Da ist er endlich! Der Tanklaster ist angekommen, in einem ärmlichen Viertel der indischen Hauptstadt Neu-Delhi. Männer, Frauen und Kinder drängeln sich um das Fahrzeug. Aus der Füllöffnung im Dach ringeln sich grüne, gelbe und graue Schläuche herunter. Sie ähneln Riesenschlangen – doch niemand schreckt vor ihnen zurück. Ganz im Gegenteil! Die Menschen packen die Schläuche und füllen mit ihnen Eimer, Kanister und Flaschen. Endlich haben sie wieder Trinkwasser.

In Deutschland machen wir uns selten Gedanken um das kostbare Nass: Ein Handgriff genügt meist – und schon plätschert es aus dem Wasserhahn. Doch jeder vierte Mensch weltweit lebt in einem Haus ohne Wasseranschluss und muss froh sein, wenn ein Tanklaster in sein Viertel rollt. Noch unbequemer ist das Leben von rund 1,2 Milliarden Menschen: Sie müssen weite Strecken gehen, um Wasser aus Brunnen, Wasserlöchern oder Flüssen zu schöpfen. Vor allem Mädchen verbringen täglich viele Stunden mit der Schlepperei, anstatt zu lernen oder zu spielen. Und: Trotz aller Mühe können sie oft nur eine Brühe nach Hause tragen, in der es vor Krankheitserregern wimmelt.
Ungleiche Reserven
Trinkwasser ist auf der Erde sehr unterschiedlich verteilt. Sieben glückliche Länder – allen voran Brasilien und Russland – verfügen über mehr Süßwasserreserven als der ganze Rest der Welt zusammen! Durch manche Regionen schlängeln sich viele Flüsse, es gibt große Seen und reichlich Grundwasser im Boden. Dieses sammelt sich durch Regen an – der natürlich nicht überall gleichmäßig vom Himmel fällt. In Teilen der chilenischen Atacama-Wüste beispielsweise ist seit Jahrzehnten kein Regentropfen mehr gefallen. Chile gilt aber eigentlich als ein sehr wasserreiches Land.
Ganz anders im nordostindischen Bergstädtchen Cherrapunji, einem der nassesten Orte der Erde: Da stürzen jährlich fast 12 000 Liter Regen auf jeden Quadratmeter Erde. Trinkwasser genug, so könnte man meinen! Doch verrückterweise müssen auch in Cherrapunji häufig Wasser-Tanklaster vorfahren. Der Grund? Weil die Bergwälder in der Umgebung abgeholzt wurden, rauschen die Regenmassen ungebremst ins Tal, anstatt im Waldboden zu versickern und später als Grundwasser Brunnen zu speisen.
Verdreckt und verbraucht
Es hängt also auch vom Verhalten der Menschen ab, ob jede und jeder seinen Durst löschen kann oder nicht. Vielerorts gäbe es eigentlich genügend Trinkwasser. Doch Flüsse und Seen verschmutzen, weil Siedlungen keine Kläranlagen besitzen oder weil Fabriken ihr Abwasser in die Flüsse leiten. Um etwa unsere T-Shirts zu färben, benutzt man bis zu 7000 verschiedene Chemikalien!
Rund 70 Prozent unseres Trinkwassers wird außerdem weltweit in der Landwirtschaft verbraucht. Um die Felder feucht zu halten, pumpt man in vielen Regionen Grundwasser aus dem Boden. Dabei wird häufig mehr davon benutzt, als sich durch Regen wieder neu bilden kann. In Spanien beispielsweise, wo viele unserer Tomaten, Paprikas und Erdbeeren wachsen, gibt es rund eine halbe Million unerlaubt gebohrte Brunnen – und eine zunehmend große Wassernot. Das Land ist stellenweise so dürr wie seit 1200 Jahren nicht.
Nun verstärkt auch noch der Klimawandel diese Probleme, denn er bringt den weltweiten Wasserkreislauf durcheinander: Da es auf der Erde wärmer wird, verdunstet mehr Wasser. Dadurch gibt es mehr Wolken, und die führen zu mehr Regen. Aber: Es entsteht auch mehr Trockenheit. Da, wo es durch den Mangel an Regen ohnehin schon sehr trocken ist, verdunstet durch die Wärme auch der Rest Feuchtigkeit aus den oberen Bodenschichten.

Der Regen fehlt
Im Jahr 2022 sehnte sich ganz Europa nach Regen! Der Kontinent litt unter dem heißesten Sommer, der je gemessen wurde. Der mächtige Rhein fiel an manchen Stellen in Deutschland fast trocken. Ganze Waldstriche verdorrten. Viele Bäuerinnen und Bauern mussten ihre Felder künstlich bewässern, wenn sie ihre Ernten nicht verlieren wollten.
In diesem Sommer ging es vor allem im Südwesten der USA, am Mittelmeer und in China ungewöhnlich heiß und trocken zu. Mancherorts kletterten die Temperaturen auf bis zu 50 Grad Celsius.
Längst bildet sich in Mitteleuropa nicht mehr genügend Grundwasser, dazu regnet es einfach zu wenig. Doch noch sitzen wir in Deutschland nicht auf dem Trockenen. Fachleute mahnen aber, dass wir das wertvolle Nass noch stärker schätzen und sparsam damit umgehen sollten.
Zu Hause sind wir schon recht gut darin: Jede und jeder benutzte im vergangenen Jahr im Durchschnitt täglich rund 125 Liter Wasser zum Trinken, Kochen, Waschen und für die Toilettenspülung. Vor 30 Jahren waren es in Deutschland noch 147 Liter.
Richtig handeln
Trotzdem sollten wir uns nicht auf die Schulter klopfen, denn das meiste Wasser, das wir verbrauchen, kommt nicht aus unserem Wasserhahn: Mit ihm werden unser Obst und Gemüse bewässert oder die Baumwolle für unsere Kleidung hochgepäppelt – weit weg von zu Hause und oft in trockenen, wasserarmen Ländern. Zählt man dieses „unsichtbare“ Wasser dazu, verbraucht jede und jeder Deutsche täglich rund 3900 Liter. Das sind mehr als 20 Badewannen voll …
Diese Rechnung bedeutet aber auch: Wenn wir alle bewusster essen und einkaufen, können wir viele Tanklaster voller Wasser sparen, das Menschen irgendwo anders auf der Welt zugutekommt.