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Berliner Luftbrücke
Juni 1948. Drei Jahre ist der Zweite Weltkrieg nun vorbei. Die Siegermächte - die Sowjetunion, Frankreich, Großbritannien und die USA - übernehmen die "Oberste Regierungsgewalt" in Deutschland.
Das Land ist in vier Zonen aufgeteilt, Berlin ebenso. Die ehemalige Hauptstadt liegt wie eine Insel in der sowjetisch besetzten Zone. Nun aber gibt es schon wieder heftige Streitigkeiten - und zwar zwischen der Sowjetunion auf der einen Seite und den drei "Westmächten" auf der anderen Seite. Die ungleichen politischen Vorstellungen und das Machtstreben der Staaten machen aus den ehemals Verbündeten Gegner. Erst recht, als die drei Westmächte im Juni 1948 eine neue Währung einführen: die Deutsche Mark.
Darüber sind die Vertreter der Sowjetunion so verärgert, dass sie ihrerseits nicht nur die "Ostmark" in Umlauf bringen. Am 24. Juni 1948 sperren sie zudem alle Land- und Wasserwege nach Berlin und unterbrechen die Stromversorgung! Sie wollen sie die USA, Großbritannien und Frankreich dazu zwingen, sich aus Berlin zurückzuziehen. Es ist der Beginn der so genannten "Berlin-Blockade". Aber die Westmächte lassen sich nicht erpressen und versorgen die Westberliner aus der Luft mit allem Lebensnotwendigen. 462 Tage lang fliegen sie Nahrungsmittel, Medikamente, Kohlen in die abgeschnittene Stadt. Für die Kinder lassen einige Piloten sogar Schokolade und Kaugummi vom Himmel regnen, deshalb werden die Maschinen bald "Rosinenbomber" genannt.

Interview mit Pilot Gail Halvorsen
Gail Halvorsen war einer der amerikanischen Piloten, die den Jungen und Mädchen den Alltag sprichwörtlich versüßten. GEOlino.de hat mit dem heute 88-Jährigen aus dem US-amerikanischen Bundesstaat Utah gesprochen.
GEOlino.de: Wie sind Sie eigentlich auf die Idee gekommen, Süßigkeiten aus dem Flugzeug zu werfen?
Gail Halvorsen:Ich war gerade dabei, Filmaufnahmen vom zerstörten Berlin zu machen - direkt am Stacheldraht, der die Landebahn des Flughafens Tempelhof umgab. Plötzlich rannten etwa 30 Kinder von der anderen Seite des Zauns auf mich zu. Sie besaßen nichts mehr, viele von ihnen hatten sogar ihre Eltern im Krieg verloren. Ich wollte ihnen etwas geben, irgendetwas. Aber alles, was ich in der Tasche hatte, waren zwei Streifen Kaugummi. Die habe ich in vier Stücke geteilt und durch den Zaun gereicht. Es war unvorstellbar, aber es gab keinen Streit: Jene Kinder, die nichts abbekommen hatten, reichten das Kaugummipapier herum, um zumindest daran riechen zu können. Ich wollte unbedingt mehr tun. "Morgen werfe ich Schokolade und Kaugummi aus meinem Flieger ab", habe ich ihnen versprochen.
Und Sie haben Ihr Versprechen gehalten!
Natürlich! Direkt nach diesem Treffen sammelte ich bei meinen Fliegerkollegen sämtliche Schokoladenriegel und andere Süßigkeiten ein. Sie wollten natürlich wissen, ob ich überhaupt eine Erlaubnis für meinen Plan hätte. Schließlich darf man als Pilot ja nicht so einfach Dinge aus dem Flugzeug werfen. "Für eine Erlaubnis ist keine Zeit mehr!", habe ich ihnen da nur geantwortet. Und dass ich bei den Kindern morgen ein Versprechen einzulösen hätte.
Und wie haben Sie Ihren Plan umgesetzt?
Hinter dem Pilotensitz meiner Maschine C-54 gab es einen Notfall-Abwurfschacht, der aussah wie ein Ofenrohr. Daraus konnte mein Mechaniker während des Fluges die Schokolade abwerfen. Wir haben sie in kleine Päckchen eingewickelt und an Fallschirmen aus Taschentüchern gehängt. Ich war ganz schön erkältet damals, deswegen hatte ich einen großen Vorrat an Taschentüchern dabei. Nachdem das geklappt hatte, wurden die Zeiten verrückt: Woche für Woche haben wir neue Süßigkeiten abgeworfen, und jedes Mal kamen mehr Kinder zum Zaun.
Wie konnten die Kinder überhaupt Ihre Maschine von den vielen anderen Versorgungsflugzeugen unterscheiden?
Das war tatsächlich schwierig. Schließlich startete und landete alle drei Minuten ein Flugzeug in Tempelhof. Also habe ich den Kindern noch gesagt: "Beim Landeanflug werde ich mit meinen Flügeln hin- und herwackeln, als wollte ich euch zuwinken." So bin ich dann auch zu meinem Spitznamen gekommen: Onkel Wackelflügel.
Haben Ihre Vorgesetzten etwas von dieser heimlichen Aktion bemerkt?
Anfangs nicht. Aber nach ungefähr drei Wochen veröffentlichte ein deutscher Journalist einen großen Zeitungsartikel über die Schokoladenfallschirme. Und auf den Schreibtischen unseres Berliner Stützpunktes stapelten sich die Kinderbriefe an Onkel Wackelflügel. Als mein vorgesetzter Offizier davon erfuhr, wurde ich in sein Büro zitiert. Ich dachte, jetzt gibt's Ärger! Aber dem Kommandanten der Luftbrücke gefiel die Idee so gut, dass ich die offizielle Erlaubnis bekam, weiter zu machen.
Nämlich wie?
Immer mehr Piloten taten es mir nach und warfen Schokolade und Kaugummi ab. Schließlich erfuhren auch einige Schulkinder in Amerika von der Sache und schickten uns kiloweise Naschereien und selbst gebastelte Fallschirme. 20 Tonnen Süßigkeiten haben wir in den 14 Monaten der Berlin-Blockade über der Stadt verteilt!