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Mit dem Hundeschlitten durch Alaska

Kälte, Eis, Schnee - und das härteste Hundeschlitten-Rennen der Welt: das "Iditarod Race". Im Interview mit GEOlino-Redakteurin Sina Löschke erzählt Sebastian Schnülle, wie er sich darauf vorbereitet hat und wie er seine Huskys aufmuntert

Inhaltsverzeichnis

Wie lange hast du dich auf dieses Rennen vorbereitet?

Ich brüte schon jetzt über den Laufzeiten von diesem Jahr und gucke, wo man noch etwas verbessern kann. Nächste Woche fahre ich noch ein 440-Meilenrennen, wo ich schon wieder Hunde für das nächste Jahr ausprobiere. Das hört nie auf. Das ist ein Vollzeitjob. So wie ein Fußballprofi das ganze Jahr über nichts anderes macht, so machen wir auch nichts anderes.

Aus wie vielen Hunden konntest du deine besten 16 auswählen?

Ich besitze 66 Hunde, von denen ich die besten 16 ausgewählt habe, denn viele der 66 sind zu alt oder zu jung. Generell kann man sagen, wenn ein Hund jünger als drei Jahre alt ist, sollte man ihn noch nicht in einem Rennen fahren. Drei Jahre sind 21 Menschenjahre. Mit acht oder neun Jahren sind die Hunde dann zu alt, wobei ich in diesem Jahr ein altes Team hatte. Ich hatte vier Hunde darin, die zehn waren und einen Hund, der elf war.

Was hast du an eigener Ausrüstung im Schlitten dabei?

Sebastian und sein Hundeschlitten
Sebastian und sein Hundeschlitten
© Sebastian Schnülle

So wenig wie möglich. Ich nehme überhaupt keine Ersatzklamotten mehr mit. Früher hatte ich die immer dabei. Jetzt stehe ich auf dem Standpunkt, wenn ich die brauche, ist mein Rennen sowieso beendet. Ich habe mal ein Paar Socken mit, und vielleicht eine lange Unterhose. Aber es gibt ja die 22 Versorgungspunkte, an die man Sachen hinaus schicken kann. Aber im Schlitten habe ich sie nicht. Denn je leichter ich fahre, desto schneller bin ich auch. Die längsten Etappen sind 24 Stunden von Checkpoint zu Checkpoint, und es gibt eigentlich nichts, was ich 24 Stunden lang nicht entbehren kann.

Die Flüsse sind ja zugefroren, also man läuft nicht Gefahr ins Wasser zu fallen ...

Oh doch! Dieses Jahr ist aber nichts passiert. Es waren auch ideale Bedingungen: Es war warm, aber nicht zu warm. Aber bei meinem allerersten Iditarod bin ich zweimal ins Eis eingebrochen. Also komplett mit Jacke, Hose, Schuhen. Zum Glück war es sehr warm, deutlich über Null Grad.

Wie waren die Bedingungen?

Auf 1000 Meilen kommt man durch viele Klimazonen. Wir fangen unten an der Küste an, gehen dann über die Alaska Range, wo in diesem Jahr extrem viel Schnee lag, wir reden da über sechs Meter! Wenn man dann über die Nordseite der Range kommt, geht's über eine Strecke, die nennt sich "The Burn", denn da ist alles abgebrannt. Dort kann manchmal überhaupt kein Schnee liegen, da fahren wir dann wirklich über Stock und Stein und über Gras. Das war auch in diesem Jahr so.

Im Inneren Alaskas liegt nicht so viel Schnee, etwa 40 oder 50 Zentimeter - gute Bedingungen. Entlang des Yukon Rivers ist der Trail wieder komplett vom Schnee eingeweht. In diesem Jahr hatten wir ideale Bedingungen. Tagsüber stiegen die Temeperaturen teilweise etwas über Null, was dann fast ein bisschen zu warm ist. Nachts sanken sie auf minus 15, 20 Grad, das ist ideal für die Hunde. Sie laufen am Tag zwischen 160 und 200 Kilometer und entwickeln dabei eine unglaubliche Eigenwärme. Wenn es dann noch über null Grad warm ist und die Sonne scheint, werden sie zu heiß.

Ich bin immer morgens von 4 bis 10 Uhr gefahren, habe von 10 bis 16 Uhr Pause gemacht und bin dann von 16 Uhr bis Mitternacht gefahren, um möglichst viel im Dunkeln und bei niedrigen Temperaturen zu fahren. Genau so lange wie wir fahren, machen wir auch Pause. Das ist die Faustregel. Gegen Ende des Rennens sind die Hunde dann eingelaufen und brauchen nicht mehr so viele Pausen.

Die Hunde werden fitter?

Oh ja. Die werden "trailhart", gehärtet von der Arbeit. Genau wie wie Menschen auch: Wenn wir wandern gehen, tut an den ersten Tagen alles weh, danach wird es dann besser. Die Hunde laufen sich ein und brauchen dann nicht mehr so viele Pausen. Sie warten in den Pausen regelrecht heiß darauf, dass es wieder losgeht. Für mich sind das keine richtigen Pausen. Ich bin Koch, Masseuse, Artzpfleger ... alles auf einmal. Von den 16 Hunden hat jeder vier Hundebooties an, die muss ich alle abnehmen und jeden Fuß mit Creme einreiben, jeden Hund massieren. Wenn ich also jeden Hund nur fünf Minuten lang massiere - mal 16 - sind da zwei Stunden weg.

Was waren deine Hoch- und Tiefpunkte in diesem Jahr?

Sebastian hat 66 Hunde - die 16 fittesten dürfen seinen Schlitten im Rennen ziehen
Sebastian hat 66 Hunde - die 16 fittesten dürfen seinen Schlitten im Rennen ziehen
© Sebastian Schnülle

Dieses Jahr hatte ich im Rennen zum ersten Mal keinen Tiefpunkt, alles lief nach Plan. Ich bin mit 16 Hunden bis nach Galina gefahren. Ein Höhepunkt war der Lauf von Galina nach Mulato. Da gab es unglaublich viele Nordlichter. Die Temperaturen sanken von plus 2 auf minus 25 Grad, dadurch hat sich dichter Bodennebel gebildet. Eine ganz irre Atmosphäre. Nach vorn konnte ich kaum meine Hunde sehen, aber nach oben sah ich die unglaublich schönen Nordlichter. Zu dem Zeitpunkt hatte ich noch 15 Hunde, und es lief alles ideal und ich dachte "Für solche schönen Momente machen wir das".

Dann bin ich durch Kaltak durchgefahren – ein Schachzug, um ein paar Plätze gutzumachen. Wenn das funktioniert, freut man sich wie ein Kind. Gegen Ende bin ich dann mit Jack Steer zusammen gefahren, und wir beide haben ein Rennen gefahren, bis zur letzten Sekunde ... Schlussspurt, Preisgeld geteilt ... Das war ein Riesengaudi ... Die Zuschauer haben gegrölt.

Welches sind die gefürchtesten Passagen?

Ganz klar die Strecke von Finger Lake nach Rainy Pass – da gibt es den so genannten "Happy River Step", wo es runter geht zum Happy River. Extrem steil, und man muss diese 180-Grad-Kurven über sich ergehen lassen. Wenn man dort nicht aufpasst und mit seinem Schlitten über eine solche Kurve hinausschießt, dann reißt man sich und die Hunde und alles mit runter. Deshalb habe ich dort auch nur eine kurze Pause gemacht, damit die Hunde relativ müde sind und wir nicht so schnell sind.

Worauf achtest du bei den Hunden - beim Fahren?

Ich gucke laufend, ob sich irgendetwas in ihrem Gang verändert. Wenn ein Tier humpelt, ist es zu spät, dann hast du etwas verpasst. Wenn ein Hund, der normalerweise trabt, plötzlich in Passgang übergeht, weißt du, da stimmt etwas nicht. Nagelbettentzündungen sind relativ häufig, manchmal sind Gelenke geschwollen oder eine Schulter gezerrt. Ich habe immer den Fuß auf der Bremse, damit die Leine gespannt bleibt und es nicht so ruckartig über Hügel geht und die Hunde keinen Ruck ins Geschirr bekommen. Denn genau dann bekommen sie Schulterverletzungen. Man hat gar nicht viel Zeit zum nachdenken. Das ist das Schöne an dem Rennen. Es ist eine Langzeitmeditation. Ich vergesse mein normales Leben völlig. Ich gucke auf nichts, sondern lebe in diesen Tagen völlig für die Hunde.

Wie munterst du deine Hunde auf? Rufst du während der Fahrt aufmunternde Kommandos?

Es kommt oft vor, dass ich sechs Stunden schweigend fahre. Man kann die Hunde mal kurz antreiben - wenn man zum Beispiel jemanden überholt, aber ansonsten müssen sie ihr Tempo finden, was ich schon im Training mit ihnen übe. Das ist relativ langsam, etwa 12 Kilometer pro Stunde. Wenn ich merke, sie werden motivationslos, dann halte ich mal kurz an. Ich gehe an jedem vorbei, streichle sie und knete ihre Hinterläufe. Gucke, ob ich irgendwas finde und muntere sie mal kurz auf. Je weniger ich anhalte, desto flüssiger und harmonischer ist der Lauf. Du hast ja 16 Hunde, das ist wie ein Orchester, und ich bin der Dirigent. Wenn einer nach dem anderen in den Rhythmus kommt, verbrauchen die Hunde auch viel weniger Energie, und das sind die Läufe, in denen du unheimlich gute Zeiten hinlegen kannst.

Was fütterst du? Ein Geheimrezept?

Jeder hat sein eigenes Geheimrezept, das kommt darauf an, wo du wohnst, wie warm es dort ist, und wie du trainieren musst. Das Grundnahrungsmittel ist Trockenfutter. Das hat viele Kalorien. Wenn du das einem Haushund geben würdest, würde der ganz schnell fett werden. Unsere Hunde verbrauchen im Rennen pro Tag etwa 10.000 Kalorien. Das Trockenfutter reichern wir mit Fleisch an. Wenn es warm wird, nehme ich fettarmes Rindfleisch, wenn es kälter wird, Hühnerfleisch. Außerdem Lamm und die fettige Hühnchenhaut. Je kälter es wird, desto fettreicher füttern wir. Wenn es ganz warm wird, füttern wir Fisch. Und wenn es richtig kalt wird, dann füge ich noch Öle und Fette hinzu.

Wie ist der Trail markiert?

Das sind Holzlatten, die sind ungefähr 60 Zentimeter hoch. Sie haben einen orangefarbenen Kopf, an den für die Nacht ein Reflektor geklebt ist. Nachts fahren wir nach den Reflektoren, tagsüber nach den Markierungen. Und diese Latten stehen dort alle 150 bis 200 Meter. Manchmal werden sie übergefahren oder umgeweht. Deshalb kann man sagen, wenn du eine Viertelstunde keine Markierung gesehen hast, dann bist du wahrscheinlich falsch.

Fahrt ihr nachts mit Scheinwerfern?

Nein, mit Stirnlampen. Da gibt es jetzt helle LED-Lampen, die brauchen wenig Batterie. Du fährst ja mehr im Dunklen als im Hellen.

Wie erkennst du, dass deine Hunde noch richtig gut drauf sind?

Das sieht man ihnen an. Es gibt Momente, in denen die nicht gut drauf sind und wir müssen trotzdem weiterfahren. Wenn sie richtig losziehen, dann weißt du, sie haben Bock. Und wenn ich in den CP komme und jeder wälzt sich im Schnee oder rekelt sich, dann weiß ich, sie sind überhaupt nicht an ihre Leistungsgrenze gegangen.

Wo merkst du die körperliche Anstrengung?

Überall. Ich habe eine Sehnenscheidentzündung an beiden Handgelenken. Und Rückenprobleme, weil die meisten Tätigkeiten im Bücken stattfinden: Booties anziehen, Füße eincremen, Füttern - alles gebückt. In diesem Jahr hatte ich auch gewaltigen Muskelkater.

Gibt es viele Zuschauer?

Nein gar nicht. Am Start stehen sehr viele Zuschauer, in diesem Jahr waren es etwa 50.000. In den Ortschaften sind die Leute über die ersten zehn Gespanne begeistert. Bei den hinteren guckt keiner mehr hin. Über das Internet wird das jetzt zuschauerfreundlicher. Aber wir wollen auch niemandem auf dem Trail haben, denn die Schneemobile zerstören den Trail, und die Laufzeiten gehen in den Keller.

Gab es bisher Situationen, die lebensgefährlich waren?

Oh ja, als ich vor drei Jahren im Eis eingebrochen bin, das war schon brenzlig. Das war auf dem Weg von Jurlakrik nach Schatulek. Da gibt es einen kleinen Fluss, und der Trail war anders markiert, nur habe ich das im Dunkeln nicht gesehen und bin den alten Trail entlanggefahren. Im Wasser hast du keine Luft mehr, weil die jegliche Luft wegbleibt, so kalt ist das. Ich hatte den Griff verloren, und der Schlitten hatte sich so verkeilt, dass ich ihn nicht rausziehen konnte. Das Wasser war zum Glück nur so tief, dass ich darin stehen konnte. Aber ich suche nach diesen Grenzerfahrungen. Wie weit kann ich körperlich und mental gehen?Mein erster Iditarod dauerte 12 Tage, mein zweiter 11, der nächste 10 Tage, jetzt 9 Tage.

Erschöpft und glücklich nach den Strapazen des Rennens
Erschöpft und glücklich nach den Strapazen des Rennens
© Sebastian Schnülle

Wie oft trainierst du mit deinen Hunden?

Das ist wetterbedingt. Ich versuche, an vier Tagen in der Woche zu fahren. Ich bin in diesem Jahr rund 5000 Kilometer im Training gefahren. Die Hunde waren 3000 Meilen gelaufen als sie an den Start gegangen sind. Dadurch konnte ich diese langen Läufe machen. Ich bin auch im Training mal 14 Stunden nonstop gefahren, so waren die Hunde darauf vorbereitet, was kam. Jedes Jahr muss ich ab November mit Sack und Pack nach Alaska, um dort zu trainieren. Zu Hause haben wir nicht genügend Schnee.

Das Interview führte Sina Löschke

GEOLINO EXTRA Nr. 15/08 - Sport

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