Angriff! Mit ausgebreiteten Schwingen rauscht der Weißkopfseeadler auf den eisbedeckten See zu. Seine Fänge, fast so groß wie Männerhände, streckt er weit nach vorn.
Unter ihm klafft ein großes Loch im Eis. Doch nicht auf einen Fisch unter der Wasseroberfläche hat er es abgesehen, sondern auf einen anderen Adler.
Typisch Weisskopfseeadler!
Der steht auf dem Eis und macht sich gerade über einen erbeuteten Lachs her. Unter Flügelschlagen und Gekeife fetzen sich die Vögel mit Krallen und Schnabel. Schnee spritzt auf, Federn fliegen. Bis ein dritter Adler auftaucht - und sich mit dem Lachs davonmacht...
Typisch Weißkopfseeadler! Die mächtigen Greife sind bekannt für ihre Streitlust. Manchmal überrumpeln sie einander sogar in der Luft und trudeln dann im Sturzflug in die Tiefe. Hauptsache, man zeigt dem anderen, dass man keine Angst hat.
Diese Vögel kommen nur in Nordamerika vor und leben am liebsten in menschenleeren Gegenden, wo sie saubere Gewässer finden. Kein Fisch entgeht ihrem Blick.
Ihre Augen sind viermal schärfer als die von Menschen. Und ihre Geschwindigkeit ist atemraubend: Mit bis zu 150 km/h stürzen sich die Raubvögel vom Himmel auf ihre Beute.
Im Winter wird es vielen Weißkopfseeadlern in ihren Revieren auf dem Festland zu ungemütlich. Dann zieht es sie fort - zum Beispiel auf die Alëuten, eine Inselkette zwischen Russland und Alaska.
Dieses Revier ist ideal zum Überwintern. Es wird von warmen Meeresströmungen umspült und bleibt dadurch eisfrei. Selbst im Inneren der Inseln frieren die Seen nie ganz zu, sodass die Adler immer Fische finden.
So kommt es, dass sich die majestätischen Tiere hier zu Hunderten drängen, obwohl sie normalerweise außer ihrem Partner keinen Artgenossen in der Nähe dulden. Nur im Winterquartier hopsen sie notgedrungen in Scharen um die Eislöcher. Und noch aus großem Abstand ist ihr Ruf zu hören, der wie ein grelles Keckern, Kichern, Keifen klingt.
Der Weisskopfseeadler als Wappentier
In den USA lernt man bereits als Kind diesen Vogel kennen: Er ist das Wappentier der Vereinigten Staaten. Seit 1782 ziert das Bild des Weißkopfseeadlers dort zum Beispiel Münzen und Banknoten.
Dabei war die Entscheidung heftig umstritten. Der Staatsmann Benjamin Franklin schimpfte: "Er ist ein Vogel schlechten Charakters. Außerdem ist er ein widerlicher Feigling!" Franklin hätte lieber den Truthahn als Wappentier gehabt.
Vor 30 Jahren wären die Adler fast ausgestorben
Franklins böse Meinung wurde von vielen Menschen geteilt. Es hieß, die Weißkopfseeadler würden Lämmer, Kälber und sogar kleine Kinder erbeuten. Alles Märchen - doch Hunderttausende Vögel wurden geschossen oder vergiftet. Vor 30 Jahren waren sie fast ausgestorben.
Doch unter staatlichem Schutz hat sich die Art zum Glück erholt. Die Zahl der brütenden Adlerpaare wächst. Majestätisch kreisen sie am Himmel, im Sommer zu zweit in ihren Revieren, im Winter scharenweise auf den Alëuten. Und geben dabei zweifellos eine viel bessere Figur ab als jeder Truthahn.
Steckbrief Weißkopfseeadler
- Größe: bis zu ein Meter langer Körper; Spannweite der Flügel oft mehr als zwei Meter; Weibchen sind im Allgemeinen größer als Männchen.
- Gewicht: 4,5 bis 6 Kilogramm.
- Fluggeschwindigkeit: im Gleitflug 60 bis 80 km/h, im Sturzflug bis zu 150 km/h.
- Alter: in freier Wildbahn 25 bis 30 Jahre.
- Heimat: vor allem Küstengebiete, Flusstäler und Seen in Nordamerika, Kanada und Alaska.
- Nahrung: zu 90 Prozent Fisch, vor allem Lachse; aber auch Vögel, Ratten oder Kaninchen.
- Nachwuchs: Weibchen und Männchen brüten fünf bis sechs Wochen lang abwechselnd zwei, höchstens drei Eier aus. Die Nester ("Horste") werden jahrelang benutzt, bevorzugt in hohen Baumkronen angelegt und können bis zu zwei Tonnen wiegen.