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Tierwelt Können Tiere denken?

Schimpanse
Schimpansen sind in der Lage, Gebärdensprache zu erlernen
© Colourbox
Stimmt es wirklich, dass Füchse schlau sind? Und Kühe dumm? Kein Forscher konnte das bisher beweisen. Bei vielen anderen Tieren haben Wissenschaftler mit Experimenten erkundet, was in deren Köpfen vorgeht - und dabei sind sie auf beachtliche Leistungen gestoßen

Ein Pferd, das rechnen kann? Unmöglich! Das wollen die Gelehrten erst einmal sehen, bevor sie es glauben. Und so besuchen im September 1904 Professoren, Tierärzte und sogar ein Zirkusdirektor den Hof des Lehrers Wilhelm von Osten. Dort ist der "Kluge Hans" zu Hause, dieser Hengst, von dem bereits das ganze Land redet. Die Besucher sind misstrauisch. Aber der Pferde-Star bleibt gelassen. Auf die Frage "Wie viel ist drei mal neun?" beginnt er sofort mit dem Vorderhuf zu stampfen: genau 27-mal. Danach berechnet er locker ein paar Quadratwurzeln - eine Aufgabe, mit der sich Menschenkinder von der 7. Klasse an herumschlagen. Die Forscher sind beeindruckt.

Der "Kluge Hans" besteht seine Prüfung sogar dann, wenn ein völlig fremder Mensch ihm die Fragen stellt. Erst später fliegt der Schwindel auf: Hans stampft bei jeder Aufgabe einfach drauflos. Wenn das richtige Ergebnis erreicht ist, entspannt der Fragesteller ganz unbewusst seine Muskeln. Eine Millimeter-Zuckung nur - aber der Hengst erkennt sie fast immer und hört sofort mit dem Stampfen auf. Wenn sein "Lehrer" die Lösung selber nicht weiß, hat auch das Pferd keine Ahnung.

Ein Wundergaul war der "Kluge Hans" trotzdem. Er konnte zwar nicht bis drei zählen - aber dafür Professoren überlisten. Die wurden nach der Blamage vorsichtig: Jahrzehntelang lachten sie jeden aus, der behauptete, dass ein Seehund oder eine Ratte denken könne. Verhielt ein Tier sich "klug", dann vermuteten die Forscher dahinter eine Dressur. Oder eine Art natürliches Computerprogramm, eine angeborene Reaktion, die nichts mit Denken, freiem Willen oder mit dem Abwägen von Vor- und Nachteilen zu tun hat. Solche Leistungen trauten die Gelehrten allein den Menschen zu - nach dem Motto: Nur wer sprechen kann, dem schwirren auch Gedanken durch den Kopf.

Heute sehen viele Forscher ein, dass sie damit ganz schön danebenlagen. Tiere können zwar keine Quadratwurzeln ziehen. Aber sie können denken und sich verständigen - nur eben anders als wir Menschen.

Kommunikation unter Tieren: Können Tiere sprechen?

Eine eigene Sprache haben Forscher zum Beispiel bei den Grünen Meerkatzen festgestellt, einer Affenart in Ostafrika. Wenn ein Mitglied der Affenbande seine Kumpel vor einem Feind warnt, dann klärt es sie auch immer gleich darüber auf, wer ihnen da auflauert: Die Meerkatzen kennen spezielle Warnrufe für Raubkatze, Schlange, Adler, Mensch und Pavian. Bei Katzenalarm flüchten alle auf dünne Äste der Bäume, bei Adlerwarnung stürmen sie ins nächste Gebüsch. Und wenn eine Mamba heranschlängelt, stellen sich die Affen auf die Hinterbeine und suchen den Boden ab.

Ein Graupapagei namens Alex hat noch mehr Köpfchen bewiesen: Er kennt knapp 100 Wörter Englisch - und kann sie nicht bloß nachplappern, sondern richtig benutzen! Zum Beispiel so: Eine Trainerin zeigt Alex ein blaues und ein grünes Holzdreieck. "Was ist gleich, Alex?", fragt sie. "Form", kräht der Papagei. Was ist verschieden? "Farbe." Und wie heißt das Material? "Holz." Kein Holzkopf, dieser Vogel! Auch wenn er für jedes neue Wort zwei Monate lernen muss.

Andere Tiere, wie Seelöwen, Delfine oder Schimpansen, können menschliche Wörter zwar nicht aussprechen. Aber Forscher haben ihnen die Gebärdensprache beigebracht - oder sie gelehrt, aus mehr als 100 Symbolen Sätze zu bilden. Dabei schaffen es die schlauesten Affen sogar, mehrere Zeichen zu neuen Begriffen zusammenzusetzen, wenn ihnen mal die Worte fehlen. Als eine Schimpansin einmal eine Brausetablette im Glas zischen sah, zeigte sie auf die Zeichen für "Hören" und "Getränk". Und das Gorillaweibchen Koko taufte sein gestreiftes Plüschzebra "Weißer Tiger". Ganz schön wortgewandt! Und wer weiß, was sich die Vögel im Wald alles zuzwitschern? Deren Sprache ist noch niemand auf die Schliche gekommen.

Graugans
Graugänse sind Zugvögel - im Winter ziehen sie nach Süden
© Colourbox

Tiere erbringen Höchstleistungen bei der Orientierung

Hochleistung bringen Tiere auch, wenn sie sich orientieren müssen. Zugvögel bestimmen ihren Kurs mit dem Sternenhimmel. Lachse erkennen ihren Heimatfluss am Geruch. Was sie sich dabei denken, ist ungewiss. Und was geht wohl im Hirn des Kiefernhähers vor, wenn dieser Vogel im Herbst bis zu 30000 Samen in 6000 Verstecke schleppt? Und wenn er sie im Winter fast alle wiederfindet? Klar ist: Der Vogel merkt sich zum Beispiel, wenn ein Ort genau zwischen zwei Bäumen liegt - er muss also wissen, was eine "Mitte" ist. Die Forscher wollen nun herausfinden, ob das Tier auch rechts und links unterscheiden kann.

Das schaffen die Honigbienen: Wenn sie neuen Nektar entdeckt haben, geben sie ihren Kolleginnen eine genaue Wegbeschreibung zur Fundstelle - die Informationen verpacken sie in einem Tanz! Ein Forscher hat bewiesen, dass die Insekten dabei wirklich eine Art Landkarte im Kopf haben müssen: Er führte Bienen zu einem Boot auf einem See. Dort war der begehrte Blütensaft versteckt. Aber als die "Entdecker" zu ihrem Stock zurückbrummten und von dem Fund erzählten, folgte niemand ihrem Tipp: Die Bienen hielten den Hinweis für einen Irrtum - denn das angebliche Schlaraffenland lag nach ihrer inneren Landkarte mitten auf dem See! Das kam ihnen dann doch komisch vor.

Tiere und ihre Werkzeuge

Eine andere Art von Denkleistung beweisen Tiere, die sich Werkzeuge herstellen. Die Krähen auf der Südseeinsel Neu-Kaledonien sind darin Meister: Aus den steifen Blättern des Pandanus-Baumes knabbern sie Streifen heraus, die wie Messer geformt sind - perfekt, um damit unter der Baumrinde nach Insekten zu stochern. Noch besser: Um ein Eimerchen mit Futter aus einem Loch zu ziehen, bog sich eine Krähe im Versuchslabor aus Draht einen Haken zurecht und hievte damit die Mahlzeit in ihre Reichweite. Eine solche Denkleistung schaffen Kinder erst mit knapp drei Jahren!

Elefantenkuh
Elefantenkuh mit Jungtier
© Colourbox

Eine andere Art von "Werkzeug" haben trächtige Elefantenkühe entdeckt: Wenn das Baby in ihrem Bauch nicht rauskommen will, laufen sie zu einem ganz bestimmten Baum, fressen alle Blätter auf - und bekommen wenig später ihr Junges. Woher sie die Geburtshilfe-Medizin kennen, weiß noch niemand.

Es gibt aber auch scheinbar leichte Aufgaben, an denen fast alle Tiere scheitern: zum Beispiel den Spiegeltest. Im Schlaf wird dabei einem Tier ein Farbpunkt ins Gesicht gemalt. Aber Hunde, Katzen und auch die meisten Affen kapieren danach nicht, dass der Punkt, den sie da im Spiegel sehen, an ihrem eigenen Körper ist. Diese "Selbsterkenntnis" schaffen nur Schimpansen, Bonobos, Orang-Utans, Delfine - und Menschen, die älter als zwei Jahre sind.

Auch in Mathe schneiden viele Tiere schwach ab. Affen haben immerhin bewiesen, dass sie eins und eins zusammenzählen können. Etwas weiter kommen die Tauben: Sie können lernen, auf einen Knopf genau 45-mal mit dem Schnabel zu picken, um ein Futterstückchen zu bekommen. Wenn ein zweiter Knopf erst nach 50-mal Drücken einen Leckerbissen freigibt, merken sie sich auch dies - und können beide Schalter mit genau abgezählten Bewegungen bedienen. Unglaublich: Ein Taubenhirn ist nicht einmal so groß wie eine Walnuss. Und die Vögel haben keine Finger zum Nachzählen.

Etwas Mathe-Nachhilfe könnten dagegen einige andere Vogelarten gebrauchen: Wenn der Kuckuck ihnen ein Ei ins Nest legt, bemerken sie die Frechheit überhaupt nicht. Vielleicht sollten sie mal ihr Spatzenhirn einschalten - und ihren Nachwuchs zählen!

Katze oder Hund: Wer ist schlauer?

Immer wieder geraten sich die Fans von Haustieren in die Haare, wenn es um diese Frage geht. Katzenfreunde prahlen damit, dass ihr Liebling seinen "eigenen Kopf" hat und immer genau weiß, was er will. Und Hundeliebhaber geben mit den tollen Tricks an, die sie ihren Collies, Dackeln oder Boxern beigebracht haben. Wer hat Recht?

Der Biologe Immanuel Birmelin hat versucht, diese Frage mit Experimenten zu beantworten. Und sein Ergebnis stellt alle zufrieden: Katzen und Hunde sind beide schlau - aber sie haben beim Denken unterschiedliche Stärken und Schwächen. Katzen haben zum Beispiel einen besseren Sinn für Orientierung, glaubt der Forscher: "Wir haben Katzen vor einen sechs Meter langen Drahtzaun gesetzt und auf die andere Seite einen Fressnapf gestellt. Die Tiere haben schnell begriffen, dass sie um den Zaun herumgehen müssen, um an die Leckerbissen zu kommen."Hunde sind beim gleichen Versuch schwerer von Begriff, bleiben oft genau gegenüber dem Fressnapf stehen und versuchen dann erfolglos, durch den Zaun zu kommen.

Für kompliziertere Experimente lassen sich die eigensinnigen Katzen nur schwer trainieren - aber eines hat der Biologe Birmelin immerhin herausgefunden: Katzen können bis vier zählen. Mindestens! Für "eins" und "zwei" mussten sie erst mal ziemlich lange pauken, doch dann schafften sie die erste Prüfung: Wenn der Trainer einmal mit einem Löffel gegen ein Glas schlug, liefen sie zu einem Fressnapf mit einem Punkt darauf, bei zweifachem Klopfen wählten sie den mit den zwei aufgemalten Punkten. Zugegeben: Das war noch keine Kunst, denn für die richtige Entscheidung wurden die Katzen mit Leckerlis belohnt. Aber dann zeigten sie die wirkliche Mathe-Leistung: Die Zahlen "drei" und "vier" haben die schnurrenden Schüler sofort und von allein verstanden! Und die Forscher haben nicht geschummelt: In allen Fressnäpfen war genau gleich viel drin...

Ob Hunde zählen können, ist noch nicht so genau erforscht. Sie haben aber dafür auf einem anderen Gebiet die Schnauze vorn: Sie verstehen uns Menschen besser. Wenn ein Mensch mit dem Finger auf etwas deutet, begreifen die Hunde schnell, dass ihr Herrchen ihnen nicht etwa seinen schönen Zeigefinger vorführen will, sondern auf etwas anderes, weiter Entferntes hinweist. Sie begreifen also, dass der Mensch sich bei der Handbewegung "etwas denkt". Sogar dann, wenn ein Mensch nur die Augen in eine Richtung bewegt, verstehen geübte Hunde, was das bedeutet: dass nämlich der Mensch mit seinem Blick in eine bestimmte Richtung zielt. Katzen sind bei solchen Experimenten ratlos - wer ihnen mit der Hand den Weg zeigen möchte, dem werden sie höchstens den ausgestreckten Zeigefinger beschnuppern. Probiert es mal aus!

Katzenfans sollten aber nicht traurig sein, denn eines ist sicher: Hunde lassen sich gut dressieren, Katzen hingegen dressieren selber - und zwar "ihren Menschen". Wenn der gemütlich auf dem Sofa liegt, stellen sie sich miauend vor die Verandatür; und wenn der Mensch genervt herbeieilt und öffnet, überlegt die Katze es sich oft anders, lässt den verdatterten Menschen kurzerhand stehen - und prahlt vielleicht bei ihren Freunden mit den tollen Tricks, die sie ihrem klugen Besitzer beigebracht hat.

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