Miriam wanderte langsam durch die leeren Räume. Dort, wo die Möbel gestanden hatten, war die Tapete noch maisgelb, der Rest war ausgeblichen. Miriam fuhr mit den Fingern die Umrisse nach. Hier hatte ihr Bücherschrank gestanden, hier das Bett, dort der Schreibtisch. Miriam ging weiter. Vor Laras Zimmertür zögerte sie kurz, dann drückte sie sie vorsichtig auf. Sofort spürte sie wieder den Kloß im Hals, den sie jedesmal bekam, wenn sie an ihre tote Schwester dachte. Dieses Zimmer war das einzige, das noch eingerichtet war, dort in der Ecke das Bett, vor dem Fenster der Schreibtisch. Auf dem Bett hatte Lara gelegen, friedlich, still lächelnd, als ob sie schlafen würde. Ihr schmaler Körper war noch warm gewesen, so das es ihrer Mutter nichts bemerkt hatte, als sie sie wecken wollte. Ihr war nichts aufgefallen, bis sie den Brief auf dem Schreibtisch entdeckt hatte. Den Abschiedsbrief, zusammen mit zwei leeren Schachteln Schlaftabletten. Selbst auf der Beerdigung hatte es Miriam immer noch nicht glauben können.
Und jetzt zogen sie weg, weil Miriams Mutter es hier nicht mehr aushielt, weil sie alles an Lara erinnerte. Laras Möbel und Habseligkeiten würden sie nicht mitnehmen, es klebten zu viele Erinnerungen an ihnen. Maria griff nach dem Bilderrahmen auf dem Nachttisch und warf sich auf das ordentlich gemachte Bett. Es roch noch immer nach Lara, ein wenig nach Pfirsichshampoo und Creme. Sie sog den Geruch tief ein, dann betrachtete sie das Bild. Es war von letztem Jahr, aneinander geschmiegt lachten sie und Lara in die Kamera. Miriam liebte das Lächeln ihrer Schwester, ein wenig verlegen, wissend und irgendwie geheimnisvoll. Tränen tropften auf das Glas, sie wischte sie nicht weg. Miriam rollte sich zusammen und weinte, das erste mal seit dem Tod ihrer Schwester.
Irgendwann drang die Stimme ihrer Mutter in ihr Bewusstsein, die unten an der Haustür stand und nach Miriam rief. Sie mußte los. Miriam zerrte Laras Umhängetasche aus dem Schrank und stopfte alles hinein, was ihrer Schwester wichtig gewesen war. Das Bild, Kleider, Schmuck, Bücher, die Mappe mit ihren selbst gemalten Bildern. An der Tür warf sie einen letzten Blick in das vertraute Zimmer, dann rannte sie die Treppe hinunter. Sorgsam darauf bedacht, das ihre Mutter die Tasche nicht sah, stieg sie in das wartende Auto. Lara würden nicht in Vergessenheit geraten, egal was ihre Mutter sagte.