Die RMS TITANIC
Sie galt als unsinkbar: die "RMS TITANIC". Und doch ging das damals größte Passagierschiff der Welt vor 100 Jahren in den Fluten des Nordatlantiks unter. Rund 1500 Menschen verloren ihr Leben. An Bord gab es schlicht zu wenige Rettungsboote, und die Besatzung war nicht ausreichend geschult. Heute muss jeder Koch und jedes Zimmermädchen auf einem Kreuzfahrtschiff wissen, was im Notfall zu tun ist, und üben, üben, üben. GEOlino war bei einem Sicherheitstraining in Rostock dabei - zwischen Eis und Feuer.
Zentimeterdicke Eisschollen treiben neben Lara Hoblers Kopf. Unter ihr das eiskalte Meerwasser, metertief. Die 22-Jährige liegt auf dem Rücken, den Blick zum Himmel gerichtet. Einen Moment lang stellt sie sich vor, es wäre die Nacht des 14. April 1912. Hunderte Menschen schwammen damals im unter null Grad Celsius kalten Nordatlantik um ihr Leben, viele nur mit einem Schlafanzug bekleidet. Sie riefen um Hilfe, erst laut, dann immer leiser. In dieser Nacht vor 100 Jahren sank die "RMS Titanic", das damals größte Schiff der Welt.
"Achtung!", reißt Trainer Dirk Wegner Lara Hobler aus ihren Gedanken. "Jetzt üben wir die Rettungskette." Sofort ist die junge Frau wieder zurück in der Gegenwart. Sie schwimmt nicht im Nordatlantik, sondern in der Ostsee. Genauer gesagt in einem Hafenbecken in Rostock. Lara Hobler steckt in einem leuchtend orangefarbenen Überlebensanzug, der Wasser und Kälte von ihr fernhält.
Vier Tage lang nimmt sie an einem Sicherheitstraining für Servicepersonal auf Kreuzfahrtschiffen teil. Der Kurs ist Pflicht: Bald wird sie als Reiseleiterin an Bord eines Schiffes arbeiten. Dann muss sie wissen, was im Seenotfall zu tun ist. Theoretisch - vor allem aber praktisch.

"Los, das muss schneller gehen!", drängt der Trainer. Lara Hobler und ihre 14 Kollegen legen die Köpfe auf die Brust des jeweils nächsten "Schiffbrüchigen". Genau so, wie sie es heute Morgen auf Bildern im Unterricht gesehen haben. Tatsächlich bilden sie nun eine Kette. "Jetzt paddeln - alle gleichzeitig!", brüllt Dirk Wegner. Breitbeinig und mit hochgerissenen Armen steht er auf einer Eisscholle und macht die Paddelbewegungen in der Luft vor. "Hoch, runter - eins, zwei, eins, zwei!"
Nur wenige Zentimeter bewegt sich die orangefarbene Menschenschlange vorwärts; zwischen den Eisschollen bleibt kaum Platz. Grundsätzlich aber können sich Menschen auf diese Weise gemeinsam von einer Unglücksstelle entfernen.
Knapp eine Stunde treiben die künftigen Schiffsköche, Kellner und Zimmermädchen an diesem Februartag im Eiswasser. Sie üben unter anderem, in welcher Haltung der Körper am besten warm bleibt: Knie anziehen und mit den Händen umfassen. Und sie trainieren, wie man in eine Rettungsinsel einsteigt. Im Ernstfall wären sie unter diesen Bedingungen längst erfroren. Denn ohne Überlebensanzug und Schwimmweste verliert ein Mensch bei Wassertemperaturen zwischen null und vier Grad Celsius schon nach etwa 15 Minuten das Bewusstsein.
Die größte Gefahr auf einem Schiff ist Feuer
"Angst habe ich davor nicht", sagt Johannes Haueis, bald Koch auf einem Kreuzfahrtschiff. "Schließlich ist es sehr unwahrscheinlich, dass Notfälle dieser Art passieren und ich irgendwann einmal so im Wasser treibe." In der Tat sind die Sicherheitsbestimmungen seit dem Titanic-Unglück viel strenger. Eine ausreichende Anzahl Rettungsboote, -flöße oder -inseln für Passagiere und Besatzung etwa ist absolute Pflicht.
"Die größte Gefahr auf einem Schiff ist aber gar nicht das Wasser, sondern das Feuer", erklärt Dirk Wegner. Genau das lässt er Lara Hobler und Johannes Haueis knapp 24 Stunden später spüren. Mit Gasmasken vor den Gesichtern und Sauerstoffflaschen auf den Rücken stehen die beiden in einem vier Meter langen Brandcontainer inmitten lodernder Flammen. Diese züngeln an der nachgebauten Bordeinrichtung empor.
Hinter einer Glasscheibe steuert Dirk Wegner über Schalter und Knöpfe, wann und wo eine Gasflamme auflodert - am Stockbett, am Herd, an einem Ofen, aus dem Maschinenraum. Lara Hobler hält den schweren Löschschlauch mit beiden Händen fest. "Die Treppe brennt!", brüllt Johannes Haueis. Doch seine Stimme dringt kaum durch die Gasmaske. Mit Rütteln und Zerren versucht er, auf sich aufmerksam zu machen, deutet auf die Stufen hinter sich.
Sofort zieht die junge Frau den Wasserstrahl herum. Plötzlich fängt über ihr die Decke Feuer. Später erzählt sie, wie sie in diesem Moment die Panik packte: "Ich wusste natürlich, dass der Trainer die Flammen steuert. Aber als ich in diesem engen Raum stand und alles um mich herum brannte, hatte ich echt Angst."
Dirk Wegner kann sie beruhigen: Einen solch verheerenden Brand müsste Lara Hobler auf einem Schiff nicht bekämpfen. Dafür gibt es Fachleute an Bord. Kleine Brände aber sollten auch Reiseleiter und Köche mit einem Feuerlöscher in den Griff kriegen.
"Die Übung ist dazu da, dass ihr die Angst vor dem Feuer verliert", erklärt Dirk Wegner. "Denn egal ob Feuer oder Wasser, die wichtigste Regel im Seenotfall lautet: Ruhe bewahren." Darum wird die Besatzung auch auf den Kreuzfahrtschiffen weiter üben - jeden Tag. Vielleicht hätte diese Routine einigen Menschen auf der Titanic vor 100 Jahren das Leben gerettet.