Honemr: Wer ist eigentlich dieser Dichter?
Den alten Griechen geht es wie uns: Sie lieben spannende Geschichten! Kino und Fernsehen sind damals aber noch nicht erfunden – nicht mal der Buchdruck. Also lassen sich die Menschen von reisenden Dichtern Helden- und Göttersagen erzählen. Diese sogenannten Rhapsoden lesen ihrem Publikum nicht vor, sie sagen die Geschichten auswendig auf! Reife Leistung: Die Erzählungen sind oft so lang, dass die Vorträge Stunden dauern.
Da kommt Homer (der Name wird „Ho-mehr“ ausgesprochen) ins Spiel. Der Dichter soll um etwa 700 vor Christus bekannte Sagen aufgeschrieben haben: So entsteht die 15.693 Verse lange „Ilias“, eine Geschichte über den Trojanischen Krieg. Und die 12.110 Verse lange „Odyssee“, die von der zehnjährigen Irrfahrt des Königs Odysseus handelt.
Wieso kloppen sich alle in der Ilias?
Erstens, weil dieses EPOS im Trojanischen Krieg spielt: Die Griechen wollen die Stadt Troja erstürmen und sich die schöne Helena zurückholen, die der tro- janische Königssohn Paris entführt hat. Und zweitens, weil der Held der „Ilias“ fast die ganze Geschichte über stocksauer ist: Achilles, der stärkste Krieger der Griechen, ist stinkig auf seinen Heerführer Agamemnon, weil der ihm die Lieblingssklavin weggenommen hat. Der beleidigte Held will deswegen nicht mehr in die Schlacht ziehen.
Da lachen sich die Feinde ins Fäustchen, denn ohne Achilles sind die Griechen aufgeschmissen. Sie verlieren jeden Kampf und werden von den Trojanern gnadenlos niedergemetzelt. Auch Achilles’ bester Freund Patroklos stirbt – durch das Schwert des trojanischen Prinzen Hektor.
Das macht Achilles erst so richtig fuchtig. Er zieht wieder mit seinen Kameraden in die Schlacht und knöpft sich Hektor vor. In seiner Raserei tötet er ihn nicht nur. Achilles schleift die Leiche auch noch hinter seinem Streitwagen her und droht, sie den Hunden zum Fraß vorzuwerfen.
Erst als Hektors Vater verzweifelt um die Herausgabe seines Sohnes bittet, bekommt der Wüterich Mitleid: Der Zorn des Achilles verraucht. Endlich!
Aber wann kommt das Trojanische Pferd ins Spiel?
Tja, gar nicht. Denn davon erzählt Homer nicht in der „Ilias“, sondern erwähnt es in seinem zweiten Epos, der „Odyssee“. Darin kommt der Trojanische Krieg aber nur am Rande vor.

Die Geschichte mit dem berühmten Pferd geht jedenfalls so: Die Griechen schieben Frust, weil sie es nach zehn Jahren Belagerung immer noch nicht geschafft haben, in die Stadt Troja einzudringen. Da hat der Held Odysseus eine Idee. Er lässt ein gigantisches Holzpferd bauen und stellt es den Trojanern direkt vors Stadttor. Die griechischen Truppen tun derweil, als würden sie aufgeben und abziehen.
Komischerweise sind die Trojaner kein bisschen misstrauisch. Sie halten das Pferd für ein tolles Geschenk und holen es herein. Aber während sie ihren Sieg feiern, springen griechische Krieger aus dem Bauch des Holztiers und öffnen dem Rest ihrer Truppen das Stadttor. Wenig später ist Troja nur noch Schutt und Asche.
Warum fährt Odysseus nicht nach Hause, nachdem der Krieg vorbei ist?
Würde er ja gern. Kann er aber nicht, weil er sich den Zorn des Poseidon zugezogen hat. Der Meeresgott schickt den armen Odysseus auf eine Irrfahrt kreuz und quer über das Mittelmeer. Davon erzählt Homers „Odyssee“. Der Held bekommt es darin mit der Zauberin Circe zu tun, die Menschen in Schweine verwandelt, mit den Meeresungeheuern Skylla und Charybdis und anderen Scheusalen.
Bis an die Pforten des Totenreichs verschlägt es ihn! Kein Wunder, dass seine Mannschaft mit der Zeit immer kleiner wird: Mit geschätzt 500 Mann sticht Odysseus in See. Als er nach zehn Jahren Herumirrens endlich zu Hause ankommt, ist er der einzige Überlebende.
Warum ist Homer für die Griechen so wichtig?
Einen Staat namens Griechenland gibt es in der Antike nicht. Nur viele zersplitterte Stämme und Stadtstaaten, die alle ihr eigenes Süppchen kochen. Aber so verschieden diese Leute auch sind: Sie alle lieben Homer!
„Ilias“ und „Odyssee“ sind so etwas wie ihre Nationaldichtungen – Geschichten, die alle Griechen miteinander verbinden. Und ihr Verfasser ist ein echter Volksheld. Jeder Athener Schüler muss Homers Texte lesen, sein Abbild prangt auf Münzen.
Die Menschen haben eine genaue Vorstellung von ihrem Lieblingsschriftsteller. Blind soll er gewesen sein, mit dichtem Bart und edlen Gesichtszügen. Seltsam nur, dass ihn scheinbar nie jemand persönlich getroffen hat…
Heute glauben manche Forscher, dass mehrere unbekannte Dichter die Werke schrieben und es Homer in Wahrheit gar nicht gab. Wie seine Geschichten ist er womöglich selbst pure Erfindung.
Interessiert dieses steinalte Zeug heute überhaupt noch jemanden?
Klar! Auch wenn nur noch ganz fleißige Leseratten Homers vertrackte Verse in Buchform schmökern. Seine Heldengeschichten werden bis heute immer wieder neu erzählt. Unzäh- lige Romane, Gemälde, Opern, Filme und Comics handeln von den Abenteuern des Achilles und Odysseus. Denn die sind auch nach 2800 Jahren noch spannend.