
Niemand ist perfekt, das gilt auch für Tomaten. Sie machen sich zwar vorzüglich in Saucen und Salaten und sind durch ihre auffällige Farbe und die pralle Form an jedem Marktstand ein Augenschmaus. Doch oft schmecken sie nur fad und wässrig oder werden schnell matschig. Woran liegt das? Wer entscheidet über Farbe, Form und Geschmack der Früchte? Es sind die Früchte selbst. Ihr Geheimnis liegt in den Abermilliarden Zellen, aus denen sie bestehen. In jeder einzelnen befindet sich der Bauplan, der festlegt, auf welche Weise sich eine Tomate entwickelt. Diesen Bauplan nennt man Genom. Und dieses Genom wird von Tomate zu Tomate weitervererbt. Ein geniales Prinzip, das Tomaten natürlich nicht allein für sich gepachtet haben. Jedes Lebewesen, auch der Mensch, trägt seinen genetischen Bauplan in seinen Zellen mit sich herum – und gibt ihn an seine Nachkommen weiter. Diese Baupläne zu verstehen, ist ziemlich kompliziert. Doch wo es gelungen ist, gehen Wissenschaftler inzwischen manchmal noch einen Schritt weiter: Sie greifen in die Baupläne ein, indem sie einzelne Gene verändern!
Was sind Gene?
Alle Gene eines Lebewesens zusammengenommen bilden das Genom. Die einzelnen Gene sind dabei wie einzelne Kapitel eines Buches. In einem steht, ob etwa eine Tomate rot oder gelb wird, im nächsten ist die Größe festgelegt und so weiter. All diese Informationen liegen auf den sogenannten Chromosomen im Kern jeder einzelnen Zelle des Körpers. Dort sind die Gene in einer Kette aneinandergereiht, die wie eine gedrehte Strickleiter aussieht. Diese Leiter hat einen nahezu unaussprechlichen Namen: Desoxyribonukleinsäure. Die Abkürzung DNS (auch: DNA) tut es aber auch. Die Sprossen dieser DNS-Leiter bestehen aus je zwei der vier chemischen Stoffe Adenin, Thymin, Cytosin und Guanin. Ein Gen besteht aus einem ganzen DNS-Abschnitt. Die genaue Anzahl seiner Sprossen ist immer unterschiedlich.
Der Grund dafür ist einleuchtend: Wenn es gelingt, auf diese Weise die Schwächen einer Tomate zu beheben – warum sollte man dann auf die "perfekte" Tomate verzichten? Das dachten sich unter anderem die Tüftler der US Firma Calgene und erschufen „Flavr Savr“ – der Name sollte so viel bedeuten wie „Geschmacksgenretter“. Dieser neuen Tomatensorte knipsten die Biologen einfach das Matsch-Gen aus. Dadurch konnten die Tomaten am Strauch länger reifen. Das ist rund 20 Jahre her und galt damals erst einmal als eine Sensation. Ein Erfolg war es dennoch nicht: Den Transport überstand keine der Früchte unbeschadet – deshalb findet man sie jetzt auch nirgends im Supermarkt.
Solche Experimente sind heute selbstverständlich. Fast jede Nutzpflanze wurde inzwischen im Labor genetisch verändert, allen voran Soja und Mais. Diese werden in großem Stil angebaut, um sie an Tiere zu verfüttern. Auf weltweit etwa 110 Millionen Hektar – einer Fläche rund dreimal so groß wie Deutschland – pflanzen Bauern mittlerweile genveränderte Lebensmittel an. Dort reifen Abermilliarden von Früchten, die ein klein wenig „perfekter“ sind als ihre natürlichen Artgenossen.
Eine gute Sache? Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Viele Menschen lehnen sogenanntes Gen-Food – zu Deutsch: „Gen-Nahrung“ – ab. Das Hauptargument: Niemand weiß, was in unserem Körper passiert, wenn wir genveränderte Lebensmittel essen. Sicher, wir werden nicht sofort krank, sonst wären wir das schon: Gen-Food hat unsere Kühlschränke und Kochtöpfe längst erobert. Kritiker befürchten, dass Fleisch und Milch der Tiere, die genverändertes Futter fressen, Spuren der veränderten Gene enthalten können. Untersuchungen lassen vermuten, dass sich das manipulierte Erbgut der Pflanzen auch in die Zellen von Säugetieren einbauen kann. Also auch in die menschlichen! Eine weitere Befürchtung: Gen-Food könne Allergien auslösen, weil es für den Körper unbekannte Stoffe enthält. Also sollten wir Gen-Food besser meiden? Das ist kaum möglich – wegen der sogenannten Genverschmutzung. Zwar schreibt ein Gesetz vor, dass zwischen Feldern mit normalen und solchen mit genretterveränderten Pflanzen ein Sicherheitsabstand von 150 Metern liegen muss. Der soll verhindern, dass die veränderten Gene in die naturbelassenen Pflanzen eindringen und sich mit deren Erbgut vermischen. Doch oft genügt der Abstand nicht. Die Pollen vom Raps etwa trägt der Wind mitunter mehrere Kilometer weit. Deshalb schätzen Experten, dass bereits in deutlich mehr Lebensmitteln verändertes Erbgut steckt, als bekannt ist. Die Pflicht, genveränderte Lebensmittel auf der Verpackung zu kennzeichnen, nützt also recht wenig. Auf der anderen Seite gelingt es mit Gen-Food vielleicht, einige Probleme auf unserem Planeten zu lösen. Genveränderte Gewächse sind gegen die Angriffe vieler Schädlinge immun, deshalb könnten Bauern möglicherweise auf den Einsatz starker Pestizide verzichten. Zudem tüfteln einige Wissenschaftler an Pflanzen – wie zum Beispiel Reis –, die zusätzliche Nährstoffe enthalten. Etwa Vitamine, die vielen Menschen in Entwicklungsländern fehlen. Wenn das gelänge, könnte Gen-Food Leben retten. Doch noch sind eben viele Fragen offen. Bis die beantwortet sind, greifen Zweifler am besten in die Gemüsekisten der Bio-Bauern.