Unterwasserengel (Isabel Obernberger, 14 Jahre)

Eisige Kälte durchströmte ihren Körper und lähmte sie. Das Wasser umschlag sie sanft. Sie spürte wie ihr der Atem wich und wie sie Bewusstlos wurde.

Als sie wieder zu Bewusstsein kam merkte sie, dass irgendetwas falsch war. Sie spürte noch immer die Wasserhülle die sie umgab. Aber sie bekam Luft. Langsam öffnete sie die Augen. Und sie sah. Sie sah das Wasser. Sah seine Farbe. Konnte die Fische, die in Schwärmen durch das Wasser schwammen erkennen. Sie hob ihre rechte Hand vor ihren Augen und bemerkte, dass ihre Haut weiß durchschimmernd war. Zwischen ihren Fingern hatte sie Schwimmhäute. Sie sah an sich herunter und breitete die Arme aus. Sie lachte.

Zwischen ihren Schulterblättern nahm sie kleine Flossen-Flügel wahr.

Ihre Haare breiteten sich im Wasser aus und sie betrachtete sie eingehend. Sie waren lockig - wie Nora und die anderen es ihr immer erzählt hatte. Doch nun sah sie sie selbst.

Es war ein berauschendes Gefühl so viele Farben, Motive und Formen aufzunehmen. "Lisa!" Der Schrei kam als Flüstern bei ihr an. Sie kannte diese Stimme. Wem sie wohl gehörte?

Nora. Fiel es ihr wieder ein. Sie waren Eis laufen gegangen. Lisa war noch nie Eis laufen gewesen. Wenn man nichts sah ging das auch ziemlich schwierig. Sie wollte ein Stück alleine laufen – und fiel hin. Genau an einer Stelle wo das Eis zu dünn war. Es brach unter ihrem Gewicht und sie fiel ins eiskalte Wasser. Und jetzt war sie hier. Tod. Und doch lebendig.

Sie tauchte an die zugefrorene Oberfläche des Sees und suchte nach dem Loch durch das sie gefallen war. Nach kurzem Suchen fand sie es und stemmte sich hinaus. Zumindest versuchte sie es. Denn als ihr Körper das Wasser verließ, begann sie bereits auszutrocknen. Eine Hitzewelle erfasste ihren Körper und ihr wurde schwarz vor Augen. Ihre Kräfte schwanden und sie ließ sich zurück ins Wasser fallen.

Als sie die Augen öffnete lag sie in den Armen eines anderen Unterwasserengels. Er war wunderschön. Seine Haare waren etwas länger und selbst im Wasser verwuschelt. Der Blick seiner sanften, hellblauen Augen streifte den ihren und einen Moment lang verfingen sie sich.

Ein Schwall von Erinnerungen prasselten auf sie nieder. Aber es waren nicht ihre eigenen Erinnerungen, sondern seine. Sie wollte gerade alle seine Erinnerungen wegscheuchen, als plötzlich das Bild eines Mädchens in ihrem Kopf auftauchte. Es war circa in ihrem Alter und hatte braune, mit Kajal umrandete Augen. Ihre langen blonden Haare hingen ihr ins Gesicht. Sie lächelte. Ihre Lippen bewegten sich sanft und formten einen Namen. "Tristan".

Die nächste Erinnerung beobachtete sie als Außenstehende. Es war Winter und die Eishülle des Sees war leicht mit Schnee bedeckt. Mitten am See spazierten das Mädchen und Tristan nebeneinander her. Sie unterhielten sich, lachten und küssten sich. Dann nahm er sie an die Hand und sie rannten los. Schallendes Gelächter war von den beiden zu hören.

Doch plötzlich und ohne jegliche Vorwarnung brach das Eis unter ihnen.

Die folgende Erinnerung war wieder aus Tristans Sicht. Das Mädchen war ebenfalls ein Unterwasserengel. Es schwamm Richtung Oberfläche. Unter dem Loch im Eis, hielt es noch mal kurz an. Drehte sich um und warf ihm einen Kuss zu. Dann hievte sie sich nach oben. Als sie das Wasser verließ, sah man ihr die Schmerzen deutlich an. Doch sie ließ sich nicht zurück ins Wasser fallen sondern legte sich flach auf die Eisoberfläche. Doch anstatt, dass sie starb, erwachte sie wieder zu Leben.

Lisa verließ seine Erinnerungen und nahm wieder sein Gesicht wahr. "Erelis", flüsterte er und strich ihr mit seinen Fingerspitzen über die Wange. Seine Berührung war wundervoll. "Ich heiße Lisa.", flüsterte sie. Ein Lächeln umspielte seine Lippen. "Aber ich nenne dich Erelis." Er nahm sie in den Arm und drückte sie an seine Brust. "Dann heißt du Neo", erwiderte sie und lächelte dabei selig. Wenn man im Leben nichts hat was man will, hat man im Tod alles was man wollte.

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