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Die Sonne brennt schon am Morgen auf das Rindergatter. Sie hat den Boden so ausgetrocknet, dass Henry mit jedem Schritt kleine Staubwolken aufwirbelt. Der Zehnjährige zieht seinen Cowboyhut tief ins Gesicht, als er zu seinem Vater ins Gatter klettert. Heute soll die neue Rinderherde markiert werden.
Jede Kuh wird markiert
Dazu treiben Henrys Vater und seine Helfer jede Kuh einzeln in eine schmale Gitterbox und
kippen den Kasten um. Eingezwängt liegt das Tier auf der Seite. Jetzt ist Henry dran: Mit einer Kerbzange stanzt er dem Rind ein Rechteck ins Ohr: das Erkennungszeichen der "Alandale Station". So heißt die Rinderfarm, auf der Henrys Familie lebt. Eine Ranch, doppelt so groß wie das Saarland, mitten im südaustralischen Outback.
"Draußen, hinter der Stadt"

Outback - das bedeutet so viel wie "draußen, hinter der Stadt". Gemeint ist das Landesinnere Australiens. Eine Region wie auf einem anderen Stern: weite, rotbraune Landschaft; kaum Regen; wenige Bäume und noch weniger Menschen. Vier Stunden dauert eine Autofahrt von der Alandale Station bis zur nächsten größeren Stadt, Coober Pedy. Die nächsten Nachbarn wohnen 70 Kilometer entfernt. Und der Postbote bringt zweimal in der Woche nicht nur Briefe, sondern kauft in Coober Pedy für Henrys Familie auch Bücher, Videos oder Schuhe ein. Leben im Outback heißt: Leben in Abgeschiedenheit.
Keine Langeweile
Langeweile kennt Henry trotzdem nicht. Jeden Tag denkt er sich mit seinem achtjährigen Bruder William neue Abenteuer aus: Mal bauen die Jungen an ihrer Motorrad-Cross-Strecke, mal veranstalten sie ein Flusskrebs-Rennen. Die meiste Zeit verbringen Henry und William wie echte Cowboys bei ihren Pferden.
Viel Zeit für die Pferde
Füttern, striegeln, ausreiten - das erledigen die Jungen selbst und trainieren dabei für die Pferderennen, die einmal im Monat in einem der umliegenden Orte ausgetragen werden. "Voriges Mal bin ich gegen 15-Jährige geritten und habe zweimal den zweiten Platz belegt", erzählt Henry. Stolz ist er auch auf Benny, ein kleines Bullenkalb, das die Jungen aufziehen. "Viermal am Tag trinkt es einen ganzen Liter Milch und macht sich prächtig", sagt Henry.

Nächte unter freiem Himmel
Zur Rinderherde fahren die Jungen nur am Wochenende oder in den Ferien. Dann übernachten sie unter freiem Himmel, kochen am Lagerfeuer Tee und helfen ihrem Vater im Gatter. Das ist nicht ungefährlich: Schon einmal hat ein wütender Bulle Henry umgeschubst. Verletzt hat er sich zwar nicht, aber seitdem klettert er vorsichtshalber lieber einmal öfter den Gatterzaun hinauf.
Schule per Computer
In der Schulzeit bleibt den Outback-Cowboys für Abenteuer keine Zeit. Morgens um halb neun beginnt der Unterricht, allerdings nicht wie bei anderen Schülern. Zuerst üben Henry und William mit ihrer Mutter Englisch und Mathematik. Dann schaltet sich ein richtiger Lehrer ein: Per Computer loggen sich die Jungen im "Marden Open Access College" ein - einer Schule speziell für Kinder, die in abgelegenen Orten leben. Während des Unterrichts wird Henry von einer Kamera aufgenommen. So erkennt der Lehrer, der eine Tagesreise entfernt in Adelaide am Computer sitzt, ob seine Schüler wirklich mitmachen. "Einmal hat er mich erwischt, wie ich nebenbei ein Buch gelesen habe", erzählt Henry. Sofort kam der Rüffel über Kopfhörer.

die Sachen aus Coober Pedy mitbringt
Endlich mal die Mitschüler treffen

In diesem Jahr haben Henry und William ihre Klassenkameraden sogar getroffen - bei einem Schulcamp in Adelaide. Sie gingen ins Kino, besuchten das Meeresmuseum und spielten Tennis. "Es war traurig, alle wieder zu verlassen. Wir hatten viel Spaß zusammen", sagt Henry. In zwei Jahren wird er in Adelaide auf ein Internat gehen. Und nach der Schule? Henry kann sich nichts Schöneres vorstellen, als zur Alandale Station zurückzukehren und Rinder zu züchten. Obwohl es heiß und staubig ist.