Spürnasen auf Spurensuche
Franziska hält den Atem an. Wilma schnüffelt – Leichengeruch. Aber wo genau? Langsam tapst die Hündin über das Rettungsboot, stellt die weißen Vorderpfoten erst auf die rechte Bordwand, dann auf die linke und hält die Nase prüfend in den Fahrtwind. Franziska sitzt kerzengerade vorn am Bug und klemmt die Handflächen zwischen ihre Knie. Als Mensch ist sie hier machtlos.

Nur Wilma kann den Tod riechen, kann orten, wo jemand verun- glückt sein könnte. Aber die Hündin schweigt. Einzig das Surren des Motors erfüllt die Luft. Wilmas Krallen kratzen über den Metallboden.
Ein Jahr schon trainieren die 16-jährige Franziska und ihre anderthalbjährige Hündin zusammen. Ein richtiges Rettungsteam wollen sie werden. Und diese Wassersuche ist dafür ganz besonders wichtig. Denn diesmal begleitet die Ausbilderin Karin Kerner die beiden.
Nicht, weil eine echte Leiche im Wasser schwimmt, dort liegt nur ein Köder. Aber wenn Wilma zeigen würde, dass sie Leichengeruch orten kann, wäre das ein Riesenschritt. Dann könnten Franziska und Wilma bald die Prüfungen für Rettungshunde absolvieren – und anschließend der Polizei bei richtigen Notfällen helfen, Fährten aufnehmen und vielleicht sogar Menschen retten.
"Sechsbeinige" Rettungsteams
Das ist nicht nur das Ziel von Wilma und Franziska. An diesem Wochenende haben sich vier Hundestaffeln der DLRG, der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft, nahe der Stadt Halle an der Saale versammelt.
Staffeln sind Gruppen, die jeweils aus mehreren "sechsbeinigen" Rettungsteams bestehen. 28 Hunde verfolgen heute verschiedene Fährten: Auf offenem Feld müssen sie eine sitzende oder liegende Person finden, an der Leine einer Duftspur folgen und auf dem Wasser Geruchsköder orten.
Etwa zwei Jahre braucht ein Hund, bis er die Suche sicher beherrscht und ein Rettungshelfer werden kann.

Den Hund richtig verstehen
"Es muss einfach klappen", murmelt Franziska und streicht sich die blonden Strähnen aus dem Gesicht. Zweimal in der Woche trainiert sie mit ihrer Hündin.
"Um sie an den menschlichen Geruch zu gewöhnen, lasse ich Wilma manchmal auch zu Hause ein Tuch suchen, allerdings an Land", berichtet das zierliche Mädchen. "Sobald Wilma das Versteck gefunden hat, bellt sie, und zwar so lange, bis ich bei ihr bin, also am Fundort. Wir Hundeführer nennen das einen Fund ,verbellen‘."
Alle Rettungshunde müssen lernen, beim Köder auszuharren, bis das Herrchen angekommen ist. Schließlich können sich die Retter nur dann sicher sein, dass die Tiere ihnen den Ort wirklich zeigen und nicht nur einmal kurz kläffen, um sich dann aus dem Staub zu machen. "Dem Hund Gehorsam beizubringen, ist schon keine Kleinigkeit", erklärt Franziska. "Ihn richtig zu verstehen, ist aber noch viel schwieriger."

Auf dem Boot beobachtet das Mädchen seine Hündin darum bloß, "arbeiten" muss Wilma allein. Sie steht inzwischen in der Mitte des Bootes. Es nieselt, winzige Regentröpfchen verfangen sich in ihrem schwarz-weißen Fell.
Dann, plötzlich, zuckt Wilmas feuchter Riecher. "Sie hat ihn", sagt Karin Kerner leise – und meint den Geruch des Köders. Rund zwei Stunden sind vergangen, seit eine Gruppe von Hundeführern diesen zweieinhalb Meter tief in der Saale versenkt hat. Wo er genau liegt, markiert ein schwimmender Korken, der über ein Seil mit einer Metallgitterbox verbunden ist.
Darin liegt ein Stück Stoff. "Der Köder ist ein Tuch, das eine Weile in einem Sarg gelegen und den Geruch eines Verstorbenen angenommen hat", erklärt Karin Kerner. Das klingt gruselig. Aber nur so können Hunde für den Ernstfall üben.
Einsatz in aller Welt
Mit ihren bis zu 220 Millionen Riechzellen und dem richtigen Training gelingt es fast allen Hunden, Düfte zu orten. Zum Vergleich: Die menschliche Nase ist mit nicht mehr als 30 Millionen Riechzellen ausgestattet.

Bei Erdbeben, wie vor Kurzem in Haiti oder Chile, bei Lawinenunglücken und Flutkatastrophen – überall auf der Welt helfen Spürhunde, Verletzte zu finden. Etwa 400 Staffeln mit Hunden aller Rassen gibt es allein in Deutschland.
Wilma ist ein Australian-Shepherd-Mischling. Sie hat den richtigen Riecher, so viel ist schon mal klar. Doch das allein nützt gar nichts, wenn sie ihrer Hundeführerin nicht "sagt", was sie
erschnuppert hat.
Franziska knibbelt deshalb nervös an ihrer roten DLRG-Hose. Wilma wendet ihr zwar immer wieder den Kopf zu, aber sie bellt nicht. Nur noch wenige Meter trennen das Boot jetzt noch vom Köder. Die Hündin dreht sich zur Heckseite, geht ein paar Schritte, zögert. "Soll ich?", scheint sie zu fragen.
Und dann endlich: Sie bellt! Laut, immer wieder. Dabei wedelt sie mit dem Schwanz und läuft auf Franziska zu. Ein voller Erfolg für beide! "Fein gemacht, toller Hund", ruft Franziska und knuddelt den Vierbeiner. Für sie steht nun fest: "Wilma kann ein richtiger Rettungshund werden."