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Nico – Grosser Kleiner Bruder (Loonis 07.06.2008)

"Nico."

Nur das Geräusch der Dampfeisenbahn antwortete. Es kam aus einem Mund. Rotz lief aus der Nase darüber. Holzräder rollten über Parkett.

"Nico!"

Die Eisenbahnlaute wurden von einem mächtigen Hupen unterbrochen. Der Güterwagon wurde rückwärts einrangiert, kam zum stehen. Ein Bahnhof war nicht zu sehen, man musste ihn sich vorstellen.

"Erde an Nico!"

Nico schaute auf zu der Frau, die sich mit aufmunterndem Lächeln vor ihm niederkniete. "Komm, wir gehen einkaufen."

"Nee. Hab keine Lust." Er wandte sich wieder seinem Spielzeug zu. Der Wagon wurde mit roten Bauklötzen beladen. "Ich bleibe da."

"Doch, doch, du kommst mit."

"Nein."

"Nico!"

"Nico! Nein!"

Eine Hand zog sich ertappt zurück. Trotzdem geriet der turmhohe Bücherstapel ins Wanken. Das erste Buch fiel, flatterte wie ein Vogel durch die Luft, gefolgt von seinem Schwarm, und krachte auf eine Ecke. Und dann auf den Bauch. Seiten wurden umgeknickt. Risse frassen sich ins Papier.

"Nico! Verdammt, immer musst du alles anfassen! Kannst du nicht einmal deine Hand bei dir lassen. Und putz dir diesen Rotz ab!", die Frau in Rock und blauer Bluse bückte sich und begann eilig und ärgerlich die Bücher aufzusammeln. Glättete die Seiten zurück, ordnete, stapelte erneut. Ihr langes braunes Haar fiel ihr von der Schulter und sie strich es ungeduldig zurück. Nicos Unterlippe zitterte. Er fuhr mit dem Ärmel über die Nase. Seine Schwester schimpfte immer.

Schritte näherten sich. "Was ist denn hier los?" Eine perfekt gezupfte Augenbraue über einem perfekt scharfen Adlerauge wurde hochgezogen. Die Frau in Rock und Bluse richtete sich auf und seufzte. "Der Stapel ist umgefallen."

"Das sehe ich." Die Wörter wurden von einem spitzen Mund geformt. Weinroter Lippenstift. Sonnenblumengelber Jupe. Grüne Krokodillederballerinas. Adleraugen. "Bücherstapel fallen für gewöhnlich nicht von alleine um."

"Nein. Er ist dran gekommen. Tut mir leid."

"Ach?" Adlerauge musterte Nico. Sie verzog angeekelt das Gesicht, nachdem sie den Rotz registriert hatte. Die Frau in Rock und Bluse kramte ein Taschentuch hervor und reichte es Nico. Der schnäuzte sich laut.

"Hat der Mann keine Manieren?"

"Doch, die hat er."

"Ah." Schiefgelegter Kopf. Und wo sind die?, schien Adlerauge zu denken. "Nun gut. Wie viel Bücher hat er beschädigt?"

"Ich hab keine kaputt gemacht!"

"Nein? Das sehe ich wohl anders."

"Ich hab aber nicht." Nico stampfte mit dem Fuss auf.

"Wie viele sind beschädigt?" Die spitze Frage ging an die Frau mit dem langen braunen Haar in Rock und Bluse.

"Ich kaufe eins." Sie ging an die Kasse und legte ein Exemplar auf die Theke, das sie schon die ganze Zeit in der Hand gehalten hatte. Es hatte nicht auf dem Stapel gelegen. War unbeschadet. Adlerauge folgte in ihren grünen Ballerinas.

"Nico, fass die Blumen nicht an! Ich hätte gern dieses Buch. Nico, lass die Lesezeichen in Ruhe." Die Frau in Bluse und Rock nahm ihre Geldbörse hervor und wartete, bis Adlerauge den Code eingescannt hatte. Die Weinroten Lippen formten skeptisch den Titel des Buches. Das Leid des Jungbrunnens – die Geschichte eines geistlich Zurückgebliebenen Adlerauge sah auf. Die linke wohlgezupfte Augenbraue hob sich. "Er ist ... ?"

Die Frau in Rock und Bluse blickte hart in die Adleraugen. Ihr Kopf nickte freundlich. "Dreiundzwanzig."

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