Tierische Herausforderungen
Ponys, Ziegen, Hunde und Katzen: Seit 1995 bietet die Heilerziehungspflegerin Heike Höke auf ihrem Krähenhof im Nordrhein-Westfälischen Brakel sogenannte tiergestützte Therapien und tiergestützte Pädagogik an. Seit 2002 sind nun auch die eher ungewöhnlichen Lamas als Therapiebegleittiere dazu gekommen. Sie sollen Kindern helfen, die geistige oder körperliche Behinderungen, Entwicklungsverzögerungen oder Angst vor Tieren haben.
Warum ausgerechnet Lamas?
Aber warum dann Lamas? Die meisten Menschen, die einem Lama begegnen, gehen aus Angst vor einem Spuckangriff erst einmal in Deckung. Doch Heike Höke räumt mit diesem Vorurteil auf: "Grundsätzlich braucht man keine Sorge haben, von einem Lama angespuckt zu werden. Lamas spucken in der Regel nur, wenn sie sich bedroht fühlen oder in der Herde die Rangordnung klären wollen. Sie sind sehr sanftmütige Lebewesen."
Allerdings fliegt beim Spucken nicht nur Speichel, sondern auch ätzender Magensaft und Speisebrei dem Gegner ins Gesicht; Augenschäden können die Folge sein. Also merke: keinem Lama zu nahe treten – oder Schutzbrille tragen.
Dennoch sind Lamas keine Schmusetiere. Sie sind von Natur aus zurückhaltend und halten erst einmal Abstand - ganz im Gegensatz zu den meisten Hunden, die das oft erst lernen müssen. Die natürliche Zurückhaltung der Lamas nimmt den Kindern die Angst. Denn sie können so selbst bestimmen, wann sie auf die großen Tiere zugehen wollen.
Das braun-weiße Lama Gammy ist nun seit sechs Jahren auf dem Krähenhof. Es ist acht Jahre alt und kann sich sehr gut auf unterschiedliche Menschen einstellen. So achtet Gammy, wenn er am Halfter durch einen Parcours geführt wird, etwa genau auf das Tempo des Kindes. Wenn es stehen bleibt, stoppt auch er. Durch das Parcourstraining unterstützt das Lama die Kinder dabei, ihre Bewegungsfähigkeit zu verbessern. Kindern mit Sprachhemmungen kann es ebenfalls helfen: "Gammy und die anderen Lamas motivieren die Kinder zum Sprechen", erzählt uns Heike Höke. "Außerdem tragen sie dazu bei, Einfühlungsvermögen, Geduld und Rücksichtnahme der Kinder zu fördern. Durch all das erlangen die Kinder auch ein besseres Verhältnis zu sich selbst."
Die außergewöhnliche Ausbildung der Lamas
Ebenso wie Esel sind es auch Lamas gewohnt, mit Menschen zu arbeiten. Seit vielen tausend Jahren werden sie schon als Nutztiere eingesetzt. Familie Höke bildet ihre Lamas auf dem Krähenhof selbst aus. "Die Ausbildung kann beginnen, wenn das Lama mindestens 1 Jahr alt ist", erzählt Heike Höke. "Davor lebt es mit seinen Artgenossen auf der Weide und kann erst einmal nur Kind sein."
Zu Beginn der Ausbildung müssen die Lamas - wie Pferde auch - erst einmal "halfterführig" gemacht werden. Das heißt, sie müssen sich daran gewöhnen, ein Halfter zu tragen. Anschließend lernen sie, auf die Körpersprache des Menschen zu achten. "Wenn sie später beispielsweise mit gehbehinderten Kindern arbeiten sollen, müssen sie entsprechend an Rollstühle oder sehr langsam gehende Kinder gewöhnt werden", erklärt Heike Höke. Aber auch plötzliche Geräusche oder lautes Gelächter müssen Gammy und seine Artgenossen auf dem Krähenhof kennenlernen, um sich nicht zu erschrecken, wenn irgendwo etwas runterfällt und knallt oder ein Kind jauchzend auf die zurückhaltenden Lamas zuläuft.
Lamas haben Vorteile gegenüber Hunden und Katzen!
"Gammy ist sehr gut an Menschen gewöhnt und ihn kann so schnell nichts aus der Ruhe bringen. Er ist gutmütig und geduldig", erzählt Heike Höke. "Doch, was er wie alle Lamas gar nicht mag, ist, wenn manche Kinder zu heftig am Führstrick ziehen. Das tut ihm weh. Die Kinder müssen lernen, dass das nicht geht und sie vorsichtig und rücksichtsvoll mit Gammy umgehen sollten - genauso wie mit ihren Mitmenschen."
Wenn Gammy nicht gerade bei den Therapiesitzungen im Einsatz ist, lebt er zusammen mit 13 anderen Lamas und Alpakas in einem Offenstall. "Lamas und Alpakas dürfen nicht allein gehalten werden", betont Heike Höke. "Sie brauchen ihre Artgenossen, um glücklich zu sein." Die Tiere leben ganzjährig auf der Weide und können so artgerecht leben.
Lamas sind unersetzbare Mitarbeiter
"Wir sind sehr glücklich, dass uns die Lamas bei unserer Arbeit unterstützen", sagt Heike Höke. "Durch ihre Zurückhaltung und ihre großen Kulleraugen wecken sie Vertrauen. So erreichen sie ängstliche und traumatisierte Kinder besser als forschere Tiere oder auch wir Menschen." Außerdem hätten die meisten Kinder mit Lamas noch keine negativen Vorerfahrungen gemacht. "Bei Hunden und Katzen ist das schon eher der Fall. Viele Menschen wurden schon einmal gebissen oder gekratzt." Lamas nehmen bei der tiergestützten Therapie also eine noch recht junge, aber besondere Rolle ein.
"Ein Mädchen", erzählt uns Heike Höke abschließend, "hatte einmal eine sehr schwierige Aufgabe zu bewältigen. Trotz Höhenangst sollte sie ein hohes Hindernis überwinden. Und obwohl keiner es erwartet hatte, schaffte sie es tatsächlich, die Aufgabe zu meistern. Dann sagte sie zu Gammy, der mit uns auf dem Platz stand: 'Das hast du aber gut gemacht!' Dabei war sie es ganz allein, die das Hindernis überwunden hat." Dieses Beispiel macht deutlich, welchen Stellenwert Gammy für das Mädchen eingenommen hat. Er hat sie nur durch sein Beisein ermutigt und motiviert. Ein echter tierischer Helfer eben!
Tier-Steckbrief: Das Lama
- LEBENSRAUM: Hauptsächlich sind Lamas in den Anden zu Hause, einem Gebirge in Südamerika.
- GRÖSSE: Bis zu 1,80 Meter.
- GEWICHT: Bis zu 150 Kilogramm, so viel wie zwei erwachsene Menschen.
- NACHWUCHS: Ein Weibchen bringt meist nur ein einzelnes Fohlen auf die Welt und säugt es rund ein Jahr lang mit Muttermilch.