Unzählige Male schon hatte Leonie Ammon die Welt von oben gesehen. Von einem Segelflugzeug, in bis zu 1000 Metern Höhe - ihren Fluglehrer stets auf dem Rücksitz. Doch dann kam der Tag im Juli 2011. Der große Tag, an dem es ganz allein in ihren Händen lag, den motorlosen Flieger am Himmel gleiten zu lassen und wieder auf den Boden zu bringen.
Fast zwei Monate ist der erste Alleinflug der 14-Jährigen nun her. Mit Hilfe einer Seilwinde, deren Seil an dem Flieger angebracht ist und sich kurz nach dem Start ausklinkt, wurde das Flugzeug - wie üblich - in die Luft gebracht. Rasend schnell, mit einer Geschwindigkeit von bis zu 120 Kilometern pro Stunde, erreichte sie auf diese Weise eine Höhe von 300 bis 400 Metern. "Höher geht es beim ersten Alleinflug nicht", erzählt Leonie, die das einmalige Gefühl beim Start mit einer Achterbahnfahrt vergleicht. Dort oben in der Stille galt es nun anzuwenden, was sie in den vergangenen Monaten gelernt hatte.

Wer Segeln will, muss Wolken "lesen" können
Mit den achtzehn Meter breiten Tragflächen des Fliegers glitt Leonie am Himmel von Geratshof in Bayern, die Alpen im Blick. "Man muss die Thermik finden", erklärt die Gymnasiastin. Mit Thermik bezeichnen Piloten warme Aufwinde, die den Flieger tragen. Und weil man die nicht sehen kann, nehmen Segelflieger die Wolken zur Hilfe. Soweit sie denn da sind.
An Leonies erstem Soloflugtag gab es sie: Vereinzelte Kumuluswolken, dicke Quellwolken, die besonders markant anzeigen, wo die warmen Aufwinde zu finden sind. Und auch die Sonne, die die bodennahe Luft erwärmt, strahlte. Den günstigsten Weg zu finden, den Wolkenhimmel zu "lesen", ist nicht immer so einfach: Zum Beispiel bei Blauthermik. Dann gibt es gar keine Wolken, weil die Luft zu trocken ist. "Dann muss du einfach Glück haben", sagt Leonie gelassen.

Generell gilt: "Wir fliegen nur bei gutem Wetter", also nicht bei Regen und auch nicht bei zu starkem Wind. Beim ersten Alleinflug geben die Fluglehrer nicht nur darauf Acht, dass das Wetter passt. Auch der Fluganfänger wird bis zum Schluss gründlich geprüft: Um die hundert Starts hatte Leonie bis dahin hinter sich. Zwei weitere Überprüfungsstunden gab es kurz vor ihrer Soloflugpremiere. "Zwei Fluglehrer haben überprüft, ob ich alles auch gut genug kann", sagt Leonie, die aufgeregt, aber ohne Angst, startete.
Gesegelt wird solange, wie die Thermik das Flugzeug trägt. Gemeinsam mit einem Fluglehrer kann man dann schon mal mal anderthalb Stunden in der Luft bleiben, berichtet Leonie. Bei fehlender Thermik wird die "Höhe abgeflogen" und ab 200 Metern die Landung vorbereitet, was bei Leonies erstem Alleinflug nach zehn Minuten der Fall war.
"Es war unbeschreiblich", sagt Leonie rückblickend. Und dieses Erlebnis durfte sie noch einige Mal wiederholen: Noch am selben Tag ging es noch zweimal in den Himmel und auch in den Tagen darauf. So will es die Vorschrift.
Fliegen, das wollte Leonie schon immer: Mit drei Jahren, so hat es ihr ihre Mutter erzählt, wollte sie wissen, ob sie irgendwann mal fliegen kann. Und so begann sie mit 14 Jahren einen zweimonatigen Schnupperkurs. Schließlich meldete sie sich im Flugsportverein in Karlsruhe an.
Technisches Geschick gehört dazu
"Segelfliegen kann eigentlich jeder", ist das unerschrockene Mädchen überzeugt. "Am Anfang wissen wir alle nicht wirklich, was wir machen müssen." Nach und nach bekommen die Flugneulinge eine theoretische Ausbildung, in der beispielsweise der Aufbau von Flugzeugen erklärt wird. Doch Theorie ist nicht alles. "Ein wenig technisches Geschick und Verständnis wären schon praktisch", räumt die Neuntkässlerin ein.
"Wir müssen in der Werkstatt mithelfen: Schrauben an Motorflugzeugen des Vereins erneuern oder Verkleidungen ab- und anschrauben", was alles unter Beaufsichtigung geschieht. Auch Themen wie Meteorologie, Luftrecht oder das Verhalten in besonderen Fällen stehen auf dem "Flieger-Stundenplan". So ein besonderer Fall ist zum Beispiel, dass das Flugzeug zu langsam wird.
"Eine Geschwindigkeit von 90 bis 100 Kilometern pro Stunde ist am sichersten. Bei weniger Geschwindigkeit kann es passieren, dass das Flugzeug ins Trudeln gerät und zur Seite wegkippt." In den Trainingsstunden wurde dieses unschöne Szenario durchgespielt: "Wir mussten üben, wie wir da wieder rauskommen", berichtet Leonie, die später gerne Berufspilotin werden will.
Wer am Himmel gleiten will, braucht Geduld. "Im Sommer sind wir das ganze Wochenende auf dem Flugplatz. Von 10 Uhr bis es dunkel wird." Die wenigste Zeit davon verbringt sie tatsächlich in der Luft. Das Durchchecken des Fliegers, das Abwarten von Starts und Landungen andere Flugschüler und auch der Transport des Flugzeugs, das nach jedem eigenem Flug an den Start oder in die Halle zurück muss, nehmen viel Zeit in Anspruch.
Leonie nimmt das alles gern in Kauf. Inzwischen hat sie umgeschult: vom Doppelsitzer auf ein einsitziges Segelflugzeug. Noch fliegt sie Platzrunden, das heißt, dass sie nie außerhalb der Sichtweite ihres Fluglehrers - mit dem sie am Himmel die ganze Zeit über per Funkgerät in Verbindung steht - segelt. Voraussichtlich im kommenden Frühjahr wird sie dann mit Überlandflugtraining beginnen.
Am Ende ihrer Ausbildung muss sie einen Streckenflug von 50 Kilometern absolvieren und eine theoretische Prüfung bestehen. Damit hätte Leonie dann die "Glider-Pilot-Licence", den Führerschein für Segelflugzeuge, geschafft und wäre eigenständige Pilotin. Ausgestellt wird dieser Führerschein allerdings erst dann, wenn sie 16 Jahre alt wird.

Zur Segelflieger-Ausbildung
Für die Ausbildung zum Segelflieger ...
- müsst ihr mindestens 14 Jahre alt sein.
- braucht ihr ein fliegerärztliches Tauglichkeitszeugnis, das von sogenannten Fliegerärzten (Ärzten mit einer entsprechenden Zusatzausbildung) ausgestellt wird. Hier könnt ihr sehen, wo in eurer Nähe sich einen solchen Arzt findet.
- empfiehlt sich die Mitgliedschaft in einem Flugsportverein. Eine Auflistung von Vereinen findet ihr
hier. Die Kosten für jugendliche Mitglieder belaufen sich auf etwa 60 Euro im Monat.
- könnt ihr alternativ zum Flugsportverein, auch kommerziellen Flugschulen besuchen. Die festen Kurse ermöglichen eine zügigere Ausbildung, die in der Regel aber etwas teurer ausfällt. Hier findet ihr eine Übersicht der Flugschulen in Deutschland und nähere Informationen zu ihren Angeboten.