Der Kaugummi ist schon 150 Jahre alt
Die Luft ist drückend heiß und schwül wie unter einer viel zu dicken Bettdecke. Hier, im Südosten Mexikos, schwirren Moskitos durch das dichte Grün des Regenwaldes. Sapodillabäume ragen in den Himmel, manch einer 40 Meter hoch. Chicozapote nennen die Einheimischen diese hölzernen Giganten. Durch ihre Adern fließt ein kostbarer Saft: Chicle.
Einige Männer haben es auf diesen Baumsaft abgesehen. Gesichert nur durch ein Seil, das sie wie einen Gürtel um ihre Hüften und den Stamm legen, klettern die drahtigen Chicleros auf die Sapodillabäume. Eisenhaken an den Gummistiefeln geben ihnen Halt. Oben angekommen, ritzen die Männer mit ihren Macheten v-förmige Muster in die Rinde.
Dickflüssig und weiß quillt der Chicle- Saft aus dem Stamm und rinnt in die am Fuße der Bäume befestigten Säcke: Chicle ist der traditionelle Grundstoff von Kaugummi.
Bereits die Maya kauten Kaugummi
Schon vor 2000 Jahren kauten die Maya in Mittelamerika auf Chicle herum. Und auch andernorts, wo es keine Sapodillabäume und damit kein Chicle gab, kauten die Menschen Kaugummi: So entdeckten Wissenschaftler etwa in Finnland die Überreste eines 5000 Jahre alten Kaugummis, der aus Birkenharz gewonnen wurde. Doch zurück zum Chicle: Es waren Reisende im 16. und 17. Jahrhundert, die die Masse nach Nordamerika brachten – wo jedoch lange Zeit niemand so recht etwas damit anzufangen wusste. Das änderte sich erst, als der Erfinder Thomas Adams aus New York im Jahr 1857 eine Tonne Chicle kaufte.
Weil seine Versuche scheiterten, daraus Reifen oder Spielzeug herzustellen, kam Thomas Adams auf die Idee, stattdessen Kaugummis aus Chicle zu produzieren: Sie wurden ein Verkaufsschlager! Kurz darauf stieg auch William Wrigley Jr. aus Chicago ins Geschäft ein. Jedem, der bei ihm Backpulver kaufte, schenkte der Händler ein Päckchen der mit Geschmacksstoffen versetzten „Wrigley’s“-Kaugummis dazu.
Bald wollten die Leute von William Wrigley gar kein Backpulver mehr, sondern nur noch seine köstlichen Kaugummis. US-Soldaten, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa stationiert
waren, machten sie später auch bei uns bekannt – und populär.
Rund 100 Kaugummis verdrückt jeder Deutsche pro Jahr
Allein im vergangenen Jahr gaben die Deutschen 560 Millionen Euro für Kaugummis aus. Im Schnitt verdrückt jeder von uns rund 100 Streifen oder Dragees pro Jahr – und das hat sogar einen positiven Nebeneffekt: Forscher haben herausgefunden, dass das Kauen die Konzentration steigert, weil die Kaubewegungen die Durchblutung und damit die Sauerstoffversorgung des Gehirns verbessern.
Allerdings steckt heutzutage nur noch in wenigen Gummis der Baumsaft Chicle, den die Männer im mexikanischen Regenwald gewinnen. Längst besteht ein Großteil der Kaugummis aus künstlich hergestellten Zutaten, und die Streifen und Dragees werden in Fabriken in aller Welt produziert.

Auf Gehwegen werden Kaugummis zum teuren Problem
Doch damit gibt es ein Problem: Achtlos ausgespuckt, werden künstliche Kaugummis oft auf Gehwegen oder Straßen breit getreten und kleben jahrelang auf dem Asphalt. Mancherorts in Deutschland zieren bis zu 100 der Kaugummi-Flecken einen einzigen Quadratmeter Bürgersteig! Diese Flatschen etwa mit Hochdruckreinigern zu entfernen, kostet hierzulande schätzungsweise 900 Millionen Euro pro Jahr.
Daher tüfteln Wissenschaftler von der Technischen Hochschule Köln derzeit an einem speziellen Gerät, um Straßen und Wege mithilfe von Ultraschallwellen schneller und einfacher von Kaugummis zu befreien. Bis solche Maschinen tatsächlich durch unsere Städte rollen, wird es allerdings noch einige Jahre dauern.
Ben Wilson aus London geht derweil kreativer mit den festgetretenen Kaugummi- Flatschen um: Der britische Maler verwandelt sie mit Lötlampe, Pinsel und Acrylfarbe in Miniatur-Kunstwerke. Rund 10 000 Bilder hat Ben Wilson so schon geschaffen, die meisten in seiner Heimatstadt. Und auch die 16,5 Meter lange „Gum Wall“ (auf Deutsch: Kaugummimauer) in der US-amerikanischen Stadt Seattle, an der Hunderttausende durchgekauter Kaugummis kleben, gilt als Kunstwerk – und zieht wohl noch eine Weile Besucher aus aller Welt an.
Übrigens: Hätten die Menschen statt künstlicher Kaugummis Chicle an die Wand gepappt, gäbe es die Gum Wall längst nicht mehr – und auch nicht das Dreckproblem in den Städten. Chicle zersetzt sich innerhalb weniger Wochen ganz von allein.