
"Rette sich, wer kann!" Dass Isambard Brunel älter als 21 Jahre alt wird, hat er nur einer Riesenportion Glück zu verdanken. Am 12. Januar 1828 arbeitet der junge Ingenieur in London an einem Tunnel unter der Themse, als plötzlich Wasser einbricht. In Sekunden rast eine Flutwelle durch die Röhre und reißt die Arbeiter mit sich. Sechs Männer sterben. Brunel treibt bewusstlos in den Fluten. Bis ihn sein Assistent in letzter Sekunde herauszieht und rettet.
Typisch Brunel, könnte man sagen. Wohl kein anderer Ingenieur konstruiert im 19. Jahrhundert solch waghalsige Bauten und bringt sich dabei so oft in Gefahr: Brunel bricht sich Knochen, zieht sich Verbrennungen zu und wäre jetzt beinahe ertrunken. Er scheitert, wieder und wieder. Dennoch verändert der kleine Mann, der sich gern mit riesigem Zylinder fotografieren lässt, England wie wenige zuvor: Er baut die längsten Tunnel seiner Zeit. Schlägt atemberaubende Brücken über tiefe Schluchten. Und konstruiert Schiffe, die so riesig sind, dass den Menschen bei ihrem Anblick vor Staunen die Luft wegbleibt.
Schon sein Vater Marc Brunel ist ein berühmter Ingenieur. Von klein auf spielt sich das Leben des jungen Isambard zwischen Baumaterialien, mathematischen Formeln und technischen Zeichnungen ab. Bereits mit acht Jahren kann er besser rechnen als die meisten Erwachsenen. Nach ein paar Jahren Schule nur, mit gerade mal 16, stellt ihn sein Vater in seinem Ingenieurbüro ein.

Der Bau des Themsetunnels
Sein erstes Projekt, der Bau des Themsetunnels, ist gleich superknifflig. Denn nirgendwo auf der Welt hat man bislang gewagt, einen Tunnel unter einen schiffbaren Fluss zu bauen. Brunel schuftet 20 Stunden am Tag und wird 1827 sogar zum leitenden Ingenieur befördert. Zu früh, wie sich zeigt. Immer wieder kommt es zu Unfällen. Nach der Katastrophe im Jahr 1828 wird der Bau erst einmal eingestellt.
Der junge Ingenieur ist schwer verletzt, doch kein bisschen entmutigt! Noch im Erholungsurlaub fesselt ihn ein neues Projekt: Nahe Bristol soll eine Brücke über eine der tiefsten Schluchten Englands gebaut werden. Als ob es nichts sei, schlägt Brunel die längste Hängebrücke der Welt vor. Er bekommt den Zuschlag - und gerät gleich wieder in Gefahr…
Als er mit einer Art Seilbahn von einer Seite der Schlucht zur anderen zu sausen versucht, weil es anfangs keine andere Verbindung gibt, verhakt sich das Gefährt. Brunel klettert in schwindelerregender Höhe hinaus und löst es von Hand. Die verrückte Aktion macht ihn schlagartig bekannt.
Der Bau an der "Clifton Suspension Bridge" wird später wegen Geldproblemen unterbrochen. Doch da ist der Tausendsassa bereits mit neuen Projekten beschäftigt - dem Bau von Eisenbahnlinien.

Brunels Meisterwerk: Die Royal Albert Bridge
Um 1835 ist solch ein Bau in England noch ein großes Abenteuer: Lastwagen zum Transport des Baumaterials gibt es nicht. Unzählige Täler und Berge versperren den Weg. Das Dynamit, mit dem sich Hindernisse aus dem Weg sprengen ließen, ist noch nicht erfunden. Allein beim Bau des fast drei Kilometer langen Box-Tunnels zwischen Chippenham und Bath kämpfen bis zu 4000 Arbeiter mit dem Berg. 100 von ihnen sterben.
Und doch kann Brunel beim Bau der Eisenbahnstrecken sein Genie zeigen. Mit ungeheurem Einfallsreichtum löst er jedes Problem: Mal baut er einfache Brücken aus Holz, um Zeit und Geld zu sparen. Mal kombiniert er Balken-, Bogenund Hängebrücke zu ausgefallenen Formen - wie bei der "Royal Albert Bridge" über den Fluss Tamar. Das ist etwa so doppelt gemoppelt, wie wenn man eine Hose mit Knopf und Hosenträgern befestigt.
Doch am Ende sitzt das klotzige Ding felsenfest auf dem tückischen, weichen Untergrund.

Brunels neue Projekte: der Bau von Eisenbahnlinien
Wo es möglich ist, verzückt der Ingenieur sogar mit luftigen Kunstwerken: Beim Bahnhof Paddington in London etwa lässt er die Halle auf eleganten, dünnen Streben schweben.
Nur manchmal sind Brunels Ideen zu revolutionär für seine Zeit: Als er auf einigen Streckenabschnitten "atmosphärische Züge" einsetzt, die keine Lokomotive haben und ähnlich einer Rohrpost durch Unterdruck voranschießen, vereiteln Ratten seinen Plan. Die Nager fressen immer wieder wichtige Teile an, die mit Lebertran eingefettet sind. Die Superbahnen werden aufgegeben.
Unzählige Brücken, etliche Bahnstrecken und Tunnel baut Brunel in 30 Jahren als Ingenieur. Er konstruiert sogar ein "Fertigkrankenhaus", das beim Krieg gegen Russland 1855 auf die Halbinsel Krim gebracht und dort zusammengebaut wird. Andere wären bei diesem Arbeitspensum fix und fertig. Doch Brunel beginnt auch noch mit dem Bau von Passagierschiffen.
Schon sein erstes, die "Great Western", bricht alle Geschwindigkeitsrekorde. Der Raddampfer bringt Passagiere ohne Zwischenstopp von Bristol in England nach New York in Amerika - eine Tour, die zuvor kein Dampfschiff mit seinen Kohlevorräten geschafft hat.
Bei seinem zweiten, der "Great Britain", wagt Brunel mehrere Neuerungen auf einmal. Das Dampfschiff ist aus Eisen gebaut und wird statt von Schaufelrädern durch eine neuartige Schiffsschraube angetrieben, die sich am Heck des Schiffes wie ein Propeller dreht. Mit dieser Technik fahren Motorschiffe bis heute.

Die "Great Eastern"
All dies ist jedoch nichts gegen sein letztes Werk, die "Great Eastern": Der Koloss aus Stahl misst 211 Meter und ist damit länger als alle anderen Schiffe auf der Welt! Gleich drei verschiedene Antriebe bringen ihn in Fahrt und setzen Beobachter in Erstaunen: Unter Wasser wirbelt eine tonnenschwere Schiffsschraube. Seitlich drehen sich zwei haushohe Schaufelräder.
Und an Bord blähen sich an sechs Riesenmasten die Segel. Brunel stellt sich vor, dass das Riesenschiff 4000 Passagiere von England nach Australien bringt, ohne auch nur einen Zwischenstopp einzulegen. Es ist, mal wieder, ein waghalsiges Projekt. Und es endet, mal wieder, in einem Desaster. Zwei Tage vor der Jungfernfahrt erleidet der Ingenieur einen Schlaganfall und stirbt mit nur 53 Jahren.
Auf seiner "Great Eastern" jagt ein tödlicher Unfall den nächsten. Bald meiden die Passagiere das Pannenschiff. Der Riese wird nach wenigen Reisen zu einem Spottpreis verkauft und endet später als Kabelleger. Doch Isambard Brunels Ruf schadet das nicht. In der Erinnerung seiner Landsleute bleibt er der mutigste Baumeister ihres Landes!