Sanna, du bist in Hamburg aufgewachsen und vor 15 Jahren aus Liebe zu deinem Mann ausgewandert. Heute habt ihr vier Kinder, lebt auf einer Ranch und schreibt Kinderbücher. Kannst du euer Leben noch genauer beschreiben?
Wir leben sehr abgeschieden in der Wildnis der kanadischen Rocky Mountains auf einer Ranch. Unsere unmittelbaren Nachbarn sind der Wald und die wilden Tiere. Menschliche Nachbarn wohnen zwei Kilometer entfernt. Unser Haus ist ganz aus Holz. Wir haben es selbst gebaut, wie alles andere auf der Ranch.
An aller erster Stelle stehen die Tiere, die versorgt werden müssen. Aber auch der Gemüsegarten und allerlei anfallende Bau-und Reparaturarbeiten sind zu tun. Dazu unterrichte ich unsere vier Kinder zu Hause. Die meisten Arbeiten, wie zum Beispiel das Heranschaffen und Spalten des Feuerholzes, erledigen wir gemeinsam als Familie - da helfen alle mit.
Habt ihr keine Angst vor den Gefahren der Wildnis?
Sanna: Am Anfang war es für mich sehr ungewohnt, mich zwischen den wildlebenden Tieren in der Natur aufzuhalten, denn ich stamme ja aus einer Großstadt. Die Kinder hingegen sind in der Wildnis großgeworden, für sie gab es nie Anpassungsschwierigkeiten. Inzwischen habe auch ich mich so gut eingelebt, dass mir die Tiere keine Angst mehr machen. Im Gegenteil, sie stellen einen sehr wichtigen Teil im Kreislauf der Natur dar und als solchen respektieren wir sie. Natürlich muss man trotzdem immer gut aufpassen, wenn man draußen ist, denn Bären, Kojoten und Pumas streifen hier überall umher. Aber wir alle haben gelernt mit ihnen umzugehen und ihr Verhalten einzuschätzen.
Wie sieht der Familienalltag auf der Ranch aus?
Sanna: Wir stehen früh auf. Nach dem Frühstück werden die Tiere versorgt, dann beginnt der Schulunterricht. Danach gibt es ein schnelles Mittagessen und die Kinder gehen raus zum Spielen. Ich erledige den Haushalt und anschließend geht es weiter mit Gartenarbeit oder anderen anfallenden Arbeiten draußen. Gegen 17 Uhr fange ich mit dem Kochen an und nach dem warmen Abendessen müssen dann wieder die Tiere versorgt und Feuerholz zum Haus geholt werden. Die Abende verbringen wir gemeinsam oder mit unseren Hobbys. Wenn ich gefragt werde, was wir denn den ganzen Tag über so machen, es müsse doch sehr langweilig sein ganz allein in der Wildnis, kann ich nur lachen.
Wie steht es um die Elektrizität?
David: Wir sind nicht ans Stromnetz angeschlossen, sondern erzeugen den Strom, den wir brauchen, selbst. Wir haben einige Solarzellen und Batterien, das reicht aus um den Kühlschrank für vier Stunden am Tag zu betreiben, ein paar Lampen und ab und zu den Computer und das Telefon.
Und um Wasser?
David: Unser Wasser kommt aus einer Quelle weit oben am Berg. Wir haben eine fast einen Kilometer lange Wasserleitung den Berg hinunter verlegt und gute zwei Meter tief eingegraben, damit sie im Winter nicht einfriert. So haben wir das ganze Jahr über fließend Wasser im Haus.
Wo und wie beschafft ihr Lebensmittel?
Im nächsten Ort gibt es einen kleinen Laden mit wenigen, teuren Dingen. Der nächstgelegene Supermarkt, in dem man wirklich alles bekommen kann, ist fast 60 Kilometer von unserer Ranch entfernt. Wir fahren einmal pro Woche zum Einkaufen dorthin, im Winter oft nur alle zwei Wochen.
Was machen eure Kinder in der Wildnis am liebsten?
Haley (16 Jahre alt): Ich reite, lese und schreibe gerne und höre gerne Musik. Sam (14 Jahre alt): Ich jage und fische am liebsten. Außerdem lese und zeichne ich viel. Musik höre ich auch gerne. Issac (12 Jahre alt): Fischen ist auch mein liebstes Hobby und ich erfinde auch gerne Dinge. Mara (8 Jahre alt): Ich entwerfe Kleider und male sehr gerne. Handarbeiten finde ich auch gut. Sanna: Alle vier mögen es, mit den Pferden und dem Hund unterwegs zu sein.
Möchten eure Kinder in der Wildnis bleiben, wenn sie erwachsen sind?
Sanna: Oftmals im Leben kann man sich Dinge nicht aussuchen. Haley möchte zum Beispiel studieren und dafür muss sie in die Großstadt. Das ist eine Veränderung, die ihr im nächsten Jahr bevorsteht. Ich denke auch, dass es gut wäre, wenn die Kinder eine Zeit lang in der Stadt leben würden und auch dieses Leben kennenlernen würden. Oftmals schätzt man sein Zuhause noch mehr, wenn man es für eine Weile verlässt.
Kennen eure Kinder das Stadtleben?
Alle Kinder waren vor 4 Jahren zweimal für gut fünf Monate mit uns in Hamburg. Es war eine schöne Abwechslung für sie und es gab viel Interessantes zu sehen. Am Ende waren sie aber doch froh, zu ihrem Zuhause in der Wildnis zurückkehren zu können.
Die aufregendsten Begegnungen in der kanadischen Wildnis finden auch Platz in deinen Büchern. Von welchen Erlebnissen kannst du berichten?
Die Ideen für meine Bücher stammen allesamt aus meinem näheren Umfeld. Es sind Dinge, die ich erlebt habe oder von denen ich höre und die mich dann so sehr beschäftigen, dass ich mich näher mit ihnen befasse. Der Rassismus und die Suche nach Gold, die ich in „Windlied des Bären“ geschildert habe, sind Dinge, die ich an eigenem Leibe erfahren habe. Auch die verheerenden Ausmaße des Ölsandabbaus im Norden Albertas haben mich so betroffen, dass ich es zum Thema meines aktuellen Romans „Auf den Schwingen der Sterneneule“ gemacht habe. Und für meine „Beaver Creek Ranch“- Abenteuerserie für Kinder finde ich die Ideen bei meinen eigenen Kindern und unserem Leben hier in der Wildnis. Da braucht man auch gar nicht lange zu suchen: Abends stöbert schon mal ein Bär in den Abfalltonnen oder ein verletzter Uhu landet im Gemüsegarten. Auch dass man beim Radfahren auf einen Grizzly trifft oder im Winter eingeschneit ist, ist nichts Außergewöhnliches. Außerdem gab es in unserer Gegend früher viele Gold-, Silber- und Kupferminen und man sieht oftmals noch alte Schächte. Hier draußen in der Wildnis hat man auch die Gelegenheit die wilden Tiere in freier Wildbahn zu beobachten.
Bezeichnet ihr euch selbst als Indianer?
David: Ja, die Kinder und ich bezeichnen uns als Indianer. Sanna: Ich bezeichne mich als Teil einer indianischen Familie.
Könnt ihr uns die indianische Kultur näher erklären?
David: Die indianische Kultur in all ihren Einzelheiten hier zu erklären, würde den Rahmen dieses Interviews sprengen. Gesagt werden kann aber, dass in der indianischen Kultur Respekt eine sehr wichtige Rolle spielt. Respekt gegenüber den Mitmenschen, den Tieren, den Pflanzen und allen anderen Lebewesen, die diese Erde mit uns teilen. Selbst Steine und Berge haben einen Geist und werden als Lebewesen angesehen. Ein bedeutsamer Bestandteil unserer Kultur ist auch das Beten. Wir bedanken uns täglich für alles, was der Große Geist uns beschert hat und bitten um das Wohlergehen unserer Familie, unserer Mitmenschen und der Erde. Wichtig ist auch das Anerkennen einer höheren Macht, die über uns alle wacht und uns leitet. Die Aufgabe der Botschafter zwischen den Menschen und dieser höheren Macht werden verschiedenen Tieren wie Donnervogel und Adler zugeschrieben. Auch die Ahnen, also all diejenigen, die vor uns auf dieser Erde gewandelt sind, stellen wichtige Verbündete, Beschützer und Botschafter dar. Namen und Tieren wird ebenfalls eine gewichtige Rolle eingeräumt. Jeder Name trägt eine bestimmte Kraft in sich und es ist sehr wichtig, dass jeder Mensch, jedes Lebewesen den richtigen Namen bekommt. Daher wechseln Indianer im Laufe ihres Lebens oftmals auch ihren Namen, um einer neuen Kraft, die sie innehaben, oder einer veränderten Persönlichkeit Ausdruck zu verleihen.
Rituale gibt es viele und grundsätzlich werden die genauen Abläufe geheimgehalten, denn zu oft wurden diese Rituale von Nicht-Indianern missbraucht. Rituale und Zeremonien werden oft zum Wechsel der Jahreszeiten abgehalten oder wenn ein Kind das Erwachsenenalter erreicht, wenn man vor einer wichtigen Aufgabe steht oder in einer besonderen Lebenssituation Hilfe sucht, wenn zwei Menschen heiraten oder jemand seine lange Reise in die andere Welt antritt.
Vielen Dank für das Interview und alles Gute!
Die Familie Seven Deers hat in den letzten Jahren eine Reihe Kinderbücher - die "Beaver Creek Ranch"-Serie - im Little Tiger Verlag veröffentlicht. "Schatten im Schnee" von Sanna Seven Deers handelt zum Beispiel von Indianern, Pferden und jeder Menge Abenteuer in den kanadischen Rockys; 148 Seiten, für Leser ab 8 Jahren, 9,90 Euro. "Am See des Blauen Mondes" von Sanna Seven Deers ist ein spannender Umweltkrimi, der Zusammenhalt, Mut und Köpfchen lehrt; 152 Seiten, für Leser ab 8 Jahren, 9,90 Euro. Und auch David Seven Deers hat mit "Potlatch" eine Geschichte für Kinder veröffentlicht. Sie handelt von Mut, Liebe, Hingabe und der Bedeutung von traditionellen indianischen Mythen. Mehr Informationen über die Familie findet ihr unter www.sannasevendeers.de.