Esra stand vor der Höhle - versteckt von einigen Büschen – und wartete auf das verabredete Zeichen. Als sie das leise Maunzen endlich hörte, hatte sie sich mindestens noch zwanzig mal gefragt, warum der Magier den Kristall der Wahrheit gestohlen hatte. Der Kristall war es, der das Reich vor dem Untergang oder einer Tyrannenherrschaft schützte. Vielleicht hatte er den Kristall auch gerade deshalb gestohlen. Esra würde den Kristall zurückholen, dann würden wieder Friede und Ordnung im Reich herrschen. Sie strich sich das kupferrote Haar hinter die spitzen Ohren und betrat die Höhle. Sie zuckte zusammen, als sie eine Bewegung zu ihren Füßen sah. Als sie Ios weiße Brust erkannte, entspannte sie sich ein wenig. Die Katze führte Esra zu dem Kristall. Was für ein Glück, das der Magier nicht da war, in seiner Abwesenheit konnte sie den Kristall nehmen und einfach verschwinden. Der Kristall lag auf einem kleinen Kissen und funkelte in allen Regenbogenfarben, obwohl kaum Licht auf ihn fiel. Gerade als Esra die Hand nach ihm ausstreckte, stieg eine kleine Rauchwolke aus dem Boden, würde größer und größer und vor ihr stand - der Magier.
"Das lässt du besser liegen!"
Der Magier streckte die Hand aus und murmelte eine kurze Formel. Eine Kugel aus Licht erschien auf der Hand des Magiers. Sie sah ungefährlich aus, schillernd wie eine Seifenblase. Der Magier grinste fies und schleuderte ihr die Kugel entgegen. Wie hypnotisiert starrte Esra sie an, verfolgte die Flugbahn und kam jäh wieder zu sich, als sie an der Schulter getroffen wurde. Sie zuckte gequält zusammen. Das tat weh!
Sie schüttelte sich, um den Schmerz loszuwerden - was aber wenig half- dann griff sie nach dem Kristall. Esra hörte ein leises Pfeifen. Sie duckte sich und konnte gerade noch einer weiteren Kugel ausweichen, die auf ihre Schulter zuflog. Mit einer schnellen Bewegung stopfte sie den Kristall in ihre lederne Umhängetasche, dann wandte sie sich dem Höhleneingang zu. Doch als sie einige Schritte darauf zulief, warf der Magier wieder eine Kugel nach ihr. Während Esra auswich, spann er ein Netz aus bläulich-weißen Energiefäden, das den Eingang verschloss. Die Elfe fluchte kurz und sah sich nach einem anderen Fluchtweg um. Der Magier erriet, was sie suchte und grinste.
"Du kommst hier nicht raus!" Er streckte die Hand aus.
"Und jetzt geb' mir den Kristall zurück!"
"Ich denk nicht dran!"
"Na dann ... du hast es nicht anders gewollt!"
Der Magier schleuderte wieder eine Kugel in ihre Richtung. Esras Blick huschte durch die Höhle und blieb an Io hängen. Die Katze tat alles, um lautlos Esras Aufmerksamkeit zu erregen: sie winkte, wedelte mit dem Schwanz, machte einen Buckel. Als sie sah, das Esra zu ihr sah, lief sie zu einem schmalen Riss in der Felswand. Der Magier schimpfte und warf die nächste Kugel. Esra wich aus und schlüpfte durch den Spalt. Vielleicht gab es doch einen Weg nach draußen ...
Es war stockdunkel und sie ging langsam, um nicht gegen den Fels zu stoßen. Vorsichtig tastete sie sich vorwärts. Hinter sich hörte sie die schweren Schritte des Magiers. Ab und zu erhellte eine der Kugeln den schmalen Gang, dann versank alles wieder im Dunkeln. Vor sich hörte Esra ein erschrockenes Miauen, das immer leiser wurde. Irgend etwas war mit Io passiert- aber was? Esra blieb keine Zeit um sich Sorgen zu machen. Eine der Kugeln streifte ihren Arm, sie strauchelte und fiel. Fiel und fiel, immer tiefer. Mit einem Ruck schlug sie schließlich auf dem Boden auf. Esra schlug die Augen auf, die sie bei dem Fall zusammengekniffen hatte und blinzelte. Es war hell. Mit einem leisen Miauen sprang Io auf ihren Bauch und schnurrte. Esra stöhnte und schob sie von sich, dann schälte sie sich aus ihrer Bettdecke und kletterte wieder ins Bett. Io folgte ihr und kuschelte sich an sie. Esra kraulte ihr die weiße Brust. Sie dachte darüber nach, was sie soeben erlebt hatte. Was für ein seltsamer Traum!