Heute spielen sie wieder verrückt, sagt Charlie Phillips und lacht. Etwa 50 Meter vor dem Motorboot des britischen Biologen schießen nacheinander zwei graue Leiber wie Raketen aus der Nordsee. Für einen Augenblick spiegelt sich die Sonne auf ihrer nassen Haut. Dann überschlagen sich die Delfine und stürzen kopfüber zurück ins Meer.
Kurzes Abtauchen. Anlauf für den nächsten Sprung.

Jeder Delfin sieht anders aus
Während Charlie die wilde Hopserei genießt, fotografiert seine Kollegin Barbara Cheney die beiden Meeresakrobaten. Jeder Delfin besitzt ein besonderes Merkmal, an dem ihn die Wissenschaftler erkennen.
Nevis' Rückenflosse etwa ziert eine schneeweiße Spitze, weshalb er nach Schottlands höchstem Berg "Ben Nevis" benannt ist. Anhand der Fotos überprüft Barbara später, mit welchen Artgenossen Nevis herumtollt, mit wem er jagt, welchen Gruppen sich das Tier anschließt.
Die Forscher wissen zwar, dass Delfine meist in "Schulen" leben und ihre Freundschaften zehn Jahre und länger halten. Wie sie aber das Gemeinschaftsleben organisieren und wie sie miteinander "reden", ist noch ein Rätsel.
Pfeifen, Quietschen, Klicken
Nevis und seine Spielkameraden gehören zu einer der größten Delfinarten, den "Großen Tümmlern", von denen hier oben, in der schottischen Moray-Bucht, rund 130 Tiere auf die Jagd gehen. Wie Burgwächter lauern die bis zu vier Meter langen Kleinwale vor den Flussmündungen auf Lachse, die jeden Spätsommer zu Zehntausenden hierherkommen. Ein idealer Platz für Charlie und Barbara, um die quirligen Meeresbewohner zu beobachten und ihren Gesprächen aus Pfeif-, Quietsch- und Klicktönen zu lauschen.
Ein Geheimnis haben die Forscher den Tieren schon entlockt: Jeder Große Tümmler gibt sich im ersten Lebensjahr einen eigenen "Namen", besser gesagt einen persönlichen Erkennungspfiff, den die anderen lernen. Möchte ihm nun jemand aus der Gruppe etwas mitteilen, pfeift derjenige diese spezielle Tonfolge und spricht den Delfin damit gezielt an.
Wahre Plappermäuler
Und gesprochen wird viel: etwa über Jagdstrategien! Haben die Tümmler einen Schwarm Heringe ausgemacht, übernimmt jedes Gruppenmitglied eine bestimmte Aufgabe. Während ein paar der Tiere eine Mauer bilden, treiben ihnen die anderen die Fische direkt vor die Mäuler. Die Falle schnappt zu, für die Heringe gibt es kein Entkommen.
Es geht sogar noch cleverer! An der Küste des US-Bundesstaates South Carolina wurden Große Tümmler dabei beobachtet, wie sie Fische auf den Strand jagten. Anschließend robbten die Räuber selbst aufs Trockene, um die gestrandete Beute aufzulesen. Und im Golf von Mexiko betäuben die Meeressäuger ihre Opfer mit einem gezielten Schlag ihrer Schwanzflosse, bevor sie die Fische fressen!
Mit Schallwellen sehen?
Delfine singen und pfeifen jedoch noch aus einem zweiten Grund: um sich zu orientieren. Sie senden wie Fledermäuse hohe Ultraschallsignale aus, die wir Menschen nicht hören können. Treffen diese Schallwellen auf ein Hindernis, etwa ein Riff oder einen Fischschwarm, prallen sie daran ab und kehren als Echo zurück.
Am Klang des Echos und der Zeit, die es für den Rückweg gebraucht hat, erkennen Delfine genau, welches Hindernis sie vor sich haben und wie weit es entfernt ist. Dieser Spürsinn ist so ausgefeilt, dass die Tiere sogar Fische aufstöbern, die sich im Meeresboden eingegraben haben.
Versteckte Beute oder Stein? Diese Frage beantwortet das Delfin- Echolot meist richtig!
Delfine in Gefahr
Leider warnt es die Tiere jedoch nicht vor einer von Menschen gemachten Gefahr: den kilometerlangen Treib- und Stellnetzen der Fischer. Tierschützer vermuten, dass sich weltweit jährlich 300 000 Delfine und andere Kleinwale in den Netzen verfangen und qualvoll ersticken.
Lebend gefangene Exemplare werden an Delfinarien verkauft. In Japan, Taiwan, Peru sowie auf den dänischen Färöer-Inseln machen Fischer zudem Jagd auf die Säuger. Sie treiben die Tiere in Buchten und stechen mit Speeren zu, bis sich das Meer blutrot färbt.
Auch Nevis' Familie in der Moray- Bucht schrumpft. In das Meer geleitete Abwässer machen viele Tümmler unfruchtbar. Charlie und Barbara freuen sich deshalb über jedes Neugeborene - und machen gleich ein Foto von ihm.