle Gerichte ohne Sauce. Kaum wäre die Dose geöffnet, würde der Reis Korn für Korn aufsteigen und als Wolke davonfliegen, ohne dass man einen Bissen abbekommen hätte. Bei "Huhn mit Reis" gilt deshalb höchste Gefahrenstufe! Sicherer ist da der Frühstücksquark, den es tatsächlich noch in der Tube gibt. Schaut euch diese hier an. (Reinhold Ewald reicht eine große Tube herum.) An dem Faden, der die Kappe festhält, könnt ihr erkennen, dass die Tube extra für das All hergestellt wurde. Eine Vorsichtsmaßnahme: Ohne Band wäre der Verschluss wahrscheinlich im Nu verschwunden.

Gesa: Schmeckt das Essen denn genauso wie auf der Erde?

Ewald: Leider nicht. Alles schmeckt fade, ungewürzt, wie ein großer Matsch, ob Möhren, Brokkoli oder Blumenkohl. Das liegt an den Veränderungen im eigenen Körper. Durch die Schwerelosigkeit verlagert sich das Wasser in unseren Organen. Es ist ein Gefühl, als hätten wir die ganze Zeit Schnupfen. Die Folge: Wir können nicht mehr so gut schmecken. Das Einzige, was man wirklich schmeckt, sind knallige Gewürze wie Chili oder Curry.

Caroline: Die Quarktube hat eine Kappe mit Band. Wie wird bei anderen Dingen verhindert, dass sie wild durcheinander schweben?

Ewald: Das Geheimnis heißt "Klettband". Stifte, Schreibblöcke, fast alles, was davonfliegen könnte, ist mit Klettband versehen. Das Gleiche gilt für Tische, Schränke und Wände - eben alle Oberflächen in der Raumstation. Wenn wir also etwas ablegen wollen, heften wir es auf den Tisch oder an die Tür. Manche Gegenstände sind auch magnetisch und haften auf Metall. Und sollte doch etwas unbemerkt davonschweben, driftet es meist zu den Belüftungsventilatoren, weil die einen leichten Sog erzeugen. Was sich dort findet, wird am Ende der Woche versteigert.

Caroline: Als Sie nach Ihrem Flug wieder auf der Erde gelandet sind, haben Sie sich da komisch gefühlt?

Ewald: Ja. Ich musste nämlich erst lernen, dass ich wieder auf der Erde bin. Mir ging es zum Beispiel so, dass ich irgendetwas in der Hand hatte und es anheben wollte. Doch das funktionierte nicht. Es schien, als hätte ich einen Riemen um meinen Arm gebunden, der ihn festhielt und nach unten zog. Da wurde mir bewusst, dass man sich auf der Erde richtig anstrengen muss, um Gegenstände zu bewegen - im Weltall genügte ja ein Schubs. Ein anderes Mal habe ich versucht, ein Blatt Papier in den Papierkorb zu werfen: Es landete weit davor, weil ich nicht kräftig genug geworfen hatte. Aber auch daran habe ich mich schnell wieder gewöhnt.

GEOLINO EXTRA Nr. 4/2004 - Das Universum

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