Der Weltenschreiber (Fabian Fauser, 16 Jahre)

Großvater kam zur Tür herein. Er schien sehr erschöpft, denn er keuchte schwer. Ich sah, dass sein Gesicht rußgeschwärzt war. Dankbar setzte er sich auf den Stuhl, den ich ihm anbot. "In der Bibliothek hat es gebrannt ..." begann er. Er stockte, schüttelte den Kopf. "Die Bibliothek hat man abgebrannt." Er schüttelte wieder ungläubig den Kopf. "Unglaublich ... " Er blickte hinaus. Eine Träne zog ihre deutliche Spur auf dem rußbedeckten Gesicht.

"Einfach unvorstellbar. Alle ... tot." Ich verstand nicht. "Aber warum, Großvater? Warum tut man so etwas?" fragte ich ihn. Er musterte mich plötzlich sehr aufmerksam, stand von seinem Stuhl auf, packte mich an den Schultern und flüsterte dann sehr ernst: "Bücher sind ... gefährlich. Sehr gefährlich. Ein paar Tropfen Tinte können das Schicksal eines ganzen Universums verändern. Leute haben Angst, Thomas. Angst ist eines der stärksten Gefühle. Die Menschen können noch so weise, noch so stark, noch so mächtig sein, wenn sie Angst haben, dann ..." Er brach ab.

Mit fahrigen Augen suchte er das schwach beleuchtete Zimmer ab. Dann lachte er, ein sehr nervöses Lachen war das.

Eine unnatürliche Kälte floss durch meinen Körper und ich spürte, wie sich die kleinen Härchen in meinem Nacken aufstellten.

Seine Augen weiteten sich. "Doch ... das Feuer hat nicht alle Bücher gefressen. Ich konnte eines retten ..." Er griff in die Innentasche seines Mantels. Mir wurde die ganze Sache von Sekunde zu Sekunde unangenehmer. Was war nur los mit Großvater? Er schien irgendwie ... verändert. "Ich habe eines gerettet" meinte er wieder, als er ein unscheinbares Buch hervorzog, welches komplett unbeschriftet war, eingebunden in die gegerbte Haut irgendeines Tieres.

"Für Dich, Thomas." Es schien so dermaßen gewöhnlich, dass ich nicht verstehen konnte, warum er sich so seltsam benahm.

Der alte Mann rückte näher heran. Mit einem kurzen Anflug von Panik versuchte ich, weiter zurückzuweichen, doch die Wand hinderte mich daran.

Er drückte mir das Buch in die Hand. "Das gefährlichste von allen." Er nickte ehrfürchtig. Bildete ich es mir nur ein oder hatte sich der Raum verändert? Er war viel ... dunkler geworden, die Wände schienen viel enger beisammen als vorhin. Und Großvater ... so hatte er noch nie geredet ... er schien so ... verändert?

Mit zittrigen Händen schlug ich das Buch auf. Meine Augen weiteten sich vor Entsetzen, als ich die ersten Seiten durchblätterte. Hastig und doch mit zunehmendem Widerwillen blätterte ich weiter, blätterte das Buch durch, und mit jeder einzelnen Seite verstärkte sich eine düstere Vorahnung. Aber ... das war doch einfach unmöglich. Die Kälte, die von meinem Körper Besitz ergriffen hatte, kroch mein Rückrat hoch wie ein ekelhafter Parasit. Eine unsichtbare Schlinge legte sich um meinen Hals und schnürte mir die Luft ab. Als ich bei der letzten Seite angekommen war, fiel mir ein, was Großvater gesagt hatte. Angst ist eines der stärksten Gefühle.

Ungläubig blickte ich in das Gesicht meines Großvaters, welches so ... ungewohnt erschien. Er verhielt sich zunehmend weniger wie der Vater meines Vaters, kaum mehr wie ein strenger Erwachsener, sondern immer mehr wie ein ... ehrfürchtiger Diener?

Bücher sind gefährlich. Ich habe eines gerettet.

"Es ... es ..." stammelte ich, hatte unbeschreibliche Mühe, Wörter zu formen.

"Das Buch ..." presste ich mühsam hervor.

Wieder holte Großvater etwas aus seiner Tasche.

"Das Buch ..." begann ich. Ich holte tief Luft ... das war alles einfach zu unmöglich. Ich sackte auf den Boden und starrte in die Leere. Es konnte nicht sein. Es konnte nicht ... das war doch...

Bücher sind gefährlich. Ich habe eines gerettet. Das gefährlichste von allen. Für Dich. "Das Buch.. es.. es... das Buch ist leer." Schließlich sah ich, was er aus seiner Tasche geholt hatte. Ich nahm die Schreibfeder, die er mir reichte. Er sank auf die Knie. "Ich verneige mich vor dir, Thomas Weltenschreiber." sagte er.

Ein paar Tropfen Tinte können das Schicksal eines ganzen Universums verändern ...

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