Eine sonderbare Begegnung (Rebecca Humpert, 13 Jahre)

Fiona sah das Erdenmädchen als Erste. Sie war gerade auf der Suche nach Stichpalmenkugeln, die sie für eine Medizin gegen Flügelerlahmung benötigte. Fiona war dafür in den hintersten Teil des Nirgendwo-Wäldchens geflogen, weil es dort die besten Stichpalmenkugeln in ganz F.E.N.I.G.M. (Feen, Elfen, Nymphen in geheimer Mission) gab.

Fiona und ihr Volk hatten nach einem verheerendem Krieg in ihrem Heimatland auf eine weit entfernte Insel flüchten müssen. Dort lebten nun sowohl Blumenfeen, Smaragdfeen und Feuerfeen als auch Wassernymphen und Elfen in vereinter Harmonie zusammen. Ihr Vorsitzender Moharan hatte nach diesem Krieg mit den Trollen aus dem hohen Norden eine Geheimorganisation eingerichtet, die sich F.E.N.I.G.M. nannte. Dieser Organisation waren die Ältesten und Weisesten der ganzen Insel beigetreten. Diese betrieben, so hieß es, mit Stoffpuppen der Trolle Voodoo-Zauber. Manche behaupteten sogar, sie hätten es geschafft, einem Troll die Arme und Beine auszureißen und diese dann jeweils verkehrt wieder an den Körper anwachsen zu lassen. Jedenfalls ging es den meisten nach diesem Umzug nicht sehr gut, da sie ihr Hab und Gut im Krieg verloren hatten und sich nun mit Mühe durchkämpfen mussten. Der Medizinmann von F.E.N.I.G.M. war von Handelsgeschäften mit den Eingeborenen im Sternschnuppental noch nicht zurück. Darum musste jeder für seine eigene Medizin sorgen. Darum flog Fiona auch eines Morgens in das Nirgendwo-Wäldchen, um die letzten Zutaten für ihre Medizin zu besorgen. An einem kleinen Bach machte sie Halt, um etwas zu trinken. Ihre violetten Flügel schimmerten im Sonnenlicht. Da sah sie es: Am anderen Ufer stand jemand, ein Mädchen. Aber sie hatte weder grünlich schimmernde Flügel wie die Smaragdfeen, noch war ihr Haar so feuerrot wie das der meisten Feuerfeen. Sie glich eher einer Figur aus dem Geschichtsbuch. Sie sah aus wie eines dieser Wesen, die weder Flügel noch die Kraft der Magie besaßen. Dieses primitives Volk, wie nannten sie sich doch gleich? Menschen? Ja, genau, es war ein Menschenmädchen, dass Fiona am anderen Ufer sah. Das Menschenskind hatte die Fee ebenfalls entdeckt und war starr vor Schreck. Sie blickte Fiona an, als ob sie der Teufel höchstpersönlich wäre. Die Fee war die erste, die ihre Sprache wieder fand. "Hallo", sagte sie mit einem unsicheren Lächeln. Verstand dieses Geschöpf sie überhaupt? Konnte es sprechen? (Die magischen Wesen schrieben den Menschen die Intelligenz einer Hausgans zu.) Das Mädchen, überrascht von dieser Begrüßung, fasste auch allmählich wieder Mut. "Hallo", erwiderte sie (zur großen Überraschung von Fiona). "Ähm, was hast du da auf dem Rücken?" Fiona blickte hinter sich. "Ach, du meinst meine Flügel! Gefallen sie dir? Ich bin eine Blumenfee, musst du wissen." Das Mädchen starrte Fionas Flügel ungläubig an. "Du bist echt eine…eine Fee?", fragte sie ziemlich unsicher. "Natürlich bin ich eine Fee. Ich heiße Fiona. Und wie heißt du?" "Ich bin Samira", antwortete sie. "Ein hübscher Name. Woher kommst du?", fragte Fiona weiter. Langsam wurde Samira ruhiger. Oder war sie schon die ganze Zeit ruhig gewesen? "Aus Hamburg" sagte sie. "Hamburg? Wo soll denn das sein?", fragte Fiona. "Ich kann mir gut vorstellen, dass du Hamburg nicht kennst. Weißt du, was eine Schule ist?" "Natürlich weiß ich das, du etwa nicht? Das ist eine riesige Höhle, in der man in der Magie unterrichtet wird. Außerdem darf man den Lehrern Fragen stellen, und wenn sie diese nicht beantworten können, werden sie in die ewige Verdammnis verbannt. So ist das bei euch auch, oder?" "So ähnlich", sagte Samira lachend. "Nur dass bei uns keine Lehrer verbannt werden." Dann blickte sie auf ihre Uhr. "Oh nein, ich muss gehen", sagte sie, plötzlich ganz in Eile. Dann war sie auch schon weg. Fiona sah ihr nach. Merkwürdig, dachte sie bei sich. Wer war das? Ein Mensch? Oder doch nicht?

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