
Station 11.18 Uhr
Vorsichtig streckt Musja ihren Kopf aus dem Transportkorb. Ihr schwarzes Näschen erschnuppert die fremde Umgebung, fängt den süßlichen Muff von Trockenfutter ein, und etwas Beißendes – Desinfektionsmittel. Auch Musjas Ohren sind auf Empfang.
Wie Satellitenschüsseln drehen sie sich zu den Geräuschen hin: zum Knautschen von Gummischuhen auf den Fliesen, zum Surren eines Computers am anderen Ende des Flurs. Nur die Stimme ihrer Besitzerin hört Musja nicht mehr. Die ist eben im Aufzug verschwunden, nachdem sie Musja in die Katzenklinik in Frankfurt am Main gebracht hat, die einzige in Deutschland.
Hier wird die zierliche Katze an diesem Montag behandelt – wie täglich rund 25 andere tierische Patienten auch. Manche kommen nur für eine kurze Untersuchung vorbei. Andere müssen länger bleiben und beziehen eine der elf Boxen auf der Station. Musjas Box ist die zweite von rechts, in der unteren Reihe.
Sie hat Krebs und einen gefährlichen Tumor an einer Zitze, haselnussgroß und deutlich unter dem glatten Fell zu spüren. Ehe sich das Geschwür weiter ausbreitet, soll es entfernt werden. Musja steht darum eine große Operation bevor. Zunächst aber sind andere Patienten an der Reihe.

Behandlungszimmer 13.55 Uhr

Eine junge blonde Frau kämpft mit den Tränen. Ihr Kinn zittert, als sie anfängt zu erzählen: „Gestern Abend war noch alles gut!“ Doch nun liegt Anke Carlos’ Katze Alisha schlaff auf dem Untersuchungstisch in einem der drei Behandlungszimmer. Das Atmen fällt dem Tier schwer, zu Hause hat es sich übergeben. Tierärztin Serina Filler hört Alishas Lunge ab und nimmt eine Blutprobe, um sie im Labor untersuchen zu lassen. Hat Alisha eine giftige Balkonpflanze gefressen? Macht die Lunge Probleme? „Fest steht: Alisha geht es richtig dreckig“, sagt die Ärztin. Die Katze muss in der Klinik bleiben – und in die Box neben der von Musja einziehen.
Kleiner Operationssaal 16.13
„Musja ist eine Vorzeigepatientin“, lobt Regina Seidel, die ebenfalls als Tierärztin in der Klinik arbeitet. Geduldig lässt sich die Katze die linke Vorderpfote scheren. Selbst als die Ärztin eine hohle Nadel in Musjas Vene sticht, wehrt sich das Tier nicht. Schon fließt das Betäubungsmittel in Musjas Körper. „"Gleich sieht sie rosa Elefanten", sagt Regina Seidel.
Und tatsächlich: Musja kugelt sich noch einmal über den Tisch, dann sackt sie in sich zusammen. Jetzt können Regina Seidel und ihre Assistentin Sabine Richter die Katze auf die Operation vorbereiten: das Gerät anschließen, welches das Herz überwacht. Den Bauch kahl scheren und mit gelb-braun schäumender Jodseife reinigen.
Ob Musja noch heute zurück nach Hause darf? Das wird sich zeigen, wenn sie nach der 30-minütigen Operation wieder aus der Narkose erwacht. In der Zwischenzeit trudelt bei Serina Filler der nächste Patient ein: Kater Rudi.



Behandlungszimmer 18.35 Uhr
"Mein Rudi hat sich mit einem dicken, roten Perserkater geprügelt", berichtet Marlies Weber und muss dabei schmunzeln. Sie weiß genau: Ihr Rudi hat es faustdick hinter den grau-braunen Ohren. Diesmal scheint er sich die linke Schulter verletzt zu haben. So mutig er heute Morgen noch gekämpft hat – jetzt macht er vor Angst auf den Behandlungstisch. Aber die Untersuchung 80 muss sein.
"Oh", entfährt es Tierärztin Serina Filler, als sie es endlich geschafft hat, Rudis linke Schulter zu scheren. "Da hat aber jemand ordentlich zugebissen!" Die Wunde hat sich bereits entzündet. Um sicherzugehen, dass der Knochen nichts abbekommen hat, will sie Rudi zum Röntgen bringen. Doch dann: ein Notfall! Alisha atmet nicht mehr!
"Für die Katze ist das eine einzige Quälerei", sagt die Tierärztin. Doch wann die Qual ein Ende hat, entscheidet letztlich der Tierhalter, nicht sie. Auch wenn Serina Filler es manchmal gern wollte. "Ich bin auch eine Anwältin der Tiere, die für deren Rechte kämpft. Auch für ihr Recht, nicht leiden zu müssen", erzählt sie und greift deshalb zum Telefonhörer.
Das Gespräch dauert nur wenige Minuten. "Wir erlösen sie", sagt Serina Filler schließlich. "Frau Carlos kommt später noch einmal vorbei, um sich von Alisha zu verabschieden." Dass Tiere trotz aller Bemühungen sterben, gehört für die Ärzte zum Klinikalltag dazu. Meistens aber können sie gute Nachrichten überbringen. So wie bei Raufbold Rudi.
Kleiner Operationssaal 18.58 Uhr
Tierarzthelferin Sabine Richter stürzt durch die OPTür herein: "Braucht ihr Hilfe?" "Wir nicht, aber die Katze!", antwortet Serina Filler, ohne von Alishas reglosem Brustkorb aufzuschauen. Die Tierärztin hält einen durchsichtigen Beatmungsbeutel in der Hand, den sie immer wieder zusammenquetscht, um Luft in Alishas Lungen zu pumpen.
"Ich weiß einfach nicht, wogegen ich kämpfe", murmelt sie verzweifelt. Alishas Lunge ist doch in Ordnung, hat das Röntgenbild gezeigt. Mehr als 25 Minuten versucht Serina Filler, Alisha am Leben zu halten. Aussichtslos.




Röntgenraum 20.34 Uhr
Das Röntgenbild zeigt: Rudis Knochen sind beim Kampf mit dem Perserkater unversehrt geblieben. Gegen die entzündete Wunde bekommt er Antibiotika-Tabletten in einem Stück Leberwurst untergejubelt – zu Hause. Musja hat die Operation zwar gut überstanden, aber danach noch stark geblutet.
Sie bleibt deshalb bis zum nächsten Morgen, genau wie Tierärztin Serina Filler. Sie hat heute Nacht Notdienst. Was die nächsten Stunden wohl bringen werden?



Katzenwissen: Gleichgewicht
Ihr Schwanz hilft allen Katzen dabei, das Gleichgewicht zu halten. Sie benutzen ihn wie ein Drahtseilakrobat seine Balancierstange. So können etwa Hauskatzen auf Zäunen laufen oder Leoparden von Ast zu Ast klettern. Noch wichtiger ist aber dafür ein Gleichgewichtsorgan im Innenohr: der hoch ausgebildete "Vestibularapparat".
Er überwacht sämtliche Kopfbewegungen – und sendet Reize an das Gehirn, um andere Körperteile zu bewegen. Durch dieses System beherrschen Katzen einen akrobatischen Tick: Fallen sie einmal rückwärts vom Baum, drehen sie ihren Körper im Flug um die eigene Achse und landen sicher auf vier Pfoten. Dieser Reflex ist angeboren.