Animora (Jennifer Olbrich, 14 Jahre)

Der Wind trug keine Laute oder Gerüche mit sich, war so schwach, dass ich ihn allein an den sanft wiegenden Federn entlang ihrer Arme erahnen konnte; Auch die tiefschwarzen Strähnen, die aus dem Zopf geflohen waren und ihr frisches Gesicht kontrastierten, kräuselten sich, während mein eigenes Haar leblos meine Schultern deckte; Und ihre Schritte waren ebenfalls sehr leicht, so als wäre sie für eine andere, gewichtigere Schwerkraft gemacht.

"Salve, Erika." Ihre Stimme war fast zu weich für ihren athletischen Körper, passte jedoch gut zu den silberweißen Augen. Mit einem kecken Lächeln sprach sie weiter; Sie war etwa so groß wie ich, obwohl ihr kurzer Rock aus grobem Stoff deutlich zu erkennen gab, wie viel länger ihre Beine waren. "Willst du mir folgen, damit ich dir etwas zeigen kann?" Da hob sie die Hand und schnippte deutend; Allerdings ohne sichtbare Wirkung, abgesehen von meinem Erwachen aus einer nach Misstrauen schmeckenden Starre.

"Sag mir erst, wer du bist."

"Animora, zuständig für deine Nächstenliebe", antwortete sie zügig. "Ich gehöre zu deiner Schar, von der -"

"Was für eine Schar?"

Sie hob die anmutigen Augenbrauen, doch das Lächeln wollte nicht weichen. "Fall doch nicht dauernd ins Wort, das ist unhöflich! Wollte ich dir schon immer mal sagen. Ohnehin muss ich dir nicht viel über die Schar erzählen, da du uns eigentlich nicht kennen darfst… Wir sind zuständig für deine Gefühle, für all das, was das Hirn nicht steuern kann. Deine Besatzung."

"Es gibt mehrere von euch?"

"Für jede Tugend und jede Sünde Einen, was wiederum bedeutet, dass wir eine Rangordnung haben. Und deswegen bin ich hier, Erika: Ich will dir den Weg weisen, um aufsteigen zu können."

"Herr Gott, bist du egoistisch."

"Bedenke, kritisierst du mich, kritisierst du dich. Ich bin immerhin ein Teil von dir."

"Hat jeder Mensch eine Schar?"

Sie nickte, während Ungeduld ihre Iris verschluckte. "So ist es, aber jetzt begleite mich."

Sie drehte sich um, mit der Sporthalle im Visier, und ich kam ihr zögerlich nach; Neben ihrem Gang wirkte meiner plötzlich ungelenk, nahezu gehemmt. Wir stiegen die Treppe empor, und als ich ankam, hatte sie die Tür bereits geöffnet, machte mir den Blick nicht auf eine Kabine, sondern auf ein bewaldetes Ufer frei. Ein warmer, herber Duft säuselte um meine Nase, während ich auf das scheinbar massive Wasser blickte.

"Ich habe ein Portal geschaffen. Du siehst nun eine Parallelwelt." Sie gewährte mir etwas Zeit zum Staunen, dann fragte sie, ob ich die oben fliegenden Gestalten sehen konnte.

"Sie dürfen die Erde nicht berühren, weil ihre Bezugspersonen das Gleichgewicht verloren haben."

"Und du gehörst zu ihnen?"

Animora breitete daraufhin einfach die Arme aus. "Mit diesen Flügeln ist es besonders schwer. Außerdem mindert es die Chance auf eine Beförderung." Ich besah ihre Glieder aus mattem Schwarz, sie sprossen aus Ober- und Unterarmen, waren sehr zierlich und liefen rund zu. "In der nächsten Stufung werden sie stabiler und schillern leicht. Aber, wie gesagt, du hinderst mich momentan."

Ich verlagerte nachdenklich das Gewicht. "Wie hindere ich dich denn? Ich habe keine Feinde oder spanne Intrigen, meine -"

"Deine Beziehung ist mit einem Grundsatz verkettet, den du nicht verstehst." Das engelsähnelnde Mädchen beugte sich vor. "Du liebst ihn so sehr, dein Herz zerspränge, wäre ich nicht da, und auch er ist stolz auf dich, berührt dich gerne und steht dir bei. Doch wieso nimmt seine Besatzung dich nicht in ihre Obhut, so wie es üblich ist?" Immer noch lächelte sie. "Ganz einfach, ihr versteht nicht, dass die Liebe zueinander allein wertlos ist; Sie muss sich zusammenfügen, um zur richtigen Konsequenz zu führen, verstehst du?" Doch mein Blick blieb benetzt, selbst als Animora hastig über die Schwelle trat und augenblicklich zu verblassen begann. "Ihr werdet zerbrechen am Ich liebe dich. Allein das Wir lieben uns kann euch schützen."

Und sie wurde unsichtbar für mich, verschmolz mit dem Himmel ihrer Welt und ließ mich mit meiner Bestürzung allein.

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