Zahnpasta mit Burger-Geschmack. Ein Korb voller Schokolade, den es bei Facebook zu gewinnen gibt. Und ein Mann, der eine Kobra heiratet. Gibt es all das wirklich? Das müssen Mika, Batu, Carla, Tjark und der Rest der 6d an diesem sonnigen Dezembernachmittag herausfinden. Die 24 Schülerinnen und Schüler hocken in ihrem Klassensaal der Heinrich-Hertz-Schule im Hamburger Stadtteil Winterhude und starren auf die Schlagzeilen, die ein Beamer an die Wand wirft.
„Schaut euch die Texte und Fotos genau an“, sagt Nicola Kuhrt. Die Medizinjournalistin schreibt eigentlich für Zeitungen wie „Die Zeit“ oder Zeitschriften wie den „Stern“. Heute steht ihr fünfter Einsatz für die „Lie Detectors“ (Englisch für „Lügendetektoren“) an. Die Organisation wurde vor zwei Jahren im belgischen Brüssel gegründet und bildet Journalisten zu Experten für Fake News aus. Diese geben ihr Wissen dann in Workshops an Schulen weiter.
Fake News lassen sich leicht entlarven
„Jetzt müsst ihr entscheiden: wahr oder gelogen?“, fordert Nicola Kuhrt die Klasse auf. Am heftigsten diskutiert die 6d über Beispiel drei, „Mann heiratet Kobra“. „Die Meldung ist tatsächlich …“, Nicola Kuhrt legt eine Pause ein. Die Schüler poltern einen Trommelwirbel auf die Tische. „… falsch! War aber eine so coole Geschichte, dass sie viral gegangen ist.“
Mit ein paar einfachen Tricks lassen sich Fake News wie diese entlarven: indem man etwa nachschaut, was andere Internetseiten über eine Nachricht schreiben. Oder den ganzen Artikel liest, nicht nur die Überschrift. Genau hinzuschauen ist wichtig, gerade weil es viele Arten von Fake News gibt.
Fake News haben viele Gesichter
Manche sind komplett frei erfunden, bei anderen wurden die Bilder bearbeitet und verfälscht. Und manchmal ist zwar das Bild echt, aber es wird in einem ganz anderen, falschen Zusammenhang abgebildet.
Gemeinsam haben alle Fake News, dass es sich dabei nicht einfach um Fehler handelt, die aus Versehen in eine Meldung reinrutschen. Das kann jedem passieren. Fake News werden absichtlich verfasst und verbreitet. Mit falschen Gewinnspielen beispielsweise lassen sich Daten von Nutzern abgreifen. Und der 6d fallen weitere Gründe ein:
„Weil man will, dass viele Leute auf die Seite schauen“, ruft jemand. Stimmt. Das sorgt nämlich für Klicks, und Klicks bringen Geld.
„Rache“, lautet ein dritter Grund. Tatsächlich dienen Fake News oft allein dazu, jemanden schlecht dastehen zu lassen oder Menschen gegeneinander aufzuhetzen. Auch
Politiker verbreiten bisweilen Falschnachrichten über ihre Gegner, damit diese nicht gewählt werden. Erschreckenderweise oft mit Erfolg!
Während der Europawahl 2019 etwa breiteten sich falsche Nachrichten auf Facebook sechsmal schneller aus als richtige, haben Forscher der Universität Oxford in England herausgefunden. Das Problem dabei: Je mehr Menschen eine Fake News teilen, desto „wahrer“ erscheint sie.
„Deshalb sollte man Falschnachrichten und Kettenbriefe auf keinen Fall weiterleiten“, raten Nicola Kuhrt und die anderen Lie Detectors in ihren Workshops.
Fake News sind ein weltweites Problem
Rund 200 von ihnen sind in Deutschland unterwegs. Weitere gibt es in Belgien und Österreich, die Niederlande, Polen und die Schweiz sollen folgen. Gut so, denn:
Fake News sind in den vergangenen Jahren zu einem weltweiten Problem geworden. Und natürlich lassen sich nicht nur Schülerinnen und Schüler von ihnen täuschen, sondern auch Erwachsene. 61 Prozent der Deutschen finden es einer aktuellen Umfrage zufolge schwierig, Fake News zu erkennen.
Für die 6d steht nach einer Pause ein Experiment auf dem Programm: Stühle werden knarzend zurückgeschoben, Winterstiefel poltern über das Linoleum. Die eine Hälfte
der Schüler schaut sich im Flur um, die andere blickt aus den Fenstern des Klassensaals. Nach fünf Minuten sitzen alle wieder auf ihren Plätzen. Die Gruppen sollen einen Satz vervollständigen, den Nicola Kuhrt an die Tafel gekritzelt hat:
„Draußen vor dem Klassenzimmer …“ „… hat jemand sein Fahrradlicht angelassen.“ „… haben welche Fußball gespielt“, ergänzt die Fenster-Gruppe als Erstes. Dann ist die Flur-Gruppe an der Reihe: „… gibt es sechs blaue Türen“ „… und eine gelbe Wand.“
Doch wer hat nun recht? „Beide!“, sagt Nicola Kuhrt. „Genau wie ihr sieht jeder, auch Journalisten, immer nur einen Teil der Wahrheit.“ Natürlich sprechen Journalisten zu einem Thema mit verschiedenen Experten und checken mehrere Quellen. Trotzdem muss jeder vor dem Schreiben eine Auswahl treffen, welche der Infos er mit den Lesern teilt. Oft geht es deshalb nicht um wahr oder falsch, sondern einfach um verschiedene Seiten.
Fake News und das Problem mit der Filterblase
Online kann das zum Problem werden: Nutzer klicken eher auf Posts, die ihren eigenen Ansichten und Werten entsprechen. Algorithmen verstärken das noch, indem sie dem Nutzer nur Beiträge vorschlagen, die ihm gefallen könnten. Sie bauen Filterblasen, in denen man Argumente von Menschen mit anderen Meinungen gar nicht mehr mitbekommt. Mehr noch: Es entsteht sogar der Eindruck, dass alle anderen genau die gleichen Ansichten haben.
Dabei lohnt es sich, seine Filterblase zu verlassen und die Perspektive zu wechseln. Das zeigt ein kurzer Film, den die 6d zum Schluss anschaut. Darin stürmt ein Mann mit kahl rasiertem Schädel auf einen Herrn mit Hut zu und schubst ihn zur Seite. „Ein Räuber!“, raunt es aus der zweiten Reihe. Der Film läuft weiter, zeigt dieselbe Szene aus einer anderen Kameraperspektive. Die Zuschauer sehen nun, dass der Mann mit Hut unter einem Kran steht, der gerade seine Ladung verliert. Der Kahlrasierte rempelt ihn an – um ihm das Leben zu retten!
Das Beispiel sitzt. Die Schüler hocken einen Moment schweigend da, dann schrillt die Schulglocke. Nicola Kuhrt gibt ihnen einen letzten Rat mit auf den Weg: „Bleibt kritisch, das ist das Wichtigste!“